Anstatt sich mit der Realität der Außenwelt zu beschäftigen, führte man interne ideologische Grabenkämpfe. Und was im Zuge dieser weltabgewandten verbissenen Auseinandersetzungen nicht zerstört wurde, zertrümmerten die in der Sozialdemokratie schon immer ausreichend vorhandenen narzisstischen Aufsteigertypen, für die die Partei nur das Vehikel zur Durchsetzung persönlicher Interessen ist. Wo dieser Typus an die Macht kommt, werden gefühllos Symbole beseitigt, die der Funktionäreschaft über Jahrzehnte ans Herz gewachsen sind und für emotionalen Zusammenhalt und Gemeinschaftsbindung sorgen. Exemplarisch dafür war in der SPÖ der Verkauf des Renner Instituts in Altmannsdorf – unzählige Generationen von Funktionären wurden dort politisch sozialisiert – und ist nun der bevorstehende Auszug aus der geschichtsträchtigen Parteizentrale in der Löwelstraße. Odo Marquards Satz „Zukunft braucht Herkunft“ geht einem hier durch den Kopf. Weil die SPÖ ihre Herkunft vergessen und somit ihre Identität verloren hat, kämpft sie nun einen aussichtslosen Kampf mit der Gegenwart und hat voraussichtlich die Zukunft schon verspielt.

Ball lag für die SPÖ am Elfmeterpunkt

In Niederösterreich war eigentlich alles angerichtet für einen fulminanten Erfolg der SPÖ. Der Ball lag am Elfmeterpunkt und das Tor war leer. Es grenzt an ein Wunder, wenn man unter diesen Bedingungen nicht einzunetzen versteht. Doch der SPÖ gelang dieses Kunststück. Die Gründe für das kapitale Versagen sind vielfältig. Der erste und wichtigste, eine desolate Bundespartei, die von der SPÖ Wien wenig dezent am Gängelband geführt wird, mit einer Parteivorsitzenden, die immer dann, wenn sie im ZIB-Studio erscheint, bravourös dafür sorgt, dass sich in der Bevölkerung das Gefühl des Fremdschämens flächendeckend ausbreitet. Und dass, obwohl in Armin-Wolfs-Revier das linke Großwild traditionell gehegt, gepflegt und liebevoll gekuschelt wird. Obwohl die Niederösterreicher durch die Bundes-SPÖ in den Abgrund des Misserfolges hinab gerissen wurden, gibt es auch viele hausgemachte Gründe für die Niederlage. So ist die Führungsebene der Landespartei hoffnungslos überaltert. Das Durchschnittsalter des Landespräsidiums lag zum Zeitpunkt der Wahl bei 55 Jahren, der Parteivorsitzende war 64, der Klubobmann 66, der Landesgeschäftsführer 53. Die Überalterung der Partei dürfte auch mit ein Grund dafür gewesen sein, dass ihre Performance im Wahlkampf immer etwas verstaubt und aus der Zeit gefallen gewirkt hat.

Katastrophal schlecht war auch die Wahlkampfführung des Landesgeschäftsführers Wolfgang Kocevar. Wer sich eine solche Plakat-Kampagne aufschwatzen lässt, wie die von der SPÖ gezeigte, der mag viele Talente haben, Werbung und PR gehören ohne Zweifel aber nicht dazu. Viele glauben ja, dass hinter der ausführenden Werbeagentur der deutsche Kabarettist Böhmermann steckte oder das Zentrum für Politische Schönheit, beide dafür bekannt, dass sie gerne derbe Scherze mit der etablierten Politik treiben. Jedenfalls sah Franz Schnabl auf den Werbemitteln aus wie eine Mischung aus Fantomas und Nosferatu, zur leblosen Mumie zurechtgeglättet von einem wohl von der Ästhetik des Splattermovie-Genres total ergriffenen Grafik-Designer. Auch Assoziationen mit einem Plakat des deutschen Karikaturisten Joachim Damm können aufkommen, auf dem dieser den letzten Parteichef der alten SED, Egon Krenz, als Wolf mit riesigen Zähnen dargestellt hat und das Bild mit dem Satz „Großmutter, warum hast Du so einen großen Mund“ untertitelte.

Arbeiter und Angestellte aus den Mittelschichten zur FPÖ abgewandert

Doch man sollte sich nicht durch das furchtbare ästhetische Versagen der SPÖ NÖ vom wesentlichsten Problem der Partei, dem Verlust ihrer traditionellen Wählerbasis, ablenken lassen. Die Arbeiter und Angestellten aus den Mittelschichten, also die „normalen Menschen“, sind mittlerweile fast geschlossen zur FPÖ abgewandert. Ersetzt wurden sie durch Angehörige der urbanen Bildungsmilieus, woke Schüler und Studenten und stramm linke Ideologen, die überwiegend Beamte, Kammerangestellte und Gewerkschaftsfunktionäre sind. Ein großer Teil der SPÖ-Wähler besteht aus Leuten, die in den Bürokratien staatlicher oder staatsnaher Institutionen „untergebracht“ worden sind. Kontakte zu hart arbeitenden Menschen der Privatwirtschaft sind weitgehend abgerissen.

Zum schleichenden Austausch der Wählerschaft ist es aber auch durch die systematische Vernachlässigung der sozialen Frage gekommen. Was kann man sich auch anderes von einer Partei erwarten, deren Vorsitzende an der Côte d´Azur urlaubt und die Arbeitslosenzahlen nicht kennt. Anstelle sich der Kinderarmut, der Malaise der alleinerziehenden Frauen, den armutsgefährdeten Rentnerinnen und der sich ausbreitenden Unsicherheit in den Städten, verursacht durch die unkontrollierte Zuwanderung von jungen Männern aus vorzivilisatorischen Gesellschaften, zuzuwenden, beschäftigt sich die Sozialdemokratie seit geraumer Zeit überwiegend mit Themen aus den Arsenalen der politischen Korrektheit wie Gendersprache, Regenbogenprojekte, Transsexualität und Pubertätsblocker, Uni-Sextoiletten, aufgeblasenen und oft an den Haaren herbeigezogenen Sexismus-Kampagnen, der euphorischen Beklatschung von unkontrollierten Asyl- und Migrationsströmen und der Bauchpinselung von muslimischen Vereinen und Initiativen.

FPÖ der große Sieger der niederösterreichischen Landtagswahlen

Die SPÖ leidet insgesamt an strukturellen, kulturellen und programmatischen Defiziten. Durch die Neubesetzung einer Spitzenposition in Niederösterreich alleine, wird man keinen Schritt vorankommen. Was die SPÖ im Gegensatz dazu braucht, ist ein bundesweites Format, in dem die zu Wort kommen, die von den Parteieliten der letzten zwanzig Jahre aus der Partei vertrieben wurden, entweder zur FPÖ oder zu den Nichtwählern. Nur wenn sie mit diesen Leuten wieder in Kontakt kommt, kann die SPÖ den Totalabsturz vermeiden. Die einzige Person, die diese Mammutaufgabe bewältigen kann, ist Hans Peter Doskozil. Dass dieser Mann nicht längst an der Spitze der SPÖ steht, ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Spitzenfunktionäre der Partei in einer Art SPÖ-Wandlitz leben, mit nur minimalen Kontakten zur Außenwelt.

Der große Sieger der niederösterreichischen Landtagswahlen ist die FPÖ, obwohl ihr von Seiten der Mainstreammedien der Wind scharf ins Gesicht bläst. Die überwiegend von Journalisten mit grüner und linker Gesinnung beherrschten Medien streuen der FPÖ Sand ins Getriebe, wo es nur geht, vor allem durch Interventionen, die abseits des politischen Diskurses angesiedelt sind. Untergriffige Ad-hominem-Angriffe stehen auf der Tagesordnung oder es werden gar Medienfallen aufgestellt, in die dann naive Narzissten wie Heinz-Christian Strache hineintaumeln. Aber die FPÖ regeneriert sich recht schnell. Ibiza ist an ihr abgeronnen, als wäre sie mit Teflon beschichtet. Woran das liegt? Wohl daran, dass die FPÖ das Ohr an der normalen Bevölkerung hat und im Gegensatz zur SPÖ dort auch verwurzelt ist. Was diese „populistische“ Kompetenz betrifft, könnte sich die SPÖ die Blauen zum Vorbild nehmen.