
Anna Dobler: Zwischenrufe unerwünscht
Seit einigen Monaten wird es zunehmend schwer, öffentlich Gegenpositionen einzunehmen, weswegen viele es vorziehen, einfach zu schweigen. Grund für die Selbstzensur sind die teils heftigen Vorwürfe, die sofort anklagend erhoben werden, wenn man sich nicht stets als Oberkatholik der Staatsgläubigkeit positioniert. Als gäbe es zwischen Karl Lauterbach und Attila Hildmann keinerlei Zwischentöne…
Rund 60 Prozent der Österreicher schließen laut einer unlängst veröffentlichten Meinungsumfrage einen neuerlichen Lockdown nicht aus. Das ist ein alarmierender Wert, denn die Bundesregierung hatte zuvor mehrfach versichert, dass ein derartiger Einschnitt in die Freiheitsrechte künftig ausgeschlossen ist. Trotzdem setzt offenbar mehr als jeder Zweite kein Vertrauen in diese Zusage. Und es ist auch eine mehr als natürliche Reaktion, denn seit dem Start der Pandemie war die politische und die öffentliche Meinung laufend einem Aushandlungs- und Adaptionsprozess unterworfen, was dazu geführt hat, dass Fakten die im März noch galten im Mai schon überholt waren.
Die Politik kann die Dosierung ihrer Maßnahmen im Endeffekt nur vom Rat der Experten abhängig machen. Jetzt sind die Experten sich aber selbst nicht einig, welche Schritte die richtigen sind, weswegen ein Wettbewerb der Ideen entsteht. Und so ein Wettbewerb ist wichtig. Denn die Einschränkungen sind massiv, die Folgen für Einzelne fatal. Da will jeder Schritt genauestens abgewägt, jede Entscheidung doppelt überdacht und jede Maßnahme hinterfragt werden.
Dass so ein Wettbewerb der Ideen aber überhaupt entstehen kann, müssen unterschiedliche Stimmen hörbar und sichtbar sein. Das funktioniert aber nur bedingt. Jüngstes Beispiel ist die Kampagne #allesaufdentisch, bei der sich Prominente und Wissenschaftler kritisch unter anderem mit den Corona-Maßnahmen der deutschen Regierung beschäftigen. Ein Teil der Akteure hat bereits im April mit der Kampagne #allesdichtmachen für Aufmerksamkeit gesorgt, bei der damals noch ein humoristischer Zugang gewählt worden ist. Stunden nach der Veröffentlichung blies den Initiatoren aber ein derart rauer Wind entgegen, dass sich vereinzelt Teilnehmer aus Sorge vor öffentlicher Ächtung und existenziellen Problemen genötigt sahen, sich von dem Projekt zu distanzieren.
Fatale Hybris
Ein ähnlicher Effekt war bei #allesaufdentisch zu beobachten, wobei dieses Mal die Teilnehmer weniger überrascht gewesen sein dürften. Für Außenstehende war die neuerliche Empörung dennoch irritierend. So twitterte etwa ein Grüner Landesminister, dass die Kampagne „rechtsradikale“, „antisemitische“ und „demokratiefeindliche“ Verschwörungen verbreiten würde. Er belegte seine Behauptung allerdings nicht, sondern löschte kurz darauf den Tweet. Wenn man jetzt die Dynamik dieses Vorgangs losgelöst vom Thema betrachtet, haben also Bürger die Arbeit der Politik hinterfragt, woraufhin ein Vertreter der Politik diese Bürger übel diffamierte anstatt sich mit den Einwänden auseinanderzusetzen. Der Wettbewerb der Ideen wird also schon unterbunden, bevor er sich richtig entfalten kann, weil einzelne Akteure offensichtlich nicht ihre eigene Fehlbarkeit akzeptieren können.
Im Prinzip müssen wir als Bürger vertrauen, dass die Politik im Kampf gegen die Pandemie alle denkbaren Szenarien unter Berücksichtigung aller gewonnenen Erkenntnisse und Fakten ordentlich abwägt und die richtigen Schlüsse zieht. Immerhin geht es nicht nur um viel, viel Geld und Existenzen sondern letztendlich auch um Leben und Tod. Sich der eigenen Fehlbarkeit dabei laufend bewusst zu sein, schützt vor einer fatalen Hybris.
Irrtum nicht ausgeschlossen
Seit einigen Monaten ist es schwer geworden, öffentlich Gegenpositionen einzunehmen, weswegen es viele vorziehen, einfach zu schweigen. Grund für die Selbstzensur sind die teils heftigen Vorwürfe, die sofort anklagend erhoben werden (Schwurbler! Leerdenker! Aluhutträger!), wenn man sich nicht als Oberkatholik der Staatsgläubigkeit positioniert. Als gäbe es zwischen Karl Lauterbach und Attila Hildmann keinerlei Zwischentöne. Man kann geimpft sein und trotzdem gegen Zwang sein. Man kann freiwillig seine Sozialkontakte reduzieren und trotzdem einen neuerlichen Lockdown ablehnen. Man kann für Freiheit auf die Straße gehen und trotzdem keine rechte Partei wählen.
Wenn sich alle Seiten auf ein gemeinsames Ziel einigen müssten, dann wäre es wohl zweifellos die Rückkehr in die Normalität. Das Ziel ist also ident, der Weg dorthin gabelt sich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man von unterwegs hier und da mal falsch abbiegt – brenzlig wird es erst, wenn man den eingeschlagenen Weg als unfehlbar einstuft, und andere damit wissentlich zurücklässt. Wir müssen uns dem eigenen Irrtum jederzeit bewusst sein. Das gilt übrigens für beide Seiten. Trauen Sie sich, Kritik zu äußern. Sie ist wichtig.
Anna Dobler ist eine mehrfach ausgezeichnete, ausgebildete und studierte Journalistin und Kolumnistin. Nach beruflichen Stationen in Berlin, München, Italien und Salzburg lebt und arbeitet sie mittlerweile in Wien. Auf Twitter setzt sich @Doblerin ein für freie Märkte und freie Meinung.
Kommentare
Wenn die Bundesregierung etwas “mehrfach versichert”, kann man inzwischen ziemlich sicher sein, dass genau das Gegenteil kurz (sic!) bevorsteht. Ebenfalls sicher kann man sein, dass dieselbe Bundesregierung nie auf den richtigen Weg zurückkehren wird, auch wenn sie zehnmal weiß, dass sie falsch abgebogen ist; das hieße ja, dass sie sich geirrt hat. Das kann sie unmöglich zugeben, da sie bekanntlich den Anspruch erhebt, im Besitz der absoluten Wahrheit und Weisheit zu sein, den sie mir Händen und Füßen und notfalls Polizeimethoden verteidigt.
Wieder einer, der vergisst,
dass man ein
auf den Schutz der eigenen Gesundheit hat…!
Zum Glück sitzen diese unfähigen Abgewählten mitsamt
den perfiden Ibiza Dümmlingen,…
noch für sehr lange Zeit auf dem Reservebankerl…!
@Krista Sie dürften vergessen haben das es ein Recht auf Selbstbestimmung gibt, Sie dürften auch vergessen haben das im Gesetz steht das Maßnahmen aufgrund von Überlastung des Gesundheitssystems erlassen werden dürfen und die Evidenzpassierend sein müssen, das ist derzeit einfach nicht der Fall, es gibt in Wien einzelne Krankenhäuser die Überlastet sind aber Wien steht nicht für ganz Österreich, in den restlichen 8 Bundesländern sieht es da anders aus als in Wien, was die ” unfähig” Abgewählten betrifft, nicht auf dem hohen Ross sitzen die nächste Wahl kommt mit Sicherheit und bis dahin werden die Menschen längst kapiert haben was hier teilweise gespielt wurde und dann reden wir weiter von den “unfähig” Abgewählten.
Ein markantes Beispiel dafür hat gerade die NÖN gegeben. Die Herausgeberin, Frau Walterskirchen, hatte in der Vergangenheit eine nicht mal so sehr kritische als vielmehr fragende Position vertreten. In ihrem letzten Kommentar hat sie nur gefragt ob die Regierung bei nicht wirkender Impfung einen Plan B hat. Seit gestern ist sie nicht mehr Herausgeberin der katholischen NÖN. Hier wäre auch Unterstützung der schreibenden Zunft dringend geboten. Heute Frau Walterskirchen, morgen die Doblerin?
👉 Wir nähern uns einem geordneten durchsozialisierten Staat wo jede abweichende Meinung mit Ausgrenzung und Ächtung bestraft wird.
Die Zukunft wird gruselig.
Danke Danke Danke
Die kath. Kirche und keine andere Religion dieser Welt ist nötig, um zu erkennen, was gut oder böse ist, noch dafür, Moral oder Ethik zu schaffen.
All das gab es lange vor dem Erscheinen eines jüdischen Wanderrabbis, der zwischen Karpanaum und dem See Genezeret hin und her lief und sich einbildete, der Sohn Gottes zu sein.
Sie können das ja natürlich gerne so apidiktisch behaupten, @Hatschi Bratschi, aber dass man für Moral und Ethik keine Religion brauche, kann man nach den grauenhaften Erfahrungen des 20. Jhs. und den neuesten woken Entwicklungen nicht mehr ernsthaft behaupten. Der naive Optimismus von Voltaire und Konsorten hat sich leider überlebt.
Es heißt apodiktisch, Hr. Braunmüller. Und das, seit Aristoteles diesen Begriff einführte.
Hatschi Bratschi ist stolz darauf, einen Tippfehler gefunden zu haben – auf einem Touchpad kann das halt passieren. Natürlich heißt es “apodiktisch”. Ich bin beeindruckt, dass Sie mich trotz meiner drastischen Unbildung ja anscheinend doch verstanden haben.
Guter, wichtiger Artikel, ein Widerspruch: der “Politik” ist in keinster Weise mehr zu trauen, sie ist naiv/überheblich/abgehoben/kriminell/korrupt und aus der Zeit gefallen, wir müssen uns von dieser Last befreien, so robust wie nötig!!
Ja, Minderheiten haben es schwer Mehrheiten zu manipulieren. Das Wahlgeheimnis ist die Macht der Demokratie (lat. Populismus).
“Oberkatholik…” Hat wenig mit dem Thema zu tun, aber dieser Strohmann ist aus der Zeit gefallen. Es gibt im deuschsprachigen Raum keine Institution, in der man bei andauernder Illoyalität gg. dem Lehramt und gegenüber katholischen Grundüberzeugungen mit sicherer Stelle so gut Geld verdienen und sich zugleich den Nimbus des linksliberalen Revoluzzer anheften kann wie die katholische Kirche.
Ja, Sie liegen grundsätzlich nicht falsch. Aber irgendwo ist es schon die Kirche, die eine moralische Instanz einnimmt – wer sonst? Ich bin praktizierender Katholik, habe aber sehr wohl Probleme, wenn die Verantwortungsethik ausser Acht gelassen wird. Ist schon ein schwieriger Pfad, gebe ich zu, aber es muss zwischen Nächsten- bzw. Fernstenliebe unterschieden werden.
@Gerhard: Sie haben vollkommen recht. Ich habe zwar etwas zugespitzt, aber die Nischen der Lehramtstreue und der Verantwortungsethik gibt es zum Glück noch in der Kirche, und ich glaube, sie werden auch wieder mehr. In meinem Ausgangskommentar ging es mir aber vor allem darum, dass es mich ziemlich nervt, dass der Katholizismus/Religion ständig als argumentativer Boxsack für alles Mögliche und Unmögliche herhalten muss…
Über 10.000 an Covid Verstorbene und das trotz rigoroser Maßnahmen der Kontaktbeschränkung.
Und weil es “eh nicht mehr” waren denken manche war eh halb so wild.
Dabei wäre es ohne Lockdowne unmöglich gewesen das Gesundheitssystem aufrecht zu erhalten.
Jetzt haben wir eine Impfung und könnten es so intelligent wie die Dänen machen, tun wir aber nicht, sondern verbeißen uns in Impfverschwörungstheorien.
Ich war nie wehleidig, wer nicht will der hat halt schon. aber eine Masseninfektion nur weil manche glauben sie seien für ihr Gegenüber nicht verantwortlich lehne ich ab.
Gegen Ischgl wird gerade prozessiert, weil im Fall des Falles ist es dann doch weit her mit der Selbstverantwortung, wie mir scheint. Dann sucht man plötzlich die Schuldigen woanders als bei sich selbst obwohl jeder schon wußte was in Italien abging.
Ich wäre damals halt nicht Skifahren und zum Apreski gegangen.