Armutsbetroffene haben mehr Gesundheitsprobleme, geringere Bildung und weniger soziale Teilhabe, armutsbetroffene Kinder können seltener an Schulfahrten teilnehmen und keine Freunde nach Hause einladen, bestätigte eine der Autorinnen des Berichts, Nadja Lamei von der Statistik Austria. In Österreich ist den Daten zufolge jeder Siebente armutsgefährdet, hat also weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung. Rund zwei Prozent sind “erheblich materiell und sozial benachteiligt”, können es sich also etwa nicht leisten, unerwartete Ausgaben in Höhe von 1300 Euro aus eigenen Mitteln zu decken oder ihre Wohnung angemessen zu heizen. Auch Erwerbstätigkeit schützt nicht immer vor Armut: Acht Prozent der Erwerbstätigen sind “working poor”, haben also trotz Arbeit ein niedriges Haushaltseinkommen.

Um Armut in Österreich zu verhindern, schlägt eine Gruppe von Experten von Wirtschaftsuni, Uni Wien, Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) und der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) im Bericht garantierte Mindestlebensstandards für alle Menschen in Österreich vor, durch ein Grundrecht etwa auf Wohnen, Gesundheit oder Bildung. Auf EU-Ebene und international sei der Diskurs dazu schon relativ weit, so WU-Forscherin Karin Heitzmann, diese Debatte sollte auch in Österreich geführt werden.

Außerdem müsste allen Menschen im erwerbsfähigen Alter der Zugang zur Erwerbsarbeit ermöglicht werden. Als Maßnahmen nennen die Forscher u.a. eine Arbeitsplatzgarantie für langzeitarbeitslose Menschen, eine Beseitigung prekärer Erwerbsarbeit etwa durch bessere gesetzliche Regulierungen für Leiharbeit und Subunternehmertum sowie Maßnahmen gegen Scheinselbstständigkeit oder die Anhebung niedriger KV-Mindestlöhne.

Minister Rauch räumt ein: "Noch Baustellen offen"

Wichtig sei ferner der gleiche Zugang zu sozialer Infrastruktur wie Bildung, Gesundheit und Wohnbau. Derzeit würden Kinder aus armutsbetroffenen Familien etwa Infrastruktur wie Kindergärten, Horte oder Ganztagsschulen deutlich seltener nutzen, obwohl gerade hier ein chancengleicher Zugang viel gegen die Vererbung von Armut bewirken könne. Ein wichtiger Hebel wäre außerdem, bei Frauen anzusetzen, ist laut Forba-Forscherin Ingrid Mairhuber doch “die finanzielle Abhängigkeit von Frauen im konservativen Sozialstaat österreichischer Prägung festgelegt”. Notwendig wären etwa Transferleistungen über der Armutsgefährdungsschwelle, die als Bezugsgröße das Individuum und nicht den Haushalt haben.

Natürlich seien noch Baustellen offen, räumte Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) ein, der auf Krisen der vergangenen Jahre von der Coronapandemie bis zur Teuerung infolge des Urkraine-Kriegs verwies. Österreich habe diese Zeit aber “einigermaßen gut bewältigt”, dafür habe die Regierung auch jede Menge Geld in die Hand genommen. Nach der kurzfristigen Krisenhilfe müsse man aber nun die Strukturen hinter der Armut angehen.

Dafür stellte der Minister, der nach den Nationalratswahlen im Herbst aus der Regierung ausscheidet, einen “5-Punkte Plan für künftige sozialpolitische Reformen” vor: So will er u.a. das bereits angekündigte Modell für eine Kindergrundsicherung ausarbeiten lassen. Die bestehenden Beihilfen, Zuschüsse und Steuerermäßigungen seien “kompliziert und zu wenig treffsicher”. Außerdem brauche es eine “Mindestsicherung, die ihren Namen verdient”. Die 2019 unter Türkis-Blau eingeführte Sozialhilfe sei nämlich der Grund, wieso Menschen in Österreich nicht genug zu essen hätten oder ihre Wohnung nicht ordentlich heizen könnten. Außerdem im Plan enthalten sind ein dauerhaftes öffentliches Wohnbauprogramm samt Mietpreisdeckel für leistbares Wohnen, bessere Bildungschancen und ein Ausbau persönlicher Assistenz für Menschen mit Behinderung und gleicher Zugang zu “bester” medizinischer Versorgung unabhängig vom Einkommen, die Gesundheitsreform biete hier Chancen.

Opposition kritisiert Grünen-Minister Rauch

Von der Opposition kam Kritik an Minister Rauch. FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch nannte dessen Befund, dass Österreich gut durch die Krisen gekommen sei, “an Zynismus nicht zu übertreffen”. Die Regierung habe Reichtum und Wohlstand nachhaltig zerstört. Die SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner fragte wiederum wie auch der Österreichische Frauenring, wo “die längst versprochene Unterhaltsgarantie” bleibe.

ÖGB-Bundesgeschäftsführerin Ingrid Reischl sprach von erschütternden Zahlen und forderte sofortige Maßnahmen. Die Regierung liefere nur “schlagzeilentaugliche kosmetische Korrekturen”. Ein wesentlicher Hebel zur Armutsvermeidung wäre aus ÖGB-Sicht die “längst überfälligen Erhöhung des Arbeitslosengeldes”, wo es allerdings überhaupt keine Bewegung gebe. Die Volkshilfe wiederholte per Aussendung ihre langjährige Forderung nach einer Kindergrundsicherung.