Eigentlich hätte sich Ministerin Raab am Donnerstag mit der französischen Staatssekretärin Sonia Backes über Integration austauschen sollen. Doch dazu wird es nicht kommen. In Mates-la-Jolie, dem Nachbarbezirk des Orts, an dem sich beide Politikerinnen austauschen sollten, brennt mittlerweile das Rathaus. In Nanterre, einem anderem Vorort, wurde die Volksschule in Brand gesetzt.

Das sind keine guten Rahmenbedingungen für ein Gespräch – oder besser gesagt keine sicheren. Raab sagte ihren Besuch auf dringenden Rat der französischen Polizei ab.

Nahel M. starb trotz Wiederbelebungsversuchen

In Frankreich tobten die gesamte Nacht über Straßenschlachten mit der Polizei. Alles begann mit einer Verkehrskontrolle. Zwei Motorradpolizisten haben Nahel M. (17) in seinem Mercedes angehalten. Der Jugendliche mit nordafrikanischen Wurzeln hatte mehrere Verkehrsregeln missachtet. Auf einem Video, das viral geht, sieht man, wie ein Polizeibeamte seine Pistole auf den Autofahrer richtet. Gleichzeitig spricht der andere laut auf ihn ein. Plötzlich fährt Nahel M. los, der Polizist schießt ihm in die Brust. Nach wenigen Metern kracht der Wagen in einen Pfosten. Nahel M. stirbt kurze Zeit später trotz Wiederbelebungsversuchen der Rettungskräfte.

Groß sind Entsetzen und Trauer in Frankreich. Gegen den Polizisten, der den tödlichen Schuss abgefeuert hat, wird mittlerweile wegen Totschlags ermittelt. Präsident Emmanuel Macron nannte den Vorfall „unerklärlich, unverzeihlich“. Führende Polizeigewerkschaften und die Rechtspopulistin Marine Le Pen von der „Front National“ waren über Macrons Reaktion vor den Kopf gestoßen und sprachen von einer vorschnellen Verurteilung der Polizei.

77 Festnahmen am Mittwochabend

In mehreren französischen Städten entlädt sich der Zorn über die Polizeigewalt unterdessen in nackter Gewalt. Im Großraum Paris gab es am Mittwochabend 77 Festnahmen. Die Haftanstalt in Fresnes bei Paris wurde mit Feuerwerkskörpern angegriffen. Die Pariser Feuerwehr rief die Bevölkerung auf, den Notruf angesichts der Lage nur in dringenden Fällen zu nutzen.

Im südfranzösischen Nizza wurden zwei Polizeiwachen und Streifenwagen mit explodierenden Feuerwerkskörpern angegriffen. Randalierer errichteten Barrikaden und legten Feuer. Im nahen Roubaix wurde eine Polizeiwache angegriffen.

Polizeigewerkschaft empört über Macron und Künstler

„Nichts rechtfertigt den Tod eines jungen Menschen“, klagte Macron. Er hoffe auf „Gerechtigkeit“, denn: „Ein Jugendlicher wurde getötet, das ist unerklärlich, unverzeihlich.“ Vor allem die letzten Worten des Präsidenten bezeichnete Alliance, eine der größten Polizeigewerkschaften des Landes, als „unfassbar“. Macron und mit ihm weitere „Politiker, Künstler und andere“ würden „unsere Kollegen verurteilen, noch bevor die Justiz sich geäußert hat“. Die Aufgabe von Politikern sei es, „zur Ruhe aufzurufen, die Gewalt in den Städten zu verurteilen“, statt „unter dem Eindruck von Emotionen“ zu handeln.

Fazit: Rund um die Rolle der Polizei tobt in Frankreich zurzeit ein Streit, die Kämpfe gehen weiter, unklar ist, wann Ministerin Raab ihr Gespräch über Integrationsforderungen mit Kollegin Backes nachholen wird.