Seit Wochenbeginn haben mehrere Tausend Bootsmigranten Lampedusa erreich. Den Bewohnern der kleinen Mittelmeerinsel zwischen Sizilien und Nordafrika reicht es. Am Samstag protestierten Bürger gegen den Plan, ein neues Zeltlager zur Unterbringung von Migranten zu errichten. „Ich habe zwei Kinder zu Hause“, sagte ein Demonstrant. Nun mache er sich um sie Sorgen, denn er wisse nicht, was in Zukunft mit Lampedusa geschehen werde. „Lampedusa sagt Stopp!“, rief ein anderer. „Wir wollen keine Zeltlager. Diese Botschaft richtet sich an Europa und die italienische Regierung. Die Bewohner von Lampedusa sind müde.“

Lampedusa platzt aus allen Nähten. Das Aufnahmezentrum der Insel, das für weniger als 400 Menschen gebaut wurde, ist überfüllt mit Männern, Frauen und Kindern.APA/AFP/Alessandro SERRANO

Das Wort ergriff auch der stellvertretende Bürgermeister von Lampedusa, Attilio Lucia: „Flüchtlinge sind nicht willkommen. Lampedusa muss frei sein. Wir wollen vom Tourismus und der Fischerei leben, nichts weiter! Niemand in Italien will afrikanische und asiatische Eindringlinge, die Geduld hat ein Ende.“

Scharfe Kritik an EU: „Haben nicht die geringste Ahnung, was hier geschieht“

Lucia gehört der Lega Nord an, der Chef Italiens stellvertretender Ministerpräsident Matteo Salvini ist. Seit Beginn der Migranten-Invasion auf Lampedusa warnt er vor einer Eskalation. Schon vor Tagen übte er scharfe Kritik an der Politik. „Ich appelliere an alle politischen Kräfte im Amt: Auf Lampedusa herrscht absolute Notlage“, erklärte er. „Ich wende mich an die nationalen und europäischen Institutionen, die nicht die geringste Ahnung davon haben, was heute in Lampedusa geschieht. Ich lade Sie ein, vorbeizukommen und es mit eigenen Augen zu sehen. Wir können und wollen uns diesem Migrationsphänomen nicht länger stellen, solange die Europäische Union angesichts eines Ereignisses, das in die Geschichte eingehen wird, kurzsichtig bleibt. Lampedusa braucht Lösungen und zwar sofort.“

Die winzige italienische Insel Lampedusa kämpft mit einer Flut von Migrantenbooten aus Nordafrika.APA/AFP/Alessandro SerranÚ

Von der Leyen wird am Sonntag Lampedusa besuchen

Tatsächlich wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen an diesem Sonntag auf Lampedusa erwartet. Damit folgte sie der Einladung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Italiens Regierungschefin pocht ebenfalls auf ein Eingreifen der EU, damit Migranten auf dem Weg über das Mittelmeer gestoppt werden – sie brachte sogar einen Marineeinsatz ins Gespräch, um die Migranten schon von der Abfahrt abzuhalten. Um sich „persönlich den Ernst der Lage, in der wir uns befinden, bewusst zu machen“, hatte sie Von der Leyen nach Lampedusa eingeladen.

Von der Leyen (r.) und Meloni (l.): Beide haben bereits im Juni Tunesien besucht.APA/AFP/VINCENZO PINTO

Meloni und von der Leyen hatten im Juni gemeinsam Tunesien besucht, von wo aus die meisten Migranten in Richtung Italien aufbrechen. Die EU plant ein Abkommen mit dem nordafrikanischen Land: Im Gegenzug für millionenschwere Finanzhilfen soll Tunesien künftig stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen.

EU scheitert seit Jahren an Reform des Asylsystems

Den EU-Staaten ist es bis heute nicht gelungen, eine umfassende Reform des europäischen Asylsystems zu verabschieden. Vor allem die Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen beklagen mangelnde Solidarität der anderen Partner.

Lampedusa gehört wegen der Nähe zur tunesischen Küstenstadt Sfax seit Jahren zu den Brennpunkten der Migration nach Europa. Allein am Dienstag kamen mehr als 5000 Menschen an – so viele wie noch nie an einem einzigen Tag. Zeitweise war das Erstaufnahmelager mit rund 6800 Menschen maßlos überfüllt.