
Bernhard Heinzlmaier: Es ist die nützliche Politik, stupid!
Bei der Gemeinderatswahl in Graz fuhr die SPÖ wieder einmal ein desaströses Ergebnis ein. Der einst stolzen Arbeiterpartei, die noch in den 1980er Jahren unter Alfred Stingl Wahlergebnisse von über 40 Prozent erreichte, gelang es diesmal, die 10-Prozent-Grenze zu unterschreiten.
Damit ist die SPÖ in Graz zu einer nebensächlichen Kleinpartei geworden, die wohl noch im Verlauf dieses Jahrzehnts endgültig vom Wahlzettel verschwinden wird. In Graz braucht die SPÖ keiner mehr, denn sie hat keine relevanten Alleinstellungsmerkmale. Keine Visionen, keine innovative Programmatik, keine engagierte Funktionäreschaft, keine Persönlichkeiten mit Ausstrahlung.
Alles, was die SPÖ nicht hat, das hat in Graz die KPÖ. Sie hat ein konsistentes Weltbild, eine funktionstüchtige Struktur, umtriebige und leidenschaftliche Funktionäre, eine charismatische Leitfigur und, was besonders wichtig ist, ein auf die Lebenswelt der Menschen ausgerichtetes politisches Konzept. Robert Krotzer, einer der Architekten des Erfolges der Partei drückt das so aus: „Gegen Ende der 1980er Jahre haben wir in Graz begonnen, auf der Grundlage unserer politischen Ausrichtungen eine nützliche Partei für das tägliche Leben der Menschen zu sein.“ Während der Wähler, wenn er die SPÖ wählt, Funktionäre unterstützt, die egozentrisch ihren eigenen sozialen Aufstieg organisieren, fördert er mit einer Stimme für die KPÖ eine Partei, die für das tägliche Leben der Menschen NÜTZLICHE politische Lösungen durchsetzen will.
Warum haben die Kommunisten Erfolg?
Ein Schlüssel zum Erfolg der KPÖ ist der Verzicht der Mandatare auf zwei Drittel ihrer Politikerbezüge. Die Vorsitzende der Partei, Elke Kahr, behält sich von ihrem Einkommen als Stadträtin lediglich rund 2000 Euro, der Rest wird in einen Fonds eingezahlt, der in Not geratene Grazer Bürger unterstützt. Nach so einer großartigen Geste der Bescheidenheit, Solidarität und Gemeinschaftlichkeit sucht man bei Sozialdemokraten vergeblich. Dort genehmigen sich Nationalräte, die ohnehin ein fettes Salär von rund 10.000 Euro beziehen, noch zusätzlich Einkommen aus parteinahen Unternehmen oder öffentlichen Ämtern, die politisch besetzt werden.
In einem Land, in dem das Medianeinkommen der normalen Menschen bei rund 2000 Euro liegt, ist es offenbar einem Politiker nicht zumutbar, von dem fünfmal so hohen Gehalt eines Nationalrates zu leben. Eine Partei, die dermaßen von materieller Selbstsucht und hemmungsloser Gier geprägt ist, braucht sich nicht darüber zu wundern, dass ihr die Wählerschaft nicht mehr vertraut, vor allem dann nicht, wenn sie in pathetischen Programmtexten und mit theatralischer Rhetorik verkündet, dass es ihr größtes Ziel ist, die immer ungerechter werdende Verteilung von Einkommen und Vermögen zu bekämpfen. Das alles erinnert fatal an die DDR, in der die führenden Parteikader in der Luxussiedlung Wandlitz mit Hallenbad, Sauna, Supermarkt mit Produkten aus dem kapitalistischen Ausland, exklusiven Sportanlagen, Kino, Poliklinik und Hausangestellten lebten, während sie dafür sorgten, dass im Rest des Landes die Armut gleichmäßig über alle Menschen verteilt wurde.
Die Grazer KPÖ ist ganz offensichtlich der Gegenentwurf zur sozialdemokratischen und kommunistischen Wandlitz-Kultur. Ihre Mandatare nehmen nicht größere Ressourcen für sich in Anspruch, als sie dem Durchschnittsbürger zur Verfügung stehen. Insofern ist die Grazer KPÖ eine kommunistische Partei neuen Typs, weil sie die erste linke Massenpartei ist, die ihre programmatischen Prinzipien für die Gesellschaft auch auf die eigenen Führungskader anwendet. Und das ist nicht populistisch, wie den Grazer Kommunisten von sozialdemokratischen und Gewerkschaftsfunktionären mit Spitzenbezügen immer wieder vorgeworfen wird, sondern konsequent, selbstlos, idealistisch und altruistisch.
Sozialdemokraten sitzen auf einem Vulkan
Wenn jetzt die anderen Parteien damit beginnen, und davon ist auszugehen, der KPÖ-Graz die Opfer vorzurechnen, die der Kommunismus im 20. Jahrhundert gefordert hat, dann werden sie damit deren gutes Image nicht zerstören. Denn die Wählerschaft unserer Tage wählt keine Ideologien, wählt nicht kommunistisch, sozialistisch, liberal, konservativ, wählt nicht links oder rechts, sie wählt postideologisch pragmatisch. Zumindest die Mittel- und Unterschichten. Diese vielfach von der Politik enttäuschten Menschen sind vor allem auf der Suche nach politischen Mandataren, bei denen reden und handeln identisch ist, die moralisch integer und ehrlich sind und die, auch was den eigenen Konsum betrifft, maßzuhalten verstehen.
Ehemalige Arbeiter-Parteien, die Funktionäre beheimaten, die Millionenabfertigungen von Staatsbetrieben kassieren, die Diktatoren beraten und sich mit deren dreckigen, dem Volk abgepressten Geld die Taschen vollstopfen, die schamlos Luxusurlaube an der Côte d’Azur oder in Miami öffentlich inszenieren, die nach ihrer aktiven Laufbahn Immobilienhaie beraten, die die Gentrifizierung der Wohnviertel der Mittel- und Unterschichten vorantreiben und solche, die sich ihre ohnehin schon hohen Politikerbezüge durch Zusatzjobs in politiknahen Einrichtungen und Unternehmen aufbessern, werden immer stärker unter Druck kommen. Das hängt auch damit zusammen, dass die politischen Verhältnisse in unseren Zeiten immer transparenter werden und die Menschen auch immer mehr nach Einblicken in das Innere der Macht verlangen.
Schon heute sitzen die traditionellen Parteien, insbesondere die Sozialdemokratie, auf einem Vulkan. Was unter ihnen brodelt, das sind die unzufriedenen Massen vor allem aus den unteren Bevölkerungsschichten. Diese fühlen sich nicht nur politisch nicht repräsentiert, sie empfinden sich auch materiell übervorteilt und noch dazu von den Eliten und ihren an den Universitäten studierenden Kindern verachtet und geringgeschätzt.
Der Wahlerfolg der KPÖ in Graz ist ernst zu nehmen. Er ist ein Menetekel für das große politische Beben, das uns bevorsteht, wenn sich weitere politische Gruppierungen bilden, die es verstehen, sich als Parteien und Politiker neuen Typs zu organisieren und darzustellen. Und dabei wird es egal sein, ob sich diese kommunistisch, liberal, konservativ oder wie auch immer nennen. Ihr Erfolg wird auf ihrer Fähigkeit gründen, mit der heute dominierenden politischen Kultur zu brechen und sich als NICHT-POLITIKER zu inszenieren.
Der Jugendforscher und eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier untersucht seit mehr als zwei Jahrzehnten die Lebenswelt der Jugend und ihr Freizeitverhalten. Er kennt die Trends, vom Ende der Ich-AG bis zum neuen Hedonismus und Körperkult, bis zu Zukunftsängsten im Schatten von Digitalisierung und Lockdown. Heinzlmaier ist Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg.
Kommentare
Ja, Herr Heinzelmaier, die KPÖ machte in Graz vieles richtig. Aber warum haben Sie ihre Kolumne nur der KPÖ und der SPÖ gewidmet. Dass die SPÖ bei der Wahl in Graz 0,52 % im Minus ist, die ÖVP aber ganze 11,88 % verloren hat, haben sie versucht einfach unter den Tisch zu wischen. Oder glauben Sie tatsächlich, dass das Grazer Wahlergebnis ohne gravierende Fehler des VP Bürgermeisters möglich gewesen wäre. Naja. . .es fällt generell auf, dass die ÖVP in Ihrer Kolumne, oder generell in diesem Medium immer im Leo ist. Ich bin gespannt, ob entgegen den Beteuerungen vom Herausgeber Richard Schmitt, auch so wie gestern die Zensur von Meinungen zuschlägt, die der Intention des Mediums widersprechen.
Bevor Lobhymnen auf die selbstlosen Göttergaben der Kommunistin an die Bürger Graz gesungen werden, möchte ich auf das Zitat “Was immer es sei, ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen” verweisen.
@ denjenigen, der hier die kommentare moderiert:
Schon lustig, meine kommentare sind weder beleidigend noch diffamierend… sie sind nur gegen eure politische richtung: eben nicht rechts.
und ihr lasst die nicht zu. das spricht bände 🙂
euer blatt und eure einstellung zur “freien meinungsäußerung” werden genauso untergehen wie die korrupten, konservativen politiker.
aber schön, wie ihr meinungsbildung betreibt, spricht bände 🙂
p.s.: vielleicht kommt das ja bald mal in einem böhmermann video vor – bernhard heinzlmaier und eure anderen autor*innen haben ja nichts zu verstecken, oder ? haha 😀 see u
Was die Zensur betrifft habe ich gestern die gleichen Erfahrungen gemacht.
Sehr geehrter Herr Heinzlmaier,
„Das Ende der Illusion“ (Francois Furet) scheint offensichtlich doch noch nicht zu Ende zu ein.
Die Menschheit träumt munter weiter vom guten Sozialismus, wo alle Menschen gleich sind und sich (gleich) lieb haben.
Und man verzeiht ihm alles, einfach alles, denn vielleicht kommt der gute Sozialismus (also Gerechtigkeit für alle) auf den viele schon so lange warten, gerade jetzt in diesem Augenblick in Graz!
Herr Heinzlmaier, wenn sich eine Partei ganz bewusst KPÖ nennt, also kommunistische Partei, dann bestimmt nicht ohne Grund. Gell!
Die Grazer hätten sich auch „Revolutionäre Sozialist*innen (m/w/d) Österreichs“ nennen können, „Gerechtigkeitspartei für alle“, oder „Glückselige Arbeiter-, Bauern- und Bürgerpartei“, haben sie aber nicht.
Sie haben aber ganz bewusst einen Namen von einer Ideologie übernommen, die das Volk (immer noch) unter Geiselhaft nimmt und untrennbar mit Lenin, Stalin, Mao; Gleichschaltung, Verfolgung und Vernichtung (für alle die anderer Meinung sind) verbunden ist.
PS: Die heutige Elite/Oberschicht wählt nicht die Grünen, auch nicht die Türkissen (und die altmodischen Roten schon gar nicht), sondern die modernen Pinkigen. Die sind nämlich gebildet, weltmännisch/weltfrauisch und daher erfolgreich und ewig jung und geil! Manche (die ohne weißen Turnschuhen) sogar super geil!
LG 🌼
Nachtrag:
Und es ist wohl auch kein Zufall, dass alle linken Parteien den Islam huldigen und Kopftücher als Bereicherung begrüßen. Unterm einheitlichen Kopftuch sind nämlich alle Menschen die derselben Ideologie bedingungslos und kritiklos folgen, gleich. Und mittels Kopftuch grenzen sie sich auch rein optisch von all jenen ab, die anderer Meinung sind und nicht in der grauen Masse der Gleisschaltung namenlos verschwinden wollen.
Das auch die pinkigen Weltbürger/innen Kopftücher cool finden, das sind sie nur dem (derzeitigen) modernen linksliberalen Zeitgeist schuldig.
Mode vergeht, Stil bleibt. Und sehr bald kommt wieder eine andere Farbe in Mode … auch was die Farbe der Schuhe betrifft …
LG 🌼
Wie wäre es, wenn du das ganze nicht “Sozialismus” nennst, sondern “gerechten Kapitalismus”… denn mehr wollen linke Parteien nicht. Wer linken Parteien weiterhin die Gier nach sozialistischen oder gar kommunistischen Ideologien vorwirft, hat sich a) nie wirklich mit deren Inhalten beschäftigt oder b) hat Angst, dass die Yacht am Bodensee bald 10x so teuer wird.
die KPÖ nennt sich aber nicht “Partei des gerechten Kapitalismus”
Falsch. Kahr kauft mit einem Teil ihres aus Steuergeldern bezahlten Politikereinkommens Wählerstimmen.
Sehr gute Analyse. Das große Aber für mich ist, warum hält diese “vorbildliche Gruppe” am Namen KPÖ fest, wenn sie doch ganz was anderes will? Diese Frage sollte sich jeder ihrer Wähler stellen …
Im Grunde genommen ist die KPÖ in Graz eine (links)populistische Gruppe. Wir wissen, dass Populisten nur zu Beginn Aktionen wie Gehaltsverzicht setzen. In dem Moment wo sie an der Macht sind ziehen sie andere Seiten auf (Beispiel sind die Grünen, die sich jetzt am politischen Futtertrog fett fressen). Aber was die (ehemaligen großen) Volksparteien betrifft (in Österreich ÖVP und SPÖ) haben Sie recht, die entfernen sich immer mehr von Wählern und bilden eine Nomenklatura, die sich schamlos bereichert.
Sg. Hr. Heinzlmaier, Sie haben grundsätzlich recht mit Ihrer Analyse und ich teile auch Ihre Einschätzung, dass die Wähler keine Ideologie gewählt haben. Nur ich bin schon zu alt, um dieser Naivität zu folgen. Wenn Fr. Kahr mit einer Namensliste aufgetreten wäre, so würde ich nichts dagegen sagen. Ich kritisiere die politische Unkenntnis, insbesondere jenes der Jungen. Die KPÖ hat mit Fr. Kahr den Grazern ein Danaergeschenk gemacht.
Völlig richtig, denn “Principiis obsta. Sero medicina parata, cum mala per longas convaluere moras.” (Ovid) Und wenn sie erst auf der Straße marschieren, wie in Berlin schon zu sehen, dann wird es sehr, sehr schwer werden dieses gesellschaftliche Krebsgeschwür wieder loszuwerden
Die Grazer werden bei den nächsten NR-Wahlen nicht nochmals die KPÖ wählen, aus Mangel an einer Partei die sich „Wicki und die starken Männer & Frauen“, nennt.
Schade, dass es bei uns keine Piratenpartei gibt. Die assoziiert wenigstens schon im Namen was sie ist und wie man sie wieder entfernt. Das alles ist bei der KP nicht möglich.
LG 🌼
Schlimm ,wie Herr Prof. Heinzlmaier über diese aufstrebende, junge, dynamische Bewegung spricht, die bereits mit 4 (in Worten Vier) Gemeinderäte im Grazer Gemeinderat vertreten ist, die mit einer progressiven, sozialen, zukunftsorientierten, steuergerechten, Ungleichheiten abbauenden Politik die Grazer Stadtpolitik von grundauf verändern wird. Ähh, wie heißt diese Bewegung nocheinmal, ist mir jetzt entfallen, gut, macht nichts, wird mir schon wieder einfallen.
Die SPÖ ist doch nützlich, für Egomanzen und Profitakademiker.