Betrachtet man die Zahlen des Impf-Dashboards des Gesundheitsministeriums, fallen besonders zwei Gruppen mit wenig weit fortgeschrittener Durchimpfung auf. Bei jungen Personen und in Bezirken mit hohem Migrationsanteil scheint die Impfung auf wenig Begeisterung zu stoßen. Evidenzen und Erhebungen zu Beweggründen gibt es noch nicht – also mache ich mich mit einer Kamerafrau auf den Weg und frage Passanten am Meiselmarkt, auf der Meidlinger Hauptstraße und im Auer-Welsbach-Park nach ihren Beweggründen für oder gegen eine Impfung.

Rares Gespräch mit jungen Tschetscheninnen

Spannend ist die Sicht dreier junger Tschetscheninnen, die mit fast einem halben Dutzend ihrer Kinder in einem kleinen Park im Herzen des 15. Bezirks spielen. Als ich auf sie zugehe, sehen sie mich überrascht an. Die jungen Frauen sind optisch deutlich als Musliminnen zu erkennen, von Kopf bis Fuß bedeck, das Kopftuch eng anliegend.Sie sind hier aufgewachsen, sprechen sehr gutes Deutsch. Nach einigen Bemühungen und der Versicherung meinerseits, dass alles anonym bleibe und wir sie auch nicht filmen, wenn sie das nicht wollen, erklären mir die jungen Frauen, die durchaus selbstbewusst auftreten, wieso eine Impfung für sie nicht in Frage kommt.

"Ich würde eher den Job aufgeben, als mich impfen zu lassen"

Die 18-jährige Tschetschenin Aila (Name von Redaktion geändert) schüttelt den Kopf, für sie käme eine Impfung aus gesundheitlichen Gründen nicht in Frage. Sie wolle sich keinerlei Risiko aussetzen, vor der Krankheit habe sie keine Angst. Auch die Impfpflicht würde nichts an ihrer Entscheidung ändern, sie gehe eh nicht viel raus, 3-G habe sie gar nicht wirklich mitbekommen. Auch die Ansichten der Ältesten der Frauen, einer 27-jährige dreifache Mutter, sind durchaus interessant. Ihr Bruder sei seit einer Kinder-Impfung an den Rollstuhl gefesselt – unter anderem habe ihr auch dieser Schicksalsschlag das Vertrauen gegenüber Impfungen genommen, ihre Kinder seien alle ungeimpft. Wenn der älteste Sohn das Pflicht-Jahr im Kindergarten antreten muss, werde sie sich etwas überlegen müssen. Die selbstbewusste Mutter mit hellblauen Augen und blau-schwarzem Kopftuch arbeitet in einem Pflegeberuf. Als ich sie frage, ob sie ihre Meinung bei einer drohenden Impfpflicht ändern würde, schüttelt sie den Kopf. „Nein, dann muss ich eben den Beruf aufgeben. Meine Kinder sind klein und brauchen mich, da kann ich mich nicht mit so etwas impfen lassen“. Sie spricht aus Überzeugung, sieht mir in die Augen. Die drei sind sich einig, Impfen kommt für sie nicht in Frage. Auch in ihrem familiären Umfeld ist eine Impfung nicht denkbar, komme was wolle. Es werde  zusammengehalten, wegen einer Arbeitsstelle werfe man nicht seine Überzeugungen über Bord. ” Wenn das wirklich kommt, dann bin ich halt arbeitslos”, sagt eine der Frauen. Ich bedanke mich, die Kinder spielen mit dem Equipment der Kamerafrau.

Stadt Wien "kümmert sich um uns"

Völlig anders sieht das Herr Vasic, ein 66-jähriger Pensionist, der schon in „die sibzga Joar“ nach Österreich gekommen ist. Er sitzt mit seinem Freund auf einer Parkbank, sie rauchen und unterhalten sich auf serbisch. Als ich ihm versichere, dass seine Deutschkenntnisse ausreichend sind, erzählt er mir, er habe vor ein paar Tagen den Zweitstich bekommen und fühle sich gut. „Wir müssma gesund bleiben, alle zusammen in der Familie, dass ma Eis essen gehen können oder Kaffee.“  Die Stadt Wien kümmere sich um die Leute, die wollen, dass alle gesund bleiben, ist er sich sicher. Auch eine Impfpflicht befürwortet er, in Serbien bekämen die Leute sogar Geld, wenn sie sich impfen lassen–das findet er aber übertrieben. Auch seine Familie sei schon geimpft, sein Sohn arbeite für die Wiener Linien und vertraue der Stadt Wien sehr.

"Ich bin erleichtert"

Auch mit einem anderen früheren Bediensteten der Stadt Wien komme ich ins Gespräch, er erzählt, dass er sehr froh ist, schon geimpft zu sein. Er habe große Angst vor dem Virus gehabt und fühle sich jetzt sicherer. Bei der Gelegenheit zeigt er uns auch seinen Bauch, den eine große Narbe zeichnet. „Jo, des woa scho vor 15 Joa.“ Dem pensionierten Busfahrer sei von einem aggressiven Fahrgast mit tschetschenischem Background mehrere Male in den Bauch gestochen worden. Weil er ihm gesagt habe, er solle sich im Bus benehmen. „Aber der hat ka Glück ghabt mit mir. I hob erm danach ordentlich ane poscht“.

"Ich sage nix mehr"

Einer der nächsten Befragten, der nicht vor die Kamera möchte, ist der Besitzer eines türkischen Handyshops. Er und sein Mitarbeiter erklären mir in gebrochenem Deutsch, sie wollen kein Interview geben, seien aber beide geimpft. Sie schimpfen über die Regierung, mehrere Male fällt der Name „Erdogan“. Zusammenhänge sind nur schwer verständlich, als ich nachfrage, sagt der alte Mann nur genervt „Na, ich sage nix mehr, Aber schlimm ist. Mich nicht fragen, sonst ..“

Wir sind mittlerweile auf der Johnstraße, sprechen Personen vor dem Einkaufszentrum an. Eine ältere, sehr freundliche Pensionistin, ebenfalls eine ehemalige Gastarbeiterin, erklärt uns, sie wolle sich eigentlich nicht impfen lassen. Wenn es aber nicht mehr anders gehe und sie nicht mehr in die Apotheke oder in den Supermarkt gehen dürfte, würde sie die Corona-Impfung dann doch in Erwägung ziehen.

Wir begegnen einem kleinen älteren Mann mit Tattoowierung am Arm. Als ich ihn frage, antwortet er mir auf serbisch. Wir diskutieren in seiner Landessprache, ich bitte ihn, vor der Kamera auf deutsch zu antworten. Er schüttelt den Kopf, man könne eh niemandem mehr vertrauen. Dann dreht er sich weg und geht laut schimpfend davon.

"Unsere Eltern hinterfragen alles"

Besonders spannend sind die Meinungen der jungen Personen, die ich interviewe. Eine junge Studentin mit bosnisch-serbischem Background erzählt mir in der Nähe der U6-Station Gumpendorfer Straße, sie wolle sich eigentlich nicht impfen lassen. Sie akzeptiere 3-G, man könne sich ja testen lassen und müsse sich eben an die Gegebenheiten anpassen. An der Impfung und den Langzeitfolgen habe sie nun aber ernsthafte Zweifel. Den Druck, den sie von Arbeitskollegen und der Gesellschaft im Generellen spüre, werde aber immer größer. „Aber wenn es dann gar nicht mehr anders geht, dann müsst ich das dann halt durchziehen.“  Sie sei in Ausbildung und würde gerne fürs Finanzministerium arbeiten, im Vorbereitungslehrgang werde man aber von den Beamten schnell in die Schublade „Impfgegner“ gesteckt und eher abwertend behandelt, „der Druck steigt“, sagt sie. Sie verdeutlicht das Problem der Spaltung, erzählt, in der „Jugo-Community“ würde man über sowas nicht wirklich reden, im österreichischen Berufsfeld würden Sympathie oder Antipathie aber sehr stark aufgrund der persönlichen Ansichten bezüglich Corona entstehen. Auf die Frage, wieso das Impfen besonders in Fünfhaus nicht so gut ankommt, meint sie: „ Bei uns ist es so, dass unsere Eltern halt immer alles hintefragen und ihre eigenen Theorien aufstellen.“ Man würde den Medien nicht so vertrauen.

"Ich würde mich nicht freiwillig dafür entscheiden"

Der nächste junge Mann, den ich im Auer-Welsbach-Park in Fünfhaus befrage, erzählt Ähnliches. Er ist über sein Biologie-Buch gebeugt, als ich ihn frage, ob er etwas dazu sagen möchte. Nach anfänglichem Zögern dann ein „Ja ok.“ Der 20-jährige Wiener Marco, dessen Eltern aus Bosnien stammen, will sich nicht impfen lassen. Auf die Frage, was passieren müsste, damit er seine Meinung ändert, sagt er „ Eigentlich müsste man mich dazu drängen. Ich würde es gerne freiwillig entscheiden, werde mich aber nicht für eine Impfung entscheiden.“ In seiner Community denke man anders darüber, sagt er.

"Vitamine und Sport schützen mich"

Wir wechseln den Standort, fahren nach Meidling. Es ist mittlerweile früher Nachmittag. Nach einer spontanen Befragung von vier Pensionisten,  die trotz verschiedener Impf-Ansichten freudig gemeinsam ein Bier trinken, erwische ich zwei junge Sportler vor einem Shop für Nahrungsergänzungsmittel. Der Größere der beiden spricht gut Deutsch, sein Dialekt klingt Osteuropäisch. Er lebe momentan in Wien und spiele hier beruflich für einen Fußballverein. Impfen wolle er sich auf keinen Fall lassen, er habe den Virus auch schon gehabt und es sei nicht schlimm gewesen. Seine Schwester sei sehr belesen und habe die Studien zu der Impfung genauestens unter die Lupe genommen. „Nein, auf keinen Fall wird sie das machen. Leider, mein Vater musste sich jetzt wegen seinem Beruf impfen lassen, das war schwer.“ Er sei der Überzeugung, Sport, Vitamine und gesunde Ernährung würden den besten Schutz geben, für junge Menschen bestehe da kein Bedarf einer „künstlichen“ Maßnahme, wie er sagt.

Ein junger Afghane, den wir mit seinem Sohn im Park antreffen, scheint die Sache nicht so emotional zu sehen. Er sei 27 und schon geimpft. Als ich ihn nach seinen Beweggründen frage, sagt er „ Meine Frau und meine Schwiegermutter sind auch impfen gegangen. Da bin ich eben mit. Außerdem denke ich, ich bin jetzt ja auch geschützt“ Seinen Sohn würde er aber nicht impfen lassen, sagt er.

Spaltung deutlich spürbar

Als wir zur Redaktion zurückfahren, reflektiere ich den Tag. Auffällig war, dass sich fast alle älteren Herrschaften für eine Impfpflicht aussprachen. Junge Menschen sahen dies deutlich kritischer, fühlten sich aber oft machtlos. Ich erinnere mich zurück an die Tschetscheninnen, die mir am Schluss des Gesprächs gesagt hatten: „Wenn die Pflicht kommt, dann ziehen wir uns eben zurück. Kein Job kann an unserer Entscheidung etwas ändern.“ Für viele junge Menschen, die kein Teil der Risikogruppe sind und eine Infektion oft vollkommen symptomlos überstehen, scheint die Lage schwierig. Mehrere der Befragten schließen eine freiwillige Impfung aus. Ist es wirklich notwendig, die Gruppe der unter 25-jährigen zu etwas zu drängen, das sie nicht aus freien Stücken tun wollen? Eine Spaltung zwischen Alt und Jung, zwischen migrantisch und nicht-migrantischem Hintergrund wird durch diese Frage jedenfalls deutlich voran getrieben.