Angesichts einer Blockade des UNO-Sicherheitsrats kommt der Gruppe der G20 nach Einschätzung des brasilianischen Außenministers Mauro Vieira eine Schlüsselrolle bei der Lösung internationaler Krisen zu. “Brasilien ist zutiefst besorgt über die derzeitige internationale Lage in Bezug auf Frieden und Sicherheit”, sagte er am Mittwoch zum Auftakt des zweitägigen Außenministertreffens der Gruppe der führenden und aufstrebenden Wirtschaftsmächte (G20) in Rio de Janeiro.

Der Weltsicherheitsrat und die UNO-Vollversammlung seien momentan nicht in der Lage, die derzeitigen Herausforderungen zu bewältigen. “Angesichts der aktuellen Situation ist die G20-Gruppe heute das vielleicht wichtigste internationale Forum, in dem sich Länder mit gegensätzlichen Ansichten noch immer an einen Tisch setzen und produktive Gespräche führen können.”

Baerbock: Kriege treffen die Ärmsten der Armen

Bei dem Treffen in der brasilianischen Küstenmetropole stehen die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen sowie eine Reform des internationalen Systems im Mittelpunkt. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock rief Russland zum Ende des Ukraine-Kriegs auf. “Wenn Ihnen Menschenleben am Herzen liegen, wenn Ihnen Ihr eigenes Volk am Herzen liegt, russische Kinder und Jugendliche, müssen Sie diesen Krieg jetzt beenden”, sagte sie direkt an den russischen Außenminister Sergej Lawrow gewandt, der drei Plätze links von ihr saß. “Wenn Russland diesen Krieg jetzt beenden würde, wäre morgen der Weg zum Frieden und zur Gerechtigkeit weit offen”, fügte Baerbock hinzu.

Die G20-Runde rief Baerbock eindringlich auf, ihr Gewicht für eine Lösung der Krisen in der Ukraine und in Gaza einzusetzen. “Die Auswirkungen dieser beiden Kriege treffen vor allen Dingen weltweit wieder die Ärmsten am härtesten.” Deswegen sei es so wichtig, dass die G20 neben der Fragen von Gerechtigkeit, Klimaschutz und Bekämpfung der Armut nach Wegen für Frieden in der Ukraine und im Nahen Osten suchten.

Außenminister Vieira kritisierte, dass weltweit viel mehr Geld in das Militär als in den Kampf gegen Armut und Klimawandel investiert werde. “Wenn Ungleichheit und Klimawandel tatsächlich existenzielle Bedrohungen sind, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es uns an konkreten Maßnahmen zu diesen Themen fehlt. Wir stehen vor gigantischen Herausforderungen in Bezug auf den Klimawandel und die Umwelt”, sagte Vieira. “Wir haben dringende Probleme zu lösen, wenn es um Entwicklung und den Kampf gegen Hunger, Armut und Ungleichheit geht. Dies sind die Kriege, die wir im Jahr 2024 führen müssen.”

Moskau wolle die internationalen Institutionen zerstören

Vor dem Treffen der G20-Minister traf Vieira seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Nach einer freundlichen Begrüßung sei über eine Reihe von bilateralen und internationalen Themen gesprochen worden, teilte das russische Außenministerium mit. Brasilien setzt sich seit Langem für Friedensverhandlungen ein, um den russischen Krieg gegen die Ukraine zu beenden. Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat angekündigt, er werde die G20-Präsidentschaft für weitere Friedensbemühungen nutzen. Ähnlich wie andere linke Staatschefs in Lateinamerika hat Lula den russischen Überfall auf die Ukraine zwar kritisiert, hält sich mit deutlichen Worten gegenüber Moskau aber zurück. Viele Länder in der Region sind vor allem wegen der wirtschaftlichen Folgen des Krieges auf die Weltwirtschaft und die Lieferketten besorgt.

Baerbock kritisierte, mit Russland sitze ein Akteur mit am G20-Tisch, “der die internationalen Institutionen nicht reformieren möchte wie alle anderen”. Lawrow nannte sie dabei nicht mit Namen. Moskau wolle die internationalen Institutionen und insbesondere die Charta der Vereinten Nationen zerstören. Deswegen sei auch zwei Jahre nach Beginn des Krieges “das gemeinsame Einstehen der G20 für das internationale Recht, für die Charta der Vereinten Nationen so wichtig”.

Der G20-Runde gehören neben Deutschland, Frankreich und den USA unter anderem auch Russland und China an. Die Gruppe steht für etwa 80 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft und 60 Prozent der Weltbevölkerung. Aktuell hat Brasilien den Vorsitz. Chinas Chefdiplomat Wang Yi wird nicht nach Brasilien reisen. Stattdessen werde sein Vize Ma Zhaoxu China vertreten, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning am Mittwoch in Peking. Wang könne aus “terminlichen Gründen” nicht teilnehmen, hieß es. Zuvor war der Chinese in der vergangenen Woche zur Münchner Sicherheitskonferenz gekommen und hatte danach Spanien und Frankreich besucht.