Eine der wichtigsten Philosophinnen des 20. Jahrhunderts war Hannah Arendt. Breite Bekanntheit hat ihre These von der „Banalität des Bösen“ erlangt. Das Böse ist für Arendt durch eine geradezu unmenschliche moralische Stumpfheit geprägt. Der böse Mensch ist einer, der sich deshalb niemals als böse wahrnehmen kann, weil er sich der Selbstreflexion verweigert. Er erkennt das Böse am eigenen Handeln nicht, weil er nicht darüber nachdenkt, was er tut. Und wie zu Arendts Lebzeiten, trägt auch das Böse unserer Tage den Mantel des Konformismus. Die Konformisten nennt Arendt „les bien-pensants“, Gutmenschen und Mitmacher, die, während sie pathetisch die Moral lobpreisen, mehr als alle anderen dazu neigen, „sehr unverantwortlich zu werden“. Folgt man Arendt, so sind „les bien-pensants“ Scheinmoralisten, für die Moral und Gesinnung nur nützliche Werkzeuge zur Durchsetzung egoistischer Interessen sind. Ein Paradebeispiel eines konformistischen Heuchlers ist der mutmaßliche Kurzzeitvorsitzende der SPÖ, Andreas Babler. Kennt man seinen Lebensstil und sein Umfeld nicht und beurteilt ihn nur nach seiner banal-biederen Theaterrolle des Arbeiterführers, so könnte man meinen, er wäre ein asketischer Idealist wie Herbert Kickl. Aber der echte Babler ist genau das Gegenteil seiner öffentlichen Rolle des sozialistischen Gerechtigkeits- und Gleichheitsapostels. Tatsächlich ist er ein konformistischer Mitmacher, der gerne mit den Wirtschaftseliten auf die Jagd geht, um unter den Mächtigen karriereförderliche Beziehungen zu knüpfen. Den Klassenkämpfer gibt der Arbeiterführer nur vor den TV-Kameras. Gehen die Medienscheinwerfer aus, verwandelt sich der Tiger des Arbeiterkampfes in einen moralisch stumpfen Bettvorleger der Bourgeoisie. Mit Kurt Tucholsky könnte man sagen, dass Andreas Babler seine Überzeugungen in dem Augenblick hinter sich warf, als er in die Lage gekommen war, sie zu verwirklichen.

Der Populist, der sich hemmungslos an den Schmalztöpfen der Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Gemeinschaftlichkeit bedient …

Was ist nun aber das Verwerfliche, und damit das Böse, am Scheinmoralisten? Es ist die Nonchalance, mit der er in kantianischer Manier seine Werte zu universellen Prinzipien erhebt, um sich dann selbst um diese einen Schmarren zu kümmern. Schon in der Antike galt die Mäßigung als eine hohe Tugend. Sie stand auf einer Stufe mit Gerechtigkeit, Weisheit und Tapferkeit. Böse ist, wenn sich jemand als maßvoll und bescheiden auf der Vorderbühne der Gesellschaft inszeniert, auf den Hinterbühnen der Macht sich aber maßlos dem Luxuskonsum hingibt. Wer den Arbeiterführer spielt, den einfachen Menschen, den Idealisten, den es vor allem um die Armen und Gequälten geht, dem steht es schlecht an, in einem Fünfsterne-Luxus-Resort auf Zypern seinen Urlaub zu verbringen. Vor allem dann, wenn er mit einer bösartigen Neidkampagne gerade versucht, die Massen gegen den im Vorjahr verstorbenen erfolgreichen Unternehmer Dieter Mateschitz aufzuhetzen. Der Populist, der sich hemmungslos an den Schmalztöpfen der Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Gemeinschaftlichkeit bedient, sollte gefälligst daherkommen wie das Gegenteil eines Bacchanten, Orgiasten oder Luxus-Konsumenten. Bescheiden und genügsam soll er einhergehen, wie einst die alten Arbeiterführer vom Schlage eines Anton Benya, der bis zu seinem Ende in einer einfachen Stadtwohnung, ich glaube gar im Gemeindebau, gelebt hat. Ein Luxusleben führen und die anderen zur proletarischen Bescheidenheit ermahnen, ist hingegen von moralischer Stumpfheit geformte Niedertracht, die an die Kultur des Wandlitz-Kommunismus der DDR-Eliten gemahnt.

Es ist die fehlende Authentizität und die nun offensichtlich gewordene moralische Instinktlosigkeit, die Andreas Babler am Ende, politisch gesehen, das Genick brechen werden. Denn es gibt nur zwei Charaktermasken, mit denen man als Sozialdemokrat erfolgreich sein kann. Entweder als Nadelstreifsozialist à la Vranitzky, zu dem die Leute als großen Sohn ihrer Klasse ehrfürchtig aufgeblickt haben, weil er es geschafft hat, aus dem depressiven Gemeindebaumilieu heraus in die Elite aufzusteigen. Oder den einfachen und unprätentiös gebliebenen proletarischen Kleinbürger, wie es der NR-Abgeordnete Otto Pendl aus Niederösterreich gewesen ist, bei dem Luxus und High Society kein hitziges Begehren auslösen konnten, weil er zufrieden in seinem kulturellen Herkunftsmilieu ruhte und die Glamourwelt der High Society und die aufgeblasenen Marbella-Urlauber und Patek Philippe-Träger, die lediglich der gnadenlose Zufall an die Spitze der Republik gespült hat, wohl als lächerliche Figuren empfand.

Andreas Babler ist der Prototyp eines postmodernen Populisten.

Bei Hannah Arendt erscheint das Böse häufig in Verbindung mit dem Sadismus, dem Erleben von Lustgefühlen, angesichts des Leidens anderer. Nach einem der großen Kirchenväter gehört zu den Freuden des Paradieses auch der Vergnügen bereitende Blick auf die Schmerzen und Leiden der in die Hölle verstoßenen. Abgeurteilt und zur Hölle geschickt wurde von der SPÖ unter dem woken Babler ihre alte Kernwählerschaft. Insgeheim erfreut man sich nun wohl über die panische Angst der Verstoßenen vor dem muslimischen Sturm auf Europa, das dabei ist, sich in die Hölle auf Erden zu verwandeln. Vom Pausenclown eines roten Umerziehungsradios lässt man ihnen in ihre neue politische Heimat bösartige Beleidigungen nach plärren. Einigen Parteivorstandsmitgliedern hat man wohl das Riechfläschchen reichen müssen, um sie aus der genüsslichen Erregungsohnmacht herauszuholen, die die entzückende sadistische Wut-Attacke eines infantilen Deppen auf normale Menschen bei ihnen ausgelöst hat. Es ist schon geil, wenn die, die nicht hören wollen, bestraft werden. Anstelle der einfältigen „Normalos“ hat die Sozialdemokratie nun ein buntes Bouquet exotischer Randgruppen für sich entdeckt, die den Medieneliten gefallen, weil sie spannender und unterhaltsamer sind als die biedere Industriearbeiterschaft.

Andreas Babler ist der Prototyp eines postmodernen Populisten. Wie einst Jörg Haider gleitet er flexibel an der Oberfläche der Ereignisse dahin, einmal Marxist, dann wieder nicht, aber immer Narzisst. Er ist wie ein schwankendes Schiff ohne Tiefgang, geschüttelt von den politischen Gezeiten. Sein Handeln ist nicht von Vernunft motiviert, sondern von Gefühlen geleitet. Voller Hingabe wirft er sich in die überspannte Atmosphäre einer mit Sentiment aufgeladenen Theaterpolitik, in der er den Robin Hood der vom Kapital Entehrten gibt, der mit leeren sozialdemokratischen Worthülsen um sich wirft. Irgendwie hat der hilflose Helfer Babler etwas von der Dramaqueen Annalena Baerbock, wirkt aber wie eine unbeholfene Kopie des Originals. So erscheinen Österreicher häufig, wenn sie ihre akkuraten deutschen Vorbilder nachzuahmen versuchen.

Die breite Masse unserer Tage ist rebellisch, zornig, nonkonformistisch, Staats-skeptisch und wütend.

Aber Babler hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn die postmodernen Unterklassen und Mittelschichten wollen nicht mehr als Opfer eines übermächtigen „Systems“ gelesen werden, als einfältige und unbeholfene Deppen, die der Rettung durch eine Arbeiteraristokratie, die selbst niemals richtig gearbeitet hat, bedürfen. Dementsprechend wollen sie auch nicht als gramgebeugte Verlierer gezeichnet werden, die sich bei der Caritas dankbar um die Klostersuppe anstellen dürfen, um zu überleben. Und sie wollen sich auch nicht in die staatliche Totalversorgung einbetten lassen und einem Arbeiterführer folgen, der für sie das Menschenrecht erkämpft. Die Bevormundung durch die autoritäre Coronapolitik hat die Proleten der Gegenwart vorsichtig gemacht. Sie wollen keine Staatsalmosen und keine vom AMS verordneten Achtsamkeitsmeditationen. Kurz, sie wollen nicht ihre Abhängigkeit vom Kapital gegen die Abhängigkeit von einer autoritären woken Sozialbürokratie tauschen, denn diese ist immer schlimmer.

Babler und Co täuschen sich, wenn sie glauben, die Mittelschichten und Proletarier unserer Tage sind anhänglich, unselbständig und anlehnungsbedürftig wie die wohlstandsverwahrlosten Kinder der Eliten, die sich gerne in einen Caritasstaat einkuscheln und sich von ihren Helikoptereltern an der Hand zur Uni führen lassen, um dort gemeinsam das richtige Studium auszusuchen. Die breite Masse unserer Tage ist rebellisch, zornig, nonkonformistisch, Staats-skeptisch und wütend. Sie will handeln und nicht behandelt werden, von einem autoritären Sozial- und Behördenstaat, der absehbar in einer rot-grünen Variante der „Schönen neuen Welt“ jenseits der Demokratie gipfeln wird. Die werktätigen Massen unserer Tage trotten nicht mehr selbstvergessen und unterwürfig den Bablers hinterher. Sie wollen unabhängig sein und selbstbewusst ihre eigenen Wege gehen.