Damit ist die SPÖ in Graz zu einer nebensächlichen Kleinpartei geworden, die wohl noch im Verlauf dieses Jahrzehnts endgültig vom Wahlzettel verschwinden wird. In Graz braucht die SPÖ keiner mehr, denn sie hat keine relevanten Alleinstellungsmerkmale. Keine Visionen, keine innovative Programmatik, keine engagierte Funktionäreschaft, keine Persönlichkeiten mit Ausstrahlung.

Alles, was die SPÖ nicht hat, das hat in Graz die KPÖ. Sie hat ein konsistentes Weltbild, eine funktionstüchtige Struktur, umtriebige und leidenschaftliche Funktionäre, eine charismatische Leitfigur und, was besonders wichtig ist, ein auf die Lebenswelt der Menschen ausgerichtetes politisches Konzept. Robert Krotzer, einer der Architekten des Erfolges der Partei drückt das so aus: „Gegen Ende der 1980er Jahre haben wir in Graz begonnen, auf der Grundlage unserer politischen Ausrichtungen eine nützliche Partei für das tägliche Leben der Menschen zu sein.“ Während der Wähler, wenn er die SPÖ wählt, Funktionäre unterstützt, die egozentrisch ihren eigenen sozialen Aufstieg organisieren, fördert er mit einer Stimme für die KPÖ eine Partei, die für das tägliche Leben der Menschen NÜTZLICHE politische Lösungen durchsetzen will.

Warum haben die Kommunisten Erfolg?

Ein Schlüssel zum Erfolg der KPÖ ist der Verzicht der Mandatare auf zwei Drittel ihrer Politikerbezüge. Die Vorsitzende der Partei, Elke Kahr, behält sich von ihrem Einkommen als Stadträtin lediglich rund 2000 Euro, der Rest wird in einen Fonds eingezahlt, der in Not geratene Grazer Bürger unterstützt. Nach so einer großartigen Geste der Bescheidenheit, Solidarität und Gemeinschaftlichkeit sucht man bei Sozialdemokraten vergeblich. Dort genehmigen sich Nationalräte, die ohnehin ein fettes Salär von rund 10.000 Euro beziehen, noch zusätzlich Einkommen aus parteinahen Unternehmen oder öffentlichen Ämtern, die politisch besetzt werden.

In einem Land, in dem das Medianeinkommen der normalen Menschen bei rund 2000 Euro liegt, ist es offenbar einem Politiker nicht zumutbar, von dem fünfmal so hohen Gehalt eines Nationalrates zu leben. Eine Partei, die dermaßen von materieller Selbstsucht und hemmungsloser Gier geprägt ist, braucht sich nicht darüber zu wundern, dass ihr die Wählerschaft nicht mehr vertraut, vor allem dann nicht, wenn sie in pathetischen Programmtexten und mit theatralischer Rhetorik verkündet, dass es ihr größtes Ziel ist, die immer ungerechter werdende Verteilung von Einkommen und Vermögen zu bekämpfen. Das alles erinnert fatal an die DDR, in der die führenden Parteikader in der Luxussiedlung Wandlitz mit Hallenbad, Sauna, Supermarkt mit Produkten aus dem kapitalistischen Ausland, exklusiven Sportanlagen, Kino, Poliklinik und Hausangestellten lebten, während sie dafür sorgten, dass im Rest des Landes die Armut gleichmäßig über alle Menschen verteilt wurde.

Die Grazer KPÖ ist ganz offensichtlich der Gegenentwurf zur sozialdemokratischen und kommunistischen Wandlitz-Kultur. Ihre Mandatare nehmen nicht größere Ressourcen für sich in Anspruch, als sie dem Durchschnittsbürger zur Verfügung stehen. Insofern ist die Grazer KPÖ eine kommunistische Partei neuen Typs, weil sie die erste linke Massenpartei ist, die ihre programmatischen Prinzipien für die Gesellschaft auch auf die eigenen Führungskader anwendet. Und das ist nicht populistisch, wie den Grazer Kommunisten von sozialdemokratischen und Gewerkschaftsfunktionären mit Spitzenbezügen immer wieder vorgeworfen wird, sondern konsequent, selbstlos, idealistisch und altruistisch.

Sozialdemokraten sitzen auf einem Vulkan

Wenn jetzt die anderen Parteien damit beginnen, und davon ist auszugehen, der KPÖ-Graz die Opfer vorzurechnen, die der Kommunismus im 20. Jahrhundert gefordert hat, dann werden sie damit deren gutes Image nicht zerstören. Denn die Wählerschaft unserer Tage wählt keine Ideologien, wählt nicht kommunistisch, sozialistisch, liberal, konservativ, wählt nicht links oder rechts, sie wählt postideologisch pragmatisch. Zumindest die Mittel- und Unterschichten. Diese vielfach von der Politik enttäuschten Menschen sind vor allem auf der Suche nach politischen Mandataren, bei denen reden und handeln identisch ist, die moralisch integer und ehrlich sind und die, auch was den eigenen Konsum betrifft, maßzuhalten verstehen.

Ehemalige Arbeiter-Parteien, die Funktionäre beheimaten, die Millionenabfertigungen von Staatsbetrieben kassieren, die Diktatoren beraten und sich mit deren dreckigen, dem Volk abgepressten Geld die Taschen vollstopfen, die schamlos Luxusurlaube an der Côte d’Azur oder in Miami öffentlich inszenieren, die nach ihrer aktiven Laufbahn Immobilienhaie beraten, die die Gentrifizierung der Wohnviertel der Mittel- und Unterschichten vorantreiben und solche, die sich ihre ohnehin schon hohen Politikerbezüge durch Zusatzjobs in politiknahen Einrichtungen und Unternehmen aufbessern, werden immer stärker unter Druck kommen. Das hängt auch damit zusammen, dass die politischen Verhältnisse in unseren Zeiten immer transparenter werden und die Menschen auch immer mehr nach Einblicken in das Innere der Macht verlangen.

Schon heute sitzen die traditionellen Parteien, insbesondere die Sozialdemokratie, auf einem Vulkan. Was unter ihnen brodelt, das sind die unzufriedenen Massen vor allem aus den unteren Bevölkerungsschichten. Diese fühlen sich nicht nur politisch nicht repräsentiert, sie empfinden sich auch materiell übervorteilt und noch dazu von den Eliten und ihren an den Universitäten studierenden Kindern verachtet und geringgeschätzt.

Der Wahlerfolg der KPÖ in Graz ist ernst zu nehmen. Er ist ein Menetekel für das große politische Beben, das uns bevorsteht, wenn sich weitere politische Gruppierungen bilden, die es verstehen, sich als Parteien und Politiker neuen Typs zu organisieren und darzustellen. Und dabei wird es egal sein, ob sich diese kommunistisch, liberal, konservativ oder wie auch immer nennen. Ihr Erfolg wird auf ihrer Fähigkeit gründen, mit der heute dominierenden politischen Kultur zu brechen und sich als NICHT-POLITIKER zu inszenieren.

Der Jugendforscher und eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier untersucht seit mehr als zwei Jahrzehnten die Lebenswelt der Jugend und ihr Freizeitverhalten. Er kennt die Trends, vom Ende der Ich-AG bis zum neuen Hedonismus und Körperkult, bis zu Zukunftsängsten im Schatten von Digitalisierung und Lockdown. Heinzlmaier ist Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg.