In seiner Abschiedsrede sprach Rudolf Anschober von Morddrohungen. Seit November stand der ehemalige Gesundheitsminister unter Polizeischutz. In seiner Rede war es nur ein Nebensatz, den die Medien zur Kenntnis nahmen. Es ist allerdings mittlerweile keine Nebensache mehr. Ich kann mich erinnern, als in den 2000-er Jahren ein Mitarbeiter der britischen Botschaft, nahezu begeistert davon sprach, dass Österreich so anders sei. Er kenne kein Land, in dem ein Minister ohne Personenschutz durch die Straßen Wiens spazieren könne. Diese Zeit ist vorbei, seitdem in den sozialen Medien die Meinungsfreiheit tagtäglich unter Beschuss von Hassbotschaften steht. Die Digitalisierung hat mit sich gebracht, dass mittlerweile jeder Mensch mit Internetanschluss seine kranken Machtfantasien mit rollenden Augen in seine superergonomische Tastatur klopfen kann, während er in seinem wirbelsäulenschonenden Sessel sitzt. Es ist kein Zufall, dass ich an dieser Stelle die männliche Form benutze.

Anschober ist nicht der einzige Betroffene. Mehrere andere Regierungsmitglieder sind ebenfalls wochenlang unter Polizeischutz, da Morddrohungen im Internet aufgetaucht sind. Davon betroffen sind auch Lebenspartner und Kinder. Die Kronen Zeitung hat kürzlich Sebastian Kurz, Alma Zadic, Karl Nehammer und Susanne Raab genannt. Meines Wissens ist das allerdings nur ein Ausschnitt. Wesentlich mehr Regierungsmitglieder sind von Morddrohungen gegen sich oder ihre Kinder betroffen. Mittlerweile würden wir uns selbst belügen, wenn wir von Einzelfällen sprechen.

Virtuelle Rollkommandos

In den sozialen Netzwerken sind wir scheinbar in den 1930-Jahren stecken geblieben. Die Art und Weise wie dort unreflektiert gehetzt, beschimpft und gedroht wird, erinnert an virtuelle Rollkommandos. Diese Aggression hat Auswirkungen im realen Leben, dessen sind sich viele dieser Täter scheinbar nicht bewusst. Denn zumeist schafft es diese Person, ihre vermutlich zwei Gehirnzellen zur Höchstleistung des Tages zu motivieren, indem der Computer eingeschalten und die Hassbotschaft eingeklopft wird. Dann beginnt ein Rad zu Laufen, von dem der Täter scheinbar keine Ahnung hat. Die Meldung wird bemerkt, die Polizei alarmiert und die Betroffenen informiert. Bei den Nachforschungen stößt die Polizei dann auf den Täter, der zumeist „überrascht“ ist, dass Morddrohungen oder die Erstellung von Todeslisten in Österreich verboten sind. Wohlgemerkt sprechen wir nicht von persönlichen Chatnachrichten, wo saloppe Formulierungen unter Freunden erklärbar, verständlich und bei jedem Menschen an der Tagesordnung sind. Denn dabei kennt der Empfänger den Sender und kann die Botschaften richtig einordnen. Sondern von öffentlichen, für alle einseh- und nachlesbaren offenkundigen oder unterschwelligen Drohnachrichten.

Diese Intoleranz umfasst alle politischen Spektren. Erst kürzlich meinte die deutsche Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht in einem Interview mit der Neue Zürcher Zeitung: „Mittlerweile sind auch linke Debatten von extremer Intoleranz geprägt.“

Transparente Strafen

Aktuell sind Morddrohungen an Politiker in der Öffentlichkeit ein Tabuthema. Das sollte es aber nicht sein. Transparenz wäre als Warnsignal für potenzielle Täter wichtig. Denn die meisten wissen tatsächlich nicht, welche Auswirkungen ihre „Posts“ haben können. Es wäre daher sinnvoll darüber zu berichten, wenn ein Täter gefasst wurde, eine Verurteilung erfolgt ist.

Zudem wäre es ein klares Zeichen, wenn der Gesetzgeber den Rahmen schafft, dass der Täter anteilig die Kosten des Polizeischutzes erstatten und psychologische Hilfe in Anspruch nehmen muss. Bei lebensnaher Betrachtung wäre es nämlich hoch an der Zeit zu handeln, bevor etwas passiert. Denn eines muss am Ende des Tages jedem klar sein: Computer einschalten bedeutet auch Hirn anschalten.