Belege dafür gibt es viele. Zum ersten ist das der Schuhmeierplatz, wo sich die rote Parteizentrale befindet. Dort trifft man auf eine verstaubte Bücherei, deren Gesamteindruck die ästhetische Kultur der 1950er Jahre authentisch widerspiegelt. Daneben befindet sich der nach Albert Sever benannte Bezirkssaal, ein weltentrückter Nicht-Ort, der heute den Kinderfreunden als Indoor-Spielplatz dient. Der Namenspatron des Saals, Albert Sever, Bezirksvorsitzender der SPÖ in der Zwischenkriegszeit und Kurzzeit-Landeshauptmann von Niederösterreich, ist vor allem wegen einer antisemitischen Verordnung in Erinnerung geblieben, die die rechtliche Grundlage für die Ausweisung galizischer Juden bildete, die aus Angst vor Pogromen nach Wien geflüchtet waren.

Opportunismus war Sever nicht fremd

Wien war damals durchdrungen vom Antisemitismus. Der Hass der Wiener galt vor allem den so genannten „Ostjuden“. Der Sozialdemokrat Sever beugt sich dieser Stimmung, wahrscheinlich aus opportunistischen Motiven. Dass der Opportunismus dem Politiker Sever nicht fremd war, zeigte sich auch daran, dass der Mann dem als „Arbeitermörder“ verrufenen Polizeipräsidenten von Wien und späteren österreichischen Bundeskanzler Schober, der einst auf demonstrierende Arbeiter schießen ließ, anlässlich einer Gedenkfeier devot den Wagenschlag öffnete. Dafür musste er sich Spottworte des Satirikers Karls Kraus gefallen lassen.

Aber Sever hat Glück, dass sein Gedenkort wenig prominent ist und weit entfernt von der Hochschule für Angewandte Kunst liegt. Das Denkmal Karl Luegers, ein ihm geistesverwandter Repräsentant des antisemitischen Wiener Zeitgeistes des frühen 20. Jahrhunderts, steht in Fußnähe dieser Universität der radikalen Gerechten und wird regelmäßig mit Parolen angeschmiert, also im heutigen Kunstsinn in ein Kunstwerk verwandelt.

Träume von der alten Zeit

Aber zurück zur SPÖ. Diese hat die Geschichte für sich entdeckt und ist so begeistert von ihr, dass sie sich in sie zurückgezogen hat. Für ein historisches Phänomen hielt man noch bis vor kurzer Zeit die Versorgung von Politikern nach dem Ausscheiden aus ihrem Job. Auch das ist in Wien anders. Für eine Wiener Stadträtin wurde ein „Büro für Daseinsvorsorge“ eingerichtet. Es zeichnet sich dadurch aus, dass keiner weiß, was dort passiert und dass es mit einem jährlichen Millionenbudget ausgestattet ist.

Die Flucht zurück in die Geschichte hat die SPÖ auch durch ihre Koalition mit den Neos angetreten, einen progressiv-neoliberalen Spin-Off der ÖVP. Den Grünen, mit denen linke Politik möglich gewesen wäre, hat man die Tür gewiesen, um ein träges großkoalitionäres Revival der alten weinseligen Gratz-Busek-Koalition der 1980er Jahre auf die Beine zu stellen. Die Flucht zurück in die stabile Partnerschaft mit kulturell fein aufgeputzten Kapitalvertretern.

Aber noch einmal ein kurzer Blick zurück auf den nostalgischen Schuhmeierplatz in Ottakring. Dort hängt in einem Schaukasten, der an prominenter Stelle steht, ein Bild des SPÖ-Bezirksvorsitzenden Christian Oxonitsch. Als seine politische Funktion wird die des Stadtrats für Bildung, Jugend, Information und Sport angeführt. Das war er tatsächlich einmal, von 2009 bis 2015. Wie die SPÖ, lebt Christian Oxonitsch in seinen Träumen von der alten Zeit. Die Macht der SPÖ in Wien fußt einzig und alleine darauf, dass sie keine ernstzunehmenden Gegner hat.