Am besten sollten wir nicht mehr fliegen, dafür nur mehr in Elektrofahrzeugen sitzen, und möglichst wenig Fleisch essen. Solche Ansichten hört man zurzeit zuhauf,  Shellenberger hält nichts von ihnen: “Ich behaupte, dass die Leute, die da draußen über das Ende der Welt durch den Klimawandel schreien, eine religiöse Agenda verfolgen, die mit historischer Schuld und der Angst vor der Apokalypse zu tun hat. Sie wollen sich auf eine Art Askese, auf Selbstgeißelung einlassen. Sie wollen etwas ganz anderes als das, was tatsächlich erforderlich ist, um die Kohlenstoffemissionen zu reduzieren.”

"Deutschland hat zu viele erneuerbare Energien"

Dass man zurzeit mehr Kohle verbrenne, sei nicht weiter verwunderlich, wie der Umwelt-Experte im Interview mit dem Wall Street Journal deutlich macht: “Wir haben den Übergang von Holz zu Kohle vollzogen, indem wir dafür gesorgt haben, dass Kohle im Überfluss vorhanden und billiger ist. Dadurch konnten wir den Rauch in der Innenraumluft, der bei der Verbrennung von Holz und Dung entsteht, reduzieren.”

Alternative Energien wie die Windkraft sind wetterabhängig, und das ist ihr großer Nachteil, kritisiert Shellenberger.

Erneuerbare Energien seien jetzt freilich überhaupt nicht hilfreich: “Wir befinden uns weltweit in einer Krise, in der es zu viele erneuerbare Energien gibt. Deutschland hatte zu viele erneuerbare Energien; sein Strom ist jetzt der teuerste in Europa. Das Land ist bei den Brennstoffen, vor allem beim Erdgas, zu sehr von Russland abhängig geworden, weil es das Gas brauchte, um die wetterabhängigen erneuerbaren Energien auszugleichen.”

Es droht Stromknappheit, weil man sich auf wetterabhängige Energien verlässt

Auch im Westen der Vereinigten Staaten und im Mittleren Westen drohe Stromknappheit. “Das ist eine Folge davon, dass wir uns zu sehr auf wetterabhängige erneuerbare Energien verlassen.” Einzig der Gouverneur von Kalifornien habe positiv reagiert. Er hat beschlossen, “das letzte Kernkraftwerk in Betrieb zu halten, weil wir aufgrund der übermäßigen Abhängigkeit von erneuerbaren Energien mit Stromausfällen rechnen müssen.”

Shellenberger rät zum Ausbau der Kernenergie.

Von den erhöhten Erdgaspreisen wird Shellenberger zufolge aber kurz- bis mittelfristig die Kernkraft profitieren. “Längerfristig wirft dies die Frage auf, was für ein Stromnetz wir mit all dieser unzuverlässigen, wetterabhängigen Energie aufbauen wollen, denn man muss immer über Reservestromquellen verfügen. Man schafft im Grunde eine Schicht aus erneuerbaren Energien über einem zuverlässigen Stromnetz. Das macht die Energie viel teurer und schwieriger zu handhaben.”

Ein neuer Trend hin zu Kernenergie setzt gerade ein

Der Klima-Hype habe seinen seinen Zenit bereits überschritten, Shellenberger ortet ein erstes Umdenken in der Politik: “Am dramatischsten sieht man das derzeit in Deutschland. Eine große Mehrheit der Deutschen ist jetzt für die Kernenergie. Meine Verbündeten, die sich für die Kernenergie einsetzen, wollten mich noch vor ein paar Jahren davon überzeugen, die Kernenergie aufzugeben, weil die Deutschen so dogmatisch gegen die Kernenergie sind. Und in Kalifornien, meinem Heimatstaat, wo die Anti-Atomkraft-Bewegung in den 1960er Jahren ihren Anfang nahm, ist es auch so.”

Michael Shellenberger in seinem Haus in Berkley, Kalifornien. Er ist Mitbegründer einer Umweltschutzgruppe, die sich gegen die Schließung des Kernkraftwerks Diablo Canyon eingesetzt hat.Michael Macor/The San Francisco Chronicle via Getty Images

Allmählich werde man sich der Grenzen von Solar- und Windenergie bewusst, “da diese wetterabhängig sind. Ich glaube, wir befinden uns auf dem Höhepunkt der Manie der erneuerbaren Energien. Wir sehen eine größere Wertschätzung für Erdgas und eine viel größere Wertschätzung für die Kernenergie.”

"Klimabefürchtungen müssen in den Hintergrund gedrängt werden"

Den Vereinigten Staaten – und ebenso Deutschland – rät Michael Shellenberger Kernenergie auszubauen und mit ihr Kohle und Gas zu ersetzen. Die USA sollten darüber hinaus einen Großteil des Gases nach Asien und Europa exportieren, “damit sie Putins Würgegriff über die Energie überleben können, der sich jetzt auf den gesamten globalen Energiemarkt erstreckt”.

Schon bisher galt: “Der große Ausbau der Kernenergie im Westen diente hauptsächlich dazu, die Energiesicherheit zu erhöhen.” Das würde auch die Kohlenstoffemissionen verringern, “aber die Klimabefürchtungen müssen in den Hintergrund gedrängt werden”.