Rund 60 Prozent der Österreicher schließen laut einer unlängst veröffentlichten Meinungsumfrage einen neuerlichen Lockdown nicht aus. Das ist ein alarmierender Wert, denn die Bundesregierung hatte zuvor mehrfach versichert, dass ein derartiger Einschnitt in die Freiheitsrechte künftig ausgeschlossen ist. Trotzdem setzt offenbar mehr als jeder Zweite kein Vertrauen in diese Zusage. Und es ist auch eine mehr als natürliche Reaktion, denn seit dem Start der Pandemie war die politische und die öffentliche Meinung laufend einem Aushandlungs- und Adaptionsprozess unterworfen, was dazu geführt hat, dass Fakten die im März noch galten im Mai schon überholt waren.

Die Politik kann die Dosierung ihrer Maßnahmen im Endeffekt nur vom Rat der Experten abhängig machen. Jetzt sind die Experten sich aber selbst nicht einig, welche Schritte die richtigen sind, weswegen ein Wettbewerb der Ideen entsteht. Und so ein Wettbewerb ist wichtig. Denn die Einschränkungen sind massiv, die Folgen für Einzelne fatal. Da will jeder Schritt genauestens abgewägt, jede Entscheidung doppelt überdacht und jede Maßnahme hinterfragt werden.

Dass so ein Wettbewerb der Ideen aber überhaupt entstehen kann, müssen unterschiedliche Stimmen hörbar und sichtbar sein. Das funktioniert aber nur bedingt. Jüngstes Beispiel ist die Kampagne #allesaufdentisch, bei der sich Prominente und Wissenschaftler kritisch unter anderem mit den Corona-Maßnahmen der deutschen Regierung beschäftigen. Ein Teil der Akteure hat bereits im April mit der Kampagne #allesdichtmachen für Aufmerksamkeit gesorgt, bei der damals noch ein humoristischer Zugang gewählt worden ist. Stunden nach der Veröffentlichung blies den Initiatoren aber ein derart rauer Wind entgegen, dass sich vereinzelt Teilnehmer aus Sorge vor öffentlicher Ächtung und existenziellen Problemen genötigt sahen, sich von dem Projekt zu distanzieren. 

Fatale Hybris

Ein ähnlicher Effekt war bei #allesaufdentisch zu beobachten, wobei dieses Mal die Teilnehmer weniger überrascht gewesen sein dürften. Für Außenstehende war die neuerliche Empörung dennoch irritierend. So twitterte etwa ein Grüner Landesminister, dass die Kampagne „rechtsradikale“, „antisemitische“ und „demokratiefeindliche“ Verschwörungen verbreiten würde. Er belegte seine Behauptung allerdings nicht, sondern löschte kurz darauf den Tweet. Wenn man jetzt die Dynamik dieses Vorgangs losgelöst vom Thema betrachtet, haben also Bürger die Arbeit der Politik hinterfragt, woraufhin ein Vertreter der Politik diese Bürger übel diffamierte anstatt sich mit den Einwänden auseinanderzusetzen. Der Wettbewerb der Ideen wird also schon unterbunden, bevor er sich richtig entfalten kann, weil einzelne Akteure offensichtlich nicht ihre eigene Fehlbarkeit akzeptieren können.

Im Prinzip müssen wir als Bürger vertrauen, dass die Politik im Kampf gegen die Pandemie alle denkbaren Szenarien unter Berücksichtigung aller gewonnenen Erkenntnisse und Fakten ordentlich abwägt und die richtigen Schlüsse zieht. Immerhin geht es nicht nur um viel, viel Geld und Existenzen sondern letztendlich auch um Leben und Tod. Sich der eigenen Fehlbarkeit dabei laufend bewusst zu sein, schützt vor einer fatalen Hybris.

Irrtum nicht ausgeschlossen

Seit einigen Monaten ist es schwer geworden, öffentlich Gegenpositionen einzunehmen, weswegen es viele vorziehen, einfach zu schweigen. Grund für die Selbstzensur sind die teils heftigen Vorwürfe, die sofort anklagend erhoben werden (Schwurbler! Leerdenker! Aluhutträger!), wenn man  sich nicht als Oberkatholik der Staatsgläubigkeit positioniert. Als gäbe es zwischen Karl Lauterbach und Attila Hildmann keinerlei Zwischentöne. Man kann geimpft sein und trotzdem gegen Zwang sein. Man kann freiwillig seine Sozialkontakte reduzieren und trotzdem einen neuerlichen Lockdown ablehnen. Man kann für Freiheit auf die Straße gehen und trotzdem keine rechte Partei wählen. 

Wenn sich alle Seiten auf ein gemeinsames Ziel einigen müssten, dann wäre es wohl zweifellos die Rückkehr in die Normalität. Das Ziel ist also ident, der Weg dorthin gabelt sich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man von unterwegs hier und da mal falsch abbiegt – brenzlig wird es erst, wenn man den eingeschlagenen Weg als unfehlbar einstuft, und andere damit wissentlich zurücklässt. Wir müssen uns dem eigenen Irrtum jederzeit bewusst sein. Das gilt übrigens für beide Seiten. Trauen Sie sich, Kritik zu äußern. Sie ist wichtig. 

Anna Dobler ist eine mehrfach ausgezeichnete, ausgebildete und studierte Journalistin und Kolumnistin. Nach beruflichen Stationen in Berlin, München, Italien und Salzburg lebt und arbeitet sie mittlerweile in Wien. Auf Twitter setzt sich @Doblerin ein für freie Märkte und freie Meinung.