In seinem 1919 gehaltenen Vortrag mit dem Titel „Politik als Beruf“, setzt sich Max Weber mit den Grundlagen ethischen Handelns auseinander und unterscheidet dabei zwei Arten: die auf Gesinnung gründende, sich auf moralische Ansprüche stützende, für die der Zweck jedes Mittel heiligt, und die auf die Konsequenzen des Handelns Bedacht nehmende, das die Mittel bedachtsam wählt.

Stark verkürzt ist zu sagen, dass linke Politik gesinnungsethisch, und rechte Politik verantwortungsethisch motiviert ist. Mit anderen Worten: Linke sehen auf die Welt, wie sie ihrer Meinung nach sein soll, während Rechte sie so sehen, wie sie ist.

Verantwortungsethiker finden nur schwer Plattformen

In einer auf „Wokeness“ getrimmten Welt, in der selbsternannte linke Eliten über die nahezu unumschränkte Deutungshoheit gebieten, haben Verantwortungsethiker einen schweren Stand. Diese, heute gerne als unsolidarische, egoistische Besitzstandwahrer und phantasielose Reaktionäre und Fortschrittbremser gebrandmarkt, haben es zunehmend schwer, Plattformen zu finden, auf denen sie sich artikulieren können. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und in anderen vom Staat gepäppelten Medien, kommen sie kaum noch zu Wort. Auf den Universitäten werden sie systematisch kaltgestellt.

Da Gesinnungsethiker ständig idealisierte Bilder utopischer Wolkenkuckucksheimgesellschaften beschwören und mit der vergleichsweise tristen Realität der bestehenden Verhältnisse im „Kapitalismus“ kontrastieren, ist es verständlich, dass viele, vor allem junge Menschen, Sehnsucht nach einem radikalen Systemwechsel entwickeln. FFF-, BLM- und LGBT-Bewegungen sind beredter Ausdruck dafür.

Ausgrenzung und Ächten der Dissidenten

Dissidenten werden mit sozialer Ausgrenzung und Ächtung bestraft und/oder haben zum Teil schwere wirtschaftliche Nachteile zu gewärtigen. Ein Beispiel bietet der von seiner Partei, der SPD, inzwischen exkommunizierte Ex-Finanzsenator Berlins, Thilo Sarrazin, der mit seinem 2010 erschienenen Buch „Deutschland schafft sich ab“, erstmals ins Fadenkreuz der politisch korrekten Dressurelite geriet. Seither hat er einige weitere hervorragend recherchierte, in der Sache unangreifbare Bücher vorgelegt. Mit „Der Staat an seinen Grenzen“ (2020) setzte er sich zuletzt, ganz Ökonom, kritisch mit den wirtschaftlichen Folgen der Massenmigration auseinander. Im selben Jahr wird der langjährige Funktionär „…zum Schutz des Ansehens und der Glaubwürdigkeit der SPD…“ aus der Partei ausgeschlossen.

It´s the economy, stupid!

Der Verantwortungsethiker Sarrazin rechnet im genannten Werk faktenbasiert vor, dass der seit vielen Jahren nach Europa erfolgende Massenzuzug schlecht oder gar nicht ausgebildeter Menschen aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten, nicht nur gesellschaftlich, sondern auch wirtschaftlich schwerwiegend negative Konsequenzen nach sich zieht. Das Juste Milieu ist empört. Es geht nicht um Sarrazins Thesen. Es geht darum, dass er sie nicht äußern soll. Es kann nicht sein, was nicht sein darf! Kurzum: Je mehr Moral, desto weniger Vernunft.

Die Wahrheit ist offenbar – anders als Ingeborg Bachmann einst behauptet hat – doch nicht zumutbar. Das musste auch Sahra Wagenknecht, Galionsfigur der Partei „Die Linke“ erfahren, als sie mit ihrem Buch „Die Selbstgerechten“, einer kritischen Auseinandersetzung mit urbanen Bobos, das Missfallen doppeltmoralinsaurer Tugendbolzen erregte. Zwei Anträge zu einem Parteiausschluss wurden in ihrem Fall indes abgelehnt.

Es geht nicht um wahr oder falsch, sondern gut und böse

Sarrazin und Wagenknecht wurden mit dem Vorwurf „parteischädigenden Verhaltens“ konfrontiert. Eine lächerliche Anschuldigung, die darauf hinausläuft, die Wahrheit verschweigen zu müssen, wenn diese der Parteilinie im Weg ist. Orthodoxe Linke fragen eben nicht, ob etwas wahr oder falsch ist. Für sie geht es um gut und böse.

Ein Friedrich Hegel zugeschriebenes Zitat lautet: „Wenn die Tatsachen nicht mit der Theorie übereinstimmen – umso schlimmer für die Tatsachen.“ Das scheint das Credo der Gesinnungsethiker zu sein, die von den Folgen ihrer Politik nichts wissen wollen.

Sarrazin und Wagenknecht werden es aushalten. Ihre Bücher verkaufen sich wie warmes Brot. Dumm nur, dass beide in ihren Analysen – Sarrazin zudem auch mit seinen Handlungsempfehlungen – recht haben und trotzdem von den Machthabern ignoriert werden.

Andreas Tögel, geboren 1957, ist gelernter Maschinenbauer und ausübender Kaufmann. Tögel sieht sich als Libertären und im Hayekschen Sinne als „second hand dealer of ideas“.