
Anna Dobler: Positioniert euch!
In unserer postmodernen Gesellschaft muss sich jeder laufend positionieren – freiwillig oder unfreiwillig. Denn wer schweigt, macht sich in den Augen digitaler Sittenwächter verdächtig.
Ein guter Bekannter von mir ist Schauspieler, nicht unbedingt ein Superstar, eher so auf dem Level Nebenrolle im Tatort. Ich kenne ihn schon seit vielen Jahren, weswegen er mir neulich eine längere Sprachnachricht geschickt hat, um mir von seinem Dilemma zu berichten. Er sei von einem Kollegen am Set angesprochen worden, ob er nicht auch einen offenen Brief unterzeichnen wolle. Viele Autoren und Kollegen seien darauf, auch ein Regisseur. Der Brief thematisiert irgendeinen Aufreger in der Künstlerszene, natürlich im Kern ein identitätspolitisches Geschlechterthema. „Weißt du“, sagte mein Bekannter. „Mir ist das eigentlich komplett egal.“ Trotzdem fühle er sich jetzt genötigt, den Brief zu unterzeichnen, einfach weil eine Weigerung als Ablehnung des Anliegens interpretiert werden könnte und sowas spreche sich in der Branche schnell rum. Mein Bekannter ist kein sonderlich politischer Mensch, doch jetzt bezieht er gezwungenermaßen Position zu einem Thema, das er weder kapiert, noch unterstützt.
Tatsächlich wird von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, laufend erwartet, dass sie sich solidarisieren und positionieren. Zum Klimaschutz. Zum Gendern. Zum Tempolimit. Zur Buchmesse. Zum Nahost-Konflikt. Zur Corona-Impfung. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Mit dem Ruhm durch das Rampenlicht wird einem gleichzeitig eine immer wiederkehrende Verantwortung auferlegt, öffentlich die „richtige“ Meinung zu vertreten. Wer brav nach den Regeln spielt, gibt dann vielleicht eine versteckte Wahlempfehlung für die Grünen ab, informiert seine Follower, dass zu viel Plastik in den Weltmeeren schwimmt und gendert konsequent jeden Tweet, um ja nicht negativ aufzufallen. Denn sich nicht zu positionieren, ist auf Dauer keine Option mehr. Die Sittenwächter im Netz wachen nämlich mit Argusaugen darüber, nicht nur wie, sondern auch ob sich eine prominente Person öffentlich positioniert. Wer schweigt, macht sich grundsätzlich verdächtig.
Gleichgültigkeit wird zum Luxus
Also wird billigenden in Kauf genommen, dass irgendwelche Sternchen und Influencer verlegen Regenbogenfahnen oder schwarze Kacheln auf Instagram posten, um nicht negativ aufzufallen, aber insgeheim bei der letzten Wahl zuhause gelblieben sind, weil sie sich für Politik überhaupt nicht interessieren. Es gab eine Zeit, da war das politische noch weitestgehend privat, doch spätestens mit Donald Trump im Weiße Haus, sollte plötzlich jeder eine Meinung haben – im Idealfall eine ablehnende. Wenn man allerdings die Debatten über US-Politik in Österreich und in Deutschland verfolgt, zeigt sich schnell, dass nur die wenigsten eine fundierte Ahnung haben und sich trotzdem als Experten fühlen. Dieser Experteritis samt hysterischer Meinungsmache hat zuletzt auch während der Corona-Pandemie um sich gegriffen. Auf der einen Seite die Leugner, die bisweilen überzeugt sind, dass die Impfung gefährlicher sei als das Virus, auf der anderen Seite die Leugner-Kritiker, die mitunter am liebsten sofort einen Impfzwang ausrufen würden. In der Mitte allerdings befinden sich viele, stummere Menschen, die von dem absoluten Ton der Debatten längst genervt sind, die weder mit der einen noch mit der anderen Position sympathisieren und die generell ausreichend reflektiert sind, so dass sie im Zweifel einem Experten eine fundiertere Meinung zutrauen als sich selbst. Mir persönlich ist es beispielsweise komplett egal, ob sich jemand impfen lässt oder nicht. Ebenso egal wie die Gründe für die jeweilige Entscheidung.
Ausgestoßen
Diese bequeme Gleichgültigkeit kann ich mir nur erlauben, weil ich mich in keiner exponierten gesellschaftlichen Stellung befinde. Wäre ich ein prominenter Schauspieler, würde ich mich vielleicht, würde man mich fragen, für die Impfung aussprechen, einfach weil ich gesehen habe, wie mit anderen Kollegen umgesprungen worden ist, die sich kritisch zu den Corona-Maßnahmen geäußert haben. Wahrscheinlich würde ich auch sagen, dass ich Trump nie unterstützt hätte und dass es freilich mindestens neun verschiedene Geschlechter gibt. Denn vergleichbar mit der Politik ist man auch in der Unterhaltungsbranche maßgeblich von der gesellschaftlichen Gunst abhängig. Ein falsches Wort, ein falscher Witz, ein falscher Tweet oder eine ausbleibende oder „falsche“ Solidaritätsgeste kann einen die Karriere kosten, weil die digitalen Sittenwächter einen spätestens beim zweiten Verstoß zur Persona non grata erklären. Nicht wenige haben deswegen Angst, sich überhaupt irgendwie zu positionieren, um niemanden zu verärgern.
Mein Bekannter zum Beispiel ist der Meinung, dass es nur zwei Geschlechter gibt. „Das darf man aber nicht sagen“, fügt er gleich wissend an. Also schweigt er öffentlich. Bis der nächste erwartet, dass er sich positioniert. Da wird er dann vermutlich sagen, dass es natürlich mehr als zwei Geschlechter gibt. Hoch lebe die Meinungsfreiheit!
Anna Dobler ist eine mehrfach ausgezeichnete, ausgebildete und studierte Journalistin und Kolumnistin. Nach beruflichen Stationen in Berlin, München, Italien und Salzburg lebt und arbeitet sie mittlerweile in Wien. Auf Twitter setzt sich @Doblerin ein für freie Märkte und freie Meinung.
Kommentare
Keiner in Europa braucht illegale Armutsmigration….keiner braucht eine EU die sich in Länderproblematiken einmischt.. und es gibt Mann und Frau – und 62 Sorten von Schwul….!
Nur zu wahr – ein ausgezeichneter Kommentar von Frau Dobler!
Die Linken sind die Taliban Europas.
Man schaue sich nur die ORF-Nachrichten an, das klingt jedes Mal so, als hätten die alle eine Gehirnwäsche pardon ein Gender-Diversity-Seminar aufs Auge gedrückt bekommen und fürchteten nichts mehr, als noch einmal dorthin zu müssen (einmal im Jahr ist sicher ohnehin Pflicht beim ORF). Nachrichten über Trump werden dort auch nur gebracht, wenn sich eine Möglichkeit bietet, über ihn herzuziehen. Ähnlich bei Kurz. Hingegen über Biden, Merkel und Van der Bellen immer nur das Beste oder eben alles schöngefärbt. Und Gendern — das lernt man sicher im Seminar — immer nur bei positiv konnotierten oder neutralen Begriffen. Ich bin sicher, dass jeder, der sich weigert, mitzuspielen (Frauen etc. sind mitgemeint), ganz schnell weg ist vom Bildschirm. Entsprechendes gilt für alle, die an ORF-Produktionen mitwirken wollen.
Diese Form der gegenseitigen Kontrolle durch exzessive Nutzung der gutnachbarschaftliche Beziehungen nannte man in Kuba Comités de Defensa de la Revolución. Das war kein wirkliches Kommitee sondern der Vorsatz, der später in den New Yorker U-Bahnen plakatiert wurde: Wenn Du etwas siehst, dann melde etwas!
In einer Gesellschaft die von außen bedroht wird, ist das eine ganz natürlich Reaktion um sich zu vergewissern, das wenigstens der innere Zusammenhalt in diesen Zeiten der Bedrohung gesichert ist.
Berühmt wurde das Buch des kubanischen Journalisten Eliseo Alberto, in dem er schrieb, wie man in den Sechzigern und Siebzigern dazu angehalten wurde, jeden tag einen Rapport über sich selbst und seine nachbarn zu verfassen, wo gedankliche verfehlungen und tatsächlich begangene Taten gebeichtet wurden. Die Blockchefs des Kommitees sammelten diese Rapports jeden Tag ein, brachten sie zum Provinzvorsitzenden des Kommitees und der brachte die dann einmal in der Woche nach Havanna. Die Gaudi war, dass waren pro Block jeden Tag hunderte Seiten, pro Provinz zigtausende Seiten. Die kein Mensch las.
Was auch nicht der Sinn war, wie man Mitte der Achtziger zugab. Es ging darum, den menschen das Gefühl zu geben, einerseits kontrolliert zu werden und andererseits Teil der Kontrolle zu sein.
Der Ausweg, den die Kubaner aus dem Dilemma fanden, war: Suie schmierten völligen Schwachsinn in die Rapports, Unfug, Blödsinn, Firlefanz. Sie lachten sich schief und wichen geschickt einerseits den Kontrollen aus, aber auch den Verpflichtungen, andere zu kontrollieren.
Warum erzähle ich das alles? Um die Bürger Kubas als Beispiel anführen zu können. Sie standen vor und seit der revolution immer unter einem immensen Druck und einer völlig überzogenen Erwartungshaltung. und statt sich zu fügen, sich zu beugen, lachen sie die Kontrolleure aus, trinken Rum, rauchen Zigarren, tanzen bis ins hohe Alter Salsa und freuen sich des Lebens.
Die Bitterkeit, die manche empfinden, weil die eine oder die andere Seite cancel culture zu implementieren sucht oder jederzeit darauf pocht, sich zu irgendetwas zu bekennen, ist auch Teil einer ideologischen Haltung, die sich von links nach rechts spannt: Man sei nur ein aufrechter Bürger, wenn man sich bekennt. Zu was auch immer.
Muss man nicht. Gar nicht. Außer man arbeitet hauptberuflich in Branchen, bei denen Ideologie oder Religiösität zum Berufsbild gehört.
Man muss sich nicht immer und überall bekennen, so wie man auch nicht überall und zu jeder zeit zu allem eine Meinung oder ein Urteil zur Hand haben muss. Manchmal genügt es doch, zu sagen, sorry, aber um mir da ein Urteil zu bilden, habe ich eindeutig zu wenig Information!
Ein großartiger Artikel, der die Sache auf den Punkt bringt. Ich habe jetzt den Luxus, nicht mehr berufstätig zu sein und sage offen und pointiert meine Meinung, die oft nicht die Gewünschte ist. Funktioniert noch sehr gut, man verliert vielleicht ein, zwei Bekannte, gewinnt aber dafür neue dazu. Meine Stellung im Berufsleben war viel exponierter, da habe ich viel vorsichtiger agiert. Es ist umso erfreulicher, dass solche Gedanken jetzt auch schon in den Medien formuliert werden. Um genau zu sein in den freien Medien, die leider stark in der Minderheit sind.
Einiges erinnert zunehmend an die dunklen Zeiten der katholischen Kirche (Inquistion, Ablassbriefe/-handel, Kontrolle bis ins Privatleben, Herrschaft der Moralhüter und Sittenwächter, Scheinheiligkeit und Doppelmoral etc)
Nur dass heute inquisitionsartige Zustände und Sanktionierung der “Unbotmäßigen” über Medien und soziale Plattformen erfolgen inkl. Reputations- und beruflichen Existenzverlust, Ablässe zb in Form von “Klimaschutzbeiträgen” (um zb Flüge zu kompensieren)in Erscheinung treten, die heutigen Moralhüter und Sittenwächter aus den identitätspolitischen Kreisen kommen, Scheinheiligkeit und Doppelmoral mehr denn je fröhliche Urständ’ feiern.
Verdammt nochmal, Sie haben ja recht. Und wie!! Wir müssen sehr aufpassen, was wir sagen. Ein falsche Wort kann die Existenz kosten. Nur Chefredakteure kleiner linker Kampfblätter dürfen tun, schreiben und weitergeben, was sie wollen, auch wenn sie dabei massiv gegen Gesetze verstoßen. Denen passiert nichts. Schöne neue Meinungswelt.
Es ist gerade 200 Jahre her, als nach dem Wiener Kongress unter dem Fürsten Metternich ein massives Überwachungsregime installiert wurde, bei dem einzelne unbedachte Äußerungen Existenzen gefährden konnten.
Was heute gerne als Biedermeier-Epoche verklärt wird, war eine daraufhin erfolgte Flucht ins Private, die Orientierung in die eigenen vier Wände hinein, das Vermeiden jeder kontroversiellen Äußerung, um nur ja nicht im öffentlichen Raum anzuecken und damit Repressalien fürchten zu müssen.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber ähnelt sich.
Was nach dem Biedermeier kam, ist bekannt. Ähnlichkeiten dazu wünschen wir uns alle nicht.
In diesem Fall kann ich Ihrem Bekannten nur raten nicht zu unterschreiben.
Man hat nur ein Leben und dieses Leben ist ein wertvoller Schatz, wenn die Branche in der er arbeitet seine persönliche Souveränität nicht respektiert und ihn nur als kleines nützliches Rädchen betrachtet das für sie laufen soll dann wird man immer so behandelt werden, nicht nur in diesem einen Fall.
Dann wird man in einen Sumpf gezogen der einen verschlingt.
Wenn man Pech hat wird man obwohl man immer brav mitgemacht hat dennoch fallen gelassen.
Dann steht man da, hat sich jahrelang selbst verleugnet und wurde dennoch von der Branche aufs Abstellgleis gestellt.
Ein zweites Standbein ist in der Schauspielszene unbedingt notwendig, will man nicht zu einem willenlosen Werkzeug brutaler Fanatiker missbraucht werden.
Es gibt Momente im Leben wo man vor die Wahl gestellt wird zu einer eigenen Überzeugung zu stehen oder sich unterzuordnen.
Wenn man spürt das es der eigenen ehrlichen Überzeugung zuwider läuft ist es für die seelische Gesundheit ungemein befreiend zu sagen, das mache ich nicht.
Das heißt nicht das man sich in einen selbstzerstörenden Kampf gegen ein System werfen muß.
Einzig der Satz “Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin” kann in diesem Kunst- und Kulturkrieg unserer Zeit die richtige Antwort sein.
Guter Beitrag! Leider alles wahr!
Wahre Worte! Die Meinungsfreiheit ist zudem durch die Vorgaben der von Linken dominierten Medien, Gerichte, etc. dermaßen vorgegeben, dass schon längst die Minderheit über die Mehrheitsmeinung siegt, obwohl das Recht ja von der Mehrheit des Volkes ausgehen sollte. Die Angst des sprichwörtlichen Prangers und möglicher Konsequenzen im Job und vor der lauten Minderheit ist viel zu groß, um seine wahre Meinung vertreten zu können. Die Mehrheit traut sich nicht einmal mehr für ihre Meinungen einzustehen geschweige denn zu protestieren. Hinter vorgehaltener Hand sieht es freilich anders aus. Nur so ist es bspw. erklärlich, warum niemand protestiert, obwohl die deutliche Mehrheit der Wähler strengere Asylregeln wünscht und Österreich mit offenem Auge ins nächste Asylchaos stürzt ohne, dass sich seit 2015 etwas geändert hat. Der schweigende Österreicher schaufelt sich so sein eigenes Grab.
Danke, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Bist du nicht für uns, dann bist du gegen uns, und somit unser Feind. Und genau damit spaltet man die Gesellschaft.
Grossartig, dieser beitrag war schon lange nötig, vielen dank
👏