Wirtschaftsexperten greifen sich ungläubig an den Kopf: US-Präsident Joe Biden hat einen Schuldigen für die Teuerungskrise gefunden. Das ist aber nicht etwa eine inflationäre Steuerpolitik oder verfehlte Energiepolitik, nein, es sind die Amerikaner selbst, konkret jene, die Tankstellen besitzen und betreiben.

Biden: Preis an Zapfsäulen sollen den Kosten entsprechen

Wörtlich erklärte Biden auf Twitter: „Meine Botschaft an die Gesellschaften, die Tankstellen betreiben und die Preise an den Zapfsäulen festlegen, ist einfach: Dies ist eine Zeit des Krieges und der globalen Gefahr.“ Dann folgt Bidens Forderung: „Senkt den Preis an der Zapfsäule, um die Kosten für das Produkt widerzuspiegeln, das ihr bezahlt. Und tut es jetzt.“

Ein „Shell“-Logo bedeutet nicht, dass eine Tankstelle Shell gehört

Nun sind die USA kein sozialistischer Staat, der Präsident kann Tankstellen gar nicht vorschreiben, wie viel sie an der Zapfsäule verlangen dürfen. Doch das ist es nicht, was Wirtschaftsexperten am Tweet so sehr verblüfft. Es sind vielmehr die falschen Annahmen, auf denen er basiert. Dabei hätte die Biden-Administration in nur wenigen Minuten Recherche sich davon selbst überzeugen können.

Erstens gehört mehr als die Hälfte der Tankstellen nicht Großunternehmen, sondern Familien oder Einzelpersonen. Ein „Shell“-Logo auf dem Vordach einer Tankstelle bedeutet nicht, dass diese Ölgesellschaften Eigentümer der Tankstelle sind! Es bedeutet nur: Der Tankstellen-Eigentümer hat mit diesem Unternehmen einen Vertrag geschlossen habe. Deshalb hat er nun das Recht, für diese bekannte Marke zu werben. Gleiches gilt übrigens für Leuchtreklamen für Kaffee-Sorten in Bars.

Tankstellen erzielen Gewinne großteils über Lebensmittel und Zigaretten

Diese durchschnittlichen Tankstellenbesitzer verdienen zweitens gerade einmal einen Penny pro verkaufter Gallone  Benzin (entspricht 3,8 Liter). Sie fahren also keine riesigen Gewinne ein. In den vergangenen fünf Jahren lag die Bruttomarge der Einzelhändler gemäß dem US-Handelsverband NACS im Durchschnitt bei 10,7 Prozent des Gesamtpreises für Benzin. Der größte Teil dieser Gewinne stammt allerdings aus dem Verkauf von Lebensmitteln, Getränken, Zigaretten und ähnlichem.

Der „Verkauf von Benzin im Allgemeinen ist nicht sehr profitabel“, berichtet das US-Magazin „The Hustle“. Allein beim Kraftstoff haben die Tankstellen eine durchschnittliche Gewinnspanne von 1,4 Prozent.

Benzinkosten würden hoch bleiben, Tankstellen könnten zusperren

Würden die Tankstellenbesitzer ihren Mini-Gewinn durch den reinen Sprit-Verkauf streichen – sprich: den Kraftstoff zum Selbstkostenpreis verkaufen – wären die Bezinpreise noch immer überteuert, die Verbraucher würden kaum einen Unterschied bemerken, doch die Betreiber dieser Tankstellen könnte noch schwerer über die Runden kommen. Einige müssten wohl zusperren.

Bidens Tankstellen-Tweet ist „entweder eine direkte Irreführung oder ein tiefes Missverständnis der grundlegenden Marktdynamik“, twitterte Amazon-CEO Jeff Bezos. Unterdessen empfahl die U.S. Oil and Gas Association jener Person, die diesen Tweet gepostet hat, einen Grundkurs in Wirtschaftswissenschaften zu belegen – mutmaßlich ist es ein Praktikant des Weißen Hauses oder Biden selbst.

Scharfe Kritik in US-Medien und großes Lob – aus China

Auch das „Wall Street Journal“ attackierte „die wirtschaftliche Ignoranz des Präsidenten“. Im „National Review“ war zu lösen: „Der Drang, den Einzelhändlern die Schuld … zu geben, ist hässlich und demagogisch“. Im Gegensatz zu dem, was Biden zu glauben scheint, „bewegen sich die Großhandelsbenzinpreise nicht im Gleichschritt mit den Rohölpreisen. Und die Einzelhandelsbenzinpreise bewegen sich nicht im Gleichschritt mit den Großhandelsbenzinpreisen. …Jeder, der schon einmal beruflich etwas verkauft hat, kann ihnen sagen, dass Sie Ihre Gewinnspanne nicht selbst festlegen können.“

Es gab aber auch Lob für Bidens Tweet:  „Jetzt hat der US-Präsident endlich begriffen, dass es im Kapitalismus nur um Ausbeutung geht. Er hat das vorher nicht geglaubt.“ Diese Worte stammen vom Sprecher der chinesischen Staatsmedien.