Die Linke ist nicht mehr das, was sie einmal war. War sie früher eine Bewegung der Unterprivilegierten, die gegen soziale Ungleichheit kämpfte, so ist sie heute ein loser Zusammenschluss von Privilegierten, die sich überwiegend für die Anerkennung von Kleingruppen engagieren. Man nennt das Identitätspolitik. Die Identitäten, die verhandelt werden, sind konstruiert aufgrund von Geschlecht, Rasse und kolonialem Opferschicksal. Es geht nicht mehr um die Vereinigung von Gleichen, sondern um die gruppenbezogene Abgrenzung von Ungleichen. Ralph Flücks, der ehemalige Vorsitzende der den deutschen Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung, bezeichnet die identitätspolitischen Debatten unserer Zeit als „wütendes Gegeneinander von identitären Kollektiven“.

Linksidentitäre sind auf der Suche nach Entgleisungen

Wütend ist der Stil der identitären Kämpfer allemal. Und unversöhnlich und gnadenlos. So verlor eine junge schwarze Journalistin ihren Job als Chefredakteurin der Teen Vogue, weil sie vor 10 Jahren, als 17-jährige (!!!), in einem sozialen Netzwerk unbedacht eine geschmacklose Bemerkung über Asiaten gemacht hatte. Die Meute, die die junge Frau hetzte, führte die Kampagne so gnadenlos, dass diese am Ende entnervt von ihrem Job zurücktreten musste. Und das, obwohl sie sich davor hundertmal entschuldigt hatte.

War man früher betreten darüber, wenn jemand eine rassistische sprachliche Grenzüberschreitung beging und froh, wenn sich möglichst wenige solcher Vorfälle ereigneten, so sind die Linksidentitären heute förmlich auf der Suche nach Entgleisungen und freuen sich diebisch darüber, wenn sie jemanden bei einem Fauxpas ertappen. Denn der Zusammenhalt dieser linken Gruppen wird durch Feindschaft gegenüber Andersdenkenden gestiftet. Und durch das erbarmungslose öffentliche Strafgerichtsverfahren in den sozialen Medien, an dessen Ende nicht selten die Vernichtung der bürgerlichen Existenz der Beschuldigten steht.

76 Prozent sind für eine Beibehaltung des strengen Asyl- und Bleiberechts

Ein solches Strafgericht inszeniert eine Gruppe von Neolinken gerade auf der Wienzeile in Wien. Dort haben Exponenten des politischen Milieus, das man in Frankreich die „Kaviar-Linke“ nennt, eine Karikatur des regierenden Bundeskanzlers Sebastian Kurz affichieren lassen, auf dem dieser das Sakko öffnet, um stolz sein eiskaltes Herz zu zeigen. Das Thema, um das es geht, ist das neue Steckenpferd der Linksidentitären, die Flüchtlingspolitik. Weil Sebastian Kurz versucht, den Willen der Bevölkerungsmehrheit politisch umzusetzen – 76 Prozent sind für die Beibehaltung des strengen Asyl- und Fremdenrechts – und keine Flüchtlinge aus griechischen Flüchtlingslagern aufnehmen will, wird er als Menschenfeind stigmatisiert. Und in einer Art dargestellt, die die empfindsamen Linken normaler Weise als „Bodyshaming“ schärfsten kritisieren würden. Aber das kennen wir schon. Mittel des Diskurses, die die Linke bei anderen skandalisiert, glaubt sie selbst uneingeschränkt anwenden zu dürfen. Das ist nicht neu. Die Jakobiner, eine fanatische Gruppe aus der Zeit der französischen Revolution, empfanden sich selbst und ihre Moral als so erhaben, dass ihnen jedes Mittel gerechtfertigt erschien, um sich durchzusetzen, auch die Guillotine. Oft fehlt dem, der mit heißem Herzen handelt, ein wichtiges Korrektiv, der Verstand.