Nachdem an die Öffentlichkeit gekommen war, dass Schilling ein bekanntes Aktivistenpaar der linken Szene auf das Übelste verleumdet hatte – sie dichtete ihnen eine Gewaltbeziehung an – landeten die Grünen in einem Alptraum, aus dem sie ohne großer, bleibender Schäden hätten erwachen können, hätten sie nicht die aufziehende Katastrophe drei Wochen lang verdrängt und nach Aufkommen der ersten üblen Geschichten darauf bestanden, dass alles nur bedeutungsloses anonymes „Gmurckse und Gefurze“ sei und eine unwahre, bösartige Kampagne der früher liberalen, seit geraumer Zeit stramm linken, Tageszeitung „Der Standard“ wäre. War die Büchse der Pandora bis zu diesem Zeitpunkt nur einen Spalt geöffnet und man hätte sie durch geschicktes Krisenmanagement wieder schließen können, rissen die grünen Spitzen die Kiste des Unheils durch das unerschütterliche Negieren des Problems angelweit auf und so entströmte dieser ein ganzes Geschwader von Schilling-Anekdoten, eine verstörender als die andere. Schon in der Umweltbewegung sprach man bereits vor Jahren von sogenannten „Lena-Storys“. Damit waren frei erfundene Geschichten über „unerhörte Begebenheiten“ gemeint, die sich weniger am Stil von Gottfried Keller als an dem des Dekamerons von Giovanni Boccaccio anlehnten. Die Novellen-Dichterin arbeitete sich nach und nach vom leichten Komödienfach, in dem noch lustvoll vorgetragene Affären anderer ihr Schaffen bestimmten, zum tragischen Fach hoch, in dem es dann, für unsere von der MeToo-Bewegung geprägten Zeiten ganz typisch, um sexuelle Bedrängung und toxische Gewaltbeziehungen ging. Glaubt man den vom Standard gehorteten Chats und eidesstattlichen Erklärungen, so bezichtigte die Öko-Heilige nicht nur Sebastian Bohrn Mena gewalttätiger Übergriffe gegen seine Frau Veronika. Auch bedrängende Annäherungsversuche eines Journalisten von Puls 4 und eines grünen Abgeordneten ließ Schilling in ihrer Blase kursieren. Einem Spitzenjournalisten des ORF dichtete sie ein Verhältnis mit ihrer Klubobfrau Sigi Maurer an. Auch von dieser fühlte sie sich bedrängt. Letzteres berichtete der Standard, Schilling dementierte. Das bis jetzt finale große Narrativ der begabten Dichterin betraf den Spitzenkandidaten einer Konkurrenz-Partei für die Wahl zum Europaparlament. Auch ihn bezichtigte sie, gegenüber seiner Frau gewalttätig geworden zu sein. Bei den geschilderten Fällen erkennt man nicht nur ein gemeinsames Muster, sondern auch die zunehmende Eskalation. Offenbar brauchte die junge Frau einen immer stärkeren Stimulus, um mit ihren Dichtungen und deren Folgen zufrieden zu sein. Jedenfalls scheinen die Vorwürfe von Mal zu Mal gravierender und massiver zu werden.

Der Fall Kneissl ist übrigens auch ein herausragendes Beispiel dafür, wie man jemanden durch eine herz- und hirnlose Menschenjagd radikalisieren und ins gegnerische Lager treiben kann.

Die Abwehrkommunikation der Grünen war stereotyp, ganz so, wie man sie von einer ideologisch festgefahrenen linken Gruppe erwartet. Alles seien nur eine der üblichen Kampagnen gegen eine junge Frau, die von toxischen, alten, weißen Männern herrühren. Und die gesamte Berichterstattung ist das stillose, skandalöse Eindringen in die Privatsphäre der Spitzenkandidatin. Auf das Angebot, in der Sache selbst aufklärend aktiv zu werden, wartet man bis heute vergeblich. Selbst der alte grüne Bundespräsident, wie immer völlig unparteiisch und auf Äquidistanz zu allen politischen Parteien bedacht, mahnte bloß großväterlich Politik und Medien, das Privatleben der Politiker zu respektieren. Dass zwei Wochen davor eine „investigative“ nicht autorisierte Biografie über Herbert Kickl erschienen war, in der dieser als verbissener, verbohrter, verkrampfter, aggressiver und soziophober Quartalsäufer mit einem Nazigroßvater beschrieben wird, ist am Staatsoberhaupt offenbar unbemerkt vorbeigegangen, genauso wie die auf das Privatleben von Karin Kneissl, Gernot Blümel, HC Strache und Sebastian Kurz gerichteten Invektiven aus Parteien und Medien in den letzten Jahren. Ex-Außenministerin Kneissl wurde im Zuge einer Medienkampagne nicht nur aus dem Land, sondern aus Europa vertrieben und lebt heute irgendwo in Russland. Der Fall Kneissl ist übrigens auch ein herausragendes Beispiel dafür, wie man jemanden durch eine herz- und hirnlose Menschenjagd radikalisieren und ins gegnerische Lager treiben kann.

Das Fazit der ganzen unerträglichen Geschichte aber ist, dass die Grünen längst keine Partei neuen Typs mehr sind.

Die Selbstverteidigung von Lena Schilling war decouvrierend. Als sie meinte, dass sie „ohne groß nachzudenken“ das gemacht hat, „was alle machen“, hat sie ihr persönliches Bild von Gesellschaft und Politik schonungslos offengelegt. Offensichtlich ist sie der Ansicht, dass wir alle jenseits von Gut und Böse, also frei von Moral leben. Weiter gedacht bedeutet dies, dass unter uns der Krieg aller gegen alle herrscht, in dem es selbstverständlich ist, jedes Mittel zum eigenen Zweck einzusetzen. Diese Grundhaltung schimmert auch beim medialen Agieren der Grünen durch. Fortgesetzt wird von diesen wider besseres Wissen behauptet, dass die Vorwürfe gegen Schilling „anonym“ und lediglich Gerüchte wären. Abgesehen davon, dass die Bohrn Menas als Opfer Schillings bekannt sind, kennen auch alle mit der Sache befassten Politiker und Journalisten die restlichen Geschädigten mit Namen, sowohl den Politiker als auch die Journalisten von Puls 4 und ORF. Dass sich diese nicht outen und auch respektvoll nicht geoutet werden, hängt einzig und allein damit zusammen, dass sie glauben, dass ihnen dadurch noch mehr beruflicher Schaden entstehen würde, als ihnen bisher durch diese Affäre schon entstanden ist. Immerhin musste der betroffene bekannte Puls 4-Journalist ein internes Ermittlungsverfahren über sich ergehen lassen.

Zum Glück wurde er am Ende von jeder Schuld freigesprochen. Das Fazit der ganzen unerträglichen Geschichte aber ist, dass die Grünen längst keine Partei neuen Typs mehr sind, moralisch hochwertiger als die Alt-Parteien. Wie im ganzen politischen Spektrum geht es auch in der grünen Abteilung nur um die Macht, persönliche Vorteile und den Kampf von Beutegemeinschaften um größere Privilegien. Die Verbreitung von parteiischen Glaubensinhalten und Meinungen kommt vor dem Bemühen um Wissen und Wahrheit. An die Stelle von gutartigen, gemeinschaftsbildenden Erzählungen sind spalterische, kommerzielle Narrative getreten, die immer nur den Nutzen von privilegierten Gruppen und niemals das große Ganze der gesamten Wertegemeinschaft im Fokus haben. Die Grünen sind nicht mehr die außenstehenden Kritiker der Dekadenz, sie sind zu einem ihrer selbstverständlichen Bestandteile geworden.