Dass konservative und bürgerliche Themen problemlos mit moderner Politik kombiniert werden können, hat Kurz längst vorgemacht. Ihm ist es gelungen, eine schwarz-grüne Koalition zu bilden, mit der sich auch die Konservativen in den eigenen Reihen anfreunden konnten – obwohl nicht wenige von ihnen den Bruch mit der FPÖ als schmerzlich erlebt hatten. Statt aber wie die Deutschen dem Zeitgeist hinterher zu hecheln und sich einen vermeintlich grünen Anstrich zu geben, hat er das konservative und bürgerliche Profil seiner Partei geschärft und damit ein Gegengewicht zu den Grünen aufgebaut. 

Nicht wenige Standpunkte der ÖVP finden sich daher auch in Positionspapieren der deutschen Werte Union. Das ist eine CDU/CSU-nahe, gut vernetzte Bewegung, die sich selbst als wertkonservativ und unternehmerfreundlich definiert, aber vor allem wegen ihrer politischen Linie und ihrem kritischen Kurs zur scheidenden Kanzlerin Angela Merkel in der deutschen Medienblase umstritten ist. Bei den Berliner Parteigranden ruft sie ebenso Aversion hervor, was ihrer Beliebtheit in der Basis aber keineswegs schadet, im Gegenteil. Und sie kann mit populären Mitgliedern punkten, wie etwa dem früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, der sowas wie die Galionsfigur erzkonservativer Merkel-Kritiker ist, denen die CDU mittlerweile zu links, die AfD aber dennoch zu rechts ist. Seit einigen Jahren schon füllt er mit Vorträgen zum Thema innere Sicherheit reihenweise Veranstaltungssäle und spricht dabei auch Themen an, die politisch Überkorrekte schlagartig in Schnappatmung versetzen. Überraschend hat Maaßen jetzt auch eine Bundestagskandidatur für Herbst angekündigt. Seine Chancen stehen nicht schlecht, was in der Berliner Blase gar nicht gerne gesehen wird.

Wokeness wichtiger als Werte

So ätzte etwa der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Aus meiner Sicht ist Herr Maaßen in Stil und Inhalt schon länger nicht mehr kompatibel mit der Christlich-Demokratischen Union.“ Stimmen wurden laut man müsse seine Kandidatur verhindern – doch tatsächlich könnte sich sein Einzug in den Bundestag noch als dienlich für die Partei erweisen. Denn wenn man nach ersten Sondierungsgesprächen im Herbst der ohnehin schon leidgeprüften Basis erklären muss, dass man künftig mit einer Partei koalieren möchte, der Wokeness wichtiger ist als Werte, die für mehr Abtreibungen kämpft, Gendersternchen goutiert, Eigenheime verbietet, christliche Symbole verbannen, Antifa alimentieren und insgesamt alles und jeden, der eine tragende Säule in diesem Land darstellt, stärker besteuern will, kann ein sicht- und hörbares konservatives Korrektiv den Kompromiss zumindest verdaulicher machen.