Viele Kommentatoren hatten zuletzt gemeint, Österreich wäre ein Land ohne ausgeprägte Streikkultur. Da ist schon was dran. Die viel gepriesene Sozialpartnerschaft, so die vorherrschende Meinung, sei dafür verantwortlich, dass es hierzulande kaum zu Arbeitskämpfen kommt. Mag sein. In der Tat geht es etwa in Belgien und Frankreich ganz anders zu, wo Streiks zur Folklore gehören. Nur in der Schweiz wird noch seltener die Arbeit niedergelegt, als hierzulande.

Bei einem Streik handelt es sich ganz unzweifelhaft um den Tatbestand der Arbeitsverweigerung, der unter anderen Umständen eine Entlassung rechtfertigen würde. Obwohl in Österreich ein explizites „Streikrecht“ zwar nicht existiert, ist das Recht auf Arbeitnehmerzusammenschlüsse und Arbeitsniederlegungen durch die Europäische Menschenrechtskonvention gedeckt.

Bildung von Kartellen ist verboten – es sei denn es sind Arbeitnehmerkartelle

Anzumerken ist, dass die Bildung von Kartellen grundsätzlich verboten ist. Damit soll verhindert werden, dass Unternehmen sich durch Preisabsprachen ungerechtfertigte Vorteile zulasten der Konsumenten verschaffen. Klingt einleuchtend. Dass zugleich aber Arbeitnehmerkartelle – und genau das sind die Gewerkschaften – nicht nur nicht verboten, sondern sogar hochgeschätzte Partner der Regierungen sind, scheint indes niemanden aufzuregen. Seltsam, oder?

Interessant ist jedenfalls, dass bevorzugt solche Arbeitnehmer streiken, die in garantiert stressfreien staatlichen oder staatsnahen geschützten Werkstätten tätig sind – wie zuletzt die Bediensteten der ÖBB. Die Angestellten der privat geführten „Westbahn“ dagegen beteiligten sich nicht am Streik ihres massiv bezuschussten Wettbewerbers. Hunderttausende Bürger wurden von den gewerkschaftlich bestens organisierten Mitarbeitern der ÖBB 24 Stunden lang faktisch als Geiseln genommen, um ihren weit überzogenen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Bereits bezahlte Fahrkarten waren dadurch einen Tag lang wertlos. Ein Skandal! Wenn sogar eine Kommentatorin des wirtschaftsliberaler Umtriebe absolut unverdächtigen Wiener „Standard“ kritische Worte für diese Ausstand findet (siehe hier), hat das schon etwas zu bedeuten.

Metaller bekamen geringeres Plus, als die ÖBB-Arbeitgeber anbieten

Noch deutlicher wird Franz Schellhorn, Chef der liberalen Denkfabrik Agenda Austria auf Twitter: „Wer nicht versteht, warum es zum ÖBB-Streik gekommen ist: Voll im Wettbewerb stehende Steuerzahler, deren Einkommen um rund 7,4 Prozent steigen, sollen den bestens geschützten Eisenbahnern um 12 Prozent höhere Löhne zahlen. Kann man verstehen, muss man aber nicht.”

In der Tat sind die Lohnerhöhungen bei den Metallern und den Handelsangestellten deutlich niedriger ausgefallen, als das Arbeitgeberangebot (Stand 28. 11.) für die ÖBBler lautet, nämlich unter 8,4 Prozent. Was sich hier einmal mehr in seiner vollen Pracht zeigt, ist der himmelhohe Unterschied zwischen Staat und Privat. Selbst Wolfgang Katzian, dem Chef des mächtigen ÖGB, ja vielleicht sogar Markus Marterbauer, dem Chefökonomen der AK, dürfte einleuchten, dass darüber zu entscheiden ist, ob eine Kuh gemolken oder geschlachtet werden soll. Beides zugleich ist halt nicht möglich – der selige ÖGB-Chef Anton Benya hatte das tief verinnerlicht. Lohnforderungen an Privatbetriebe dürfen daher nicht derart überzogen sein, dass deren Existenz gefährdet oder sie ins Ausland vertrieben werden. Besonders im Handel, in dem traditionell eher niedrige Löhne bezahlt werden, war es die Sorge um die Arbeitsplätze, die die Gewerkschaft zu einem für die Arbeitgeber gerade noch akzeptablen Abschluss von rund 7,2 Prozent führte.

Es ist entscheidend, ob man die eigene Haut im Spiel hat oder nicht

Derartige Sorgen treiben die faktisch pragmatisierten Mitarbeiter der ÖBB (böse Zungen behaupten, das Unternehmen sei ein Mitarbeitersanatorium mit angeschlossenem Schienenbetrieb) naturgemäß nicht um. Ist ja schließlich ein Staatsbetrieb, der keinen Konkursrichter zu fürchten braucht und dessen obligaten Defizite die in der Privatwirtschaft tätigen Nettosteuerzahler abzudecken gezwungen sind. Die Vertreter der Arbeitgeberseite brauchen diesfalls auch keinerlei Konsequenzen einer schwachen Verhandlungsführung zu fürchten, weil es ja, anders als bei Arbeitgebern in der Privatwirtschaft, nicht ihr eigenes Geld ist, das sie den Bediensteten nachschmeißen.

Immer wieder zeigt sich, dass es stets von entscheidender Bedeutung ist, ob jemand seine eigene Haut im Spiel hat oder nicht. Bei staatlichen Akteuren ist das niemals der Fall. Selbst die Kosten grob unmoralischen Verhaltens, schwerster wirtschaftlicher  Fehlentscheidungen oder des leichtfertigen Abschlusses von Verträgen zulasten Dritter (wie das im Falle von Bezugserhöhungen für Politiker, Beamte und im staatsnahen Bereich beschäftigte Personen der Fall ist), bleiben im Dunstkreis des Gewaltmonopolisten  ungesühnt. Stets hat der Steuerzahler für die von Politikern und Beamten angerichteten Schäden aufzukommen.

Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Beitrags, liegt noch kein Verhandlungsergebnis für die Eisenbahner vor. Fest steht indessen: Dem auf der freien Wildbahn des Marktes immer rauer werdenden Klima ausgesetzte Menschen, werden die in jedem Fall zu hohen Kosten des Lohnabschlusses für die privilegierten ÖBB-Bediensteten zu schultern haben. Interessant, dass in den Reihen der ansonsten so sehr auf „Gerechtigkeit“ (oder das, was sie halt dafür halten) erpichten linken Intellektuellen, in dieser Angelegenheit dröhnendes Schweigen herrscht. Der kostspielige Sonderstatus der Eisenbahner stört sie offensichtlich (und wohl auch aus begreiflichem Grund) nicht. Mein Entschluss steht daher fest: Im nächsten Leben werde ich Eisenbahner – bevorzugt Betriebsrat!