Zuletzt brachte das 20. Jahrhundert, ein wahrliches Katastrophen-Säkulum, das zwischen Weltkriegen und Wirtschaftskrisen nur so hin und her taumelte, Seher, Wunderheiler, Astrologen, Gurus, Schamanen, Marienseher oder mit den Wundmalen Christi versehene Leidensgestalten in Sonderzahl hervor, deren alberne Weissagungen und Morallehren noch immer die Runde machen, heute vor allem in den immer fiebriger vor sich hin halluzinierenden digitalen Medien.

Im besonderen Ausmaß brachten Epidemien irrlichternde Geister hervor. Denn Ereignisse im Zuge derer die Körper der Menschen massenhaft von einer geheimnisvollen schweren Krankheit befallen werden, produzieren Todesangst und Untergangspanik und schreien deshalb förmlich nach entlastenden magischen Erklärungen, Sündenbocktheorien und Wunderheilungen. Immer wenn es um eine sich hinterhältig in den Körper einschleichende Pestilenz ging, traten Narren besonders hysterisch und überschießend auf und begaben sich in einen Wettbewerb darüber, wem von ihnen die radikalsten Gegenmaßnahmen einfallen würden.

Um einer Epidemie zu begegnen, wurden immer übersteigerte und maßlose Mittel propagiert, die für die Bürger extreme bis hin zu total absurden Selbstunterdrückungs- und Verzichtsleistungen bedeuteten, denn nur die, die ihr sündiges Fleisch erbarmungslos selbst drangsalierten oder von der Obrigkeit willfährig drangsalieren ließen, durften hoffen, dem Übel am Ende zu entgehen.

Die Corona-Epidemie hat nun, was wenig verwunderlich ist, als eine der größten biopolitischen Krisen seit langer Zeit, eine Fülle von Übertreibungskünstlern und Narren hervorgebracht. Einer davon ist der Vorsitzende des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery. Der Mann denkt bereits heute, wo wir uns gerade mit der vierten Corona-Welle beschäftigen, an die siebente und qualifiziert Richter, die Corona-Maßnahmen als unverhältnismäßig ablehnen als „kleine Richterlein“ ab, die sich in einer unakzeptablen Art und Weise gegen die großen Heiligtümer Politik und Wissenschaft erheben würden. Hier tritt der Erlösergott im weißen Mantel auf, der wie ein Papst ex cathedra spricht und für den die Gewaltenteilung wohl nicht mehr als eine lästige Formalie ist, die im Zeitalter der Gesundheitsdiktatur aus dem Weg geräumt werden muss.

Nicht nur Ärzte und Virologen radikalisieren sich in Hybris hinein

Und wenn Montgomery schon heute drei Wellen voraus denkt, schimmert da nicht der unbewusste Wunsch nach einer langandauernden Epidemie durch, die die Voraussetzung für das möglichst lange Weiterbestehen der gegenwärtig herrschenden Diskurs- und Weltdeutungsherrschaft einer Weißkittelarmada ist, die in nicht unheilvollen Zeiten weitgehend unter dem Wahrnehmungshorizont der Gesellschaft segelt und deren Angehörige sonst traurig und einsam in ihren Laboren vor den Mikroskopen sitzen oder in ihren Universitätsinstituten unbemerkt vor sich hin dösen?

Aber nicht nur einige Ärzte und Virologen radikalisieren sich in die absolute Hybris hinein, wollen nur mehr Erlösungsbotschaften verkünden und akzeptieren keinen Widerspruch oder Einwand. Auch im Feld der Politik dreht so mancher förmlich durch. So der frühere Funktionär des verschlafenen Wiener Volkshochschulwesens und nunmehrige Wut-Diskutant des digitalen Boulevards, Sebastian Born Mena, dem der Wasserwerfer als Mittel gegen maßnahmenkritische Demonstranten zu gelinde ist. Demonstrationen gegen die Regierenden, die der Soziologe Niklas Luhmann als wichtiges Zeichen dafür sah, dass das Immunsystem der Demokratie intakt ist, sollten seiner Meinung nach mit dem Flammenwerfer von der Straße weggebrannt werden. Hat man im Mittelalter Magier und Hexen als für Epidemien Verantwortliche auf dem Scheiterhaufen verbrannt, so ist das von Born Mena vorgeschlagene moderne Verbrennungsmittel für Unbotmäßige eine Maschine, die brennendes Gas ausstößt.

Auch die Sozialdemokratie hat ihre Narren und davon nicht zu wenige. Der aktuell Hervorstechendste kommt aus der Linzer SPÖ, die von einem ehemaligen Kommunisten geleitet wird. Einer seiner Sprachrohre ist der dritte Landtagspräsident Peter Binder. Er will zum Glück niemanden verbrennen und begnügt sich damit, die Forderung zu erheben, Impfverweigerer ins Gefängnis zu werfen.

Wenn uns linksliberale Achtsamkeitsbewegung zum Mitmachen einlädt, ist das ein Befehl

Was die beiden Narren Born Mena und Binder sympathisch macht, ist, dass sie geradeheraus sind. Will man hingegen wissen, wie krummes menschliches Holz, das man nach Immanuel Kant nicht geradebiegen kann, herrschaftlichen Zwang zu einer Wohltat für das Volk umdeutet, so muss man sich ins Umfeld der katholischen Kirche begeben. In besonders heuchlerischer Form führt es uns Daniel Landau, Bruder des Caritaspräsidenten, in der erzkatholischen Zeitschrift „Die Furche“ vor. In einem Interview bringt er weinerlich sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass er nun für die Corona-Impfpflicht eintreten müsse, weil das widerspenstige Volk ihm keine andere Wahl ließe. Hätte es auf seine Führer gehört und sich impfen lassen, wäre diese böse Zwangsmaßnahme nicht nötig gewesen und man hätte ihm die mit großem Leid verbundene Zustimmung zum Impfzwang erspart.

Ein Bekannter von mir war im Priesterseminar. Täglich wurde man dort zu einer Andacht mit dem Präses der Einrichtung eingeladen. Eines Tages ging er nicht hin. Er wurde daraufhin vor ein Tribunal zitiert. Auf die Frage, warum er nicht gekommen wäre, antwortete er: „Ich habe die Einladung nicht angenommen.“ Daraufhin wurde er aus dem Priesterseminar geworfen. Was lernen wir daraus? Wenn uns die linksliberale, linkskatholische oder linksgrüne Achtsamkeitsbewegung zum Mitmachen einlädt, zum Beispiel zur Teilnahme an einer Andacht oder an einer Impfkampagne, dann ist das ein Befehl. Folgen wir dem Befehl nicht, werden wir, wie im Mittelalter, gezüchtigt. Und unachtsam, wie Gemeinschaftsschädlinge nun sind, fügen wir damit nicht nur uns, sondern vor allem linken Moralisten, wie Daniel Landau, große Schmerzen zu, die die betrübliche Pflicht auf sich nehmen müssen, unserer gewaltsamen Kurierung auch noch zuzustimmen.

Ein Klosterbruder der katholischen Zwangsanstalt, in der ich um meine Kindheit und Teile meiner Jugend gebracht wurde, hat mir dieses verbogene Weltbild mit folgendem Satz vermittelt: „Wenn ich dich bestrafen muss, tut es mir mehr weh als dir.“ Besser kann man die Moral der Typen, die pathetische Lichterl-Aufmärsche organisieren, nicht illustrieren. Wenn der widerspenstige Knecht von seinem Herrn gezüchtigt wird, stellt am Ende dieser seine Seelenschmerzen noch über die körperlichen des Gezüchtigten. Närrischer kann man nicht exemplifizieren, was die Worte Unaufrichtigkeit und Selbstgefälligkeit wirklich bedeuten.