Manche politischen Kräfte wie Grüne und SPD reiben sich insgeheim schon die Hände, doch sämtliche Ökonomen sind besorgt: Nach dem vorzeitigen Rücktritt von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann – sein Vertrag lief offiziell bis 2027 – könnten die Weichen bald in eine andere Richtung gestellt werden. Möglicherweise könnte Deutschland, erstmals seit der Nachkriegszeit, der Stabilitätspolitik den Rücken kehren, was in der jetzigen Phase erhöhter Inflation besonders verhängnisvoll wäre.

Unter Weidmann war die Bundesbank noch eine Mahnerin gegen die Gefahren der monetären Staatsfinanzierung, wie Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums im Kieler Institut für Weltwirtschaft, unterstreicht: “Herr Weidmann steht wie wenige andere konsequent für das Bekenntnis zur Geldwertstabilität. Es kommt jetzt darauf an, diese wichtige Position überzeugend nachzubesetzen.” Sollten der Widerstand gegen die ultralockere Geldpolitik einbrechen, könnte das in der Zeit der erhöhten Inflation besonders verhängnisvoll sein. Es werde nämlich “nicht ohne Einfluss auf die Inflationserwartungen bleiben”, sagt Kooths. Wenn längerfristige Inflationserwartungen ins Rutschen kommen, könne es schnell sehr ungemütlich werden. “Eine solche Entwicklung wäre ohnehin schon problematisch, in der jetzigen Situation käme sie zur völligen Unzeit.”

Linke Sozialdemokratien und Grüne sehen ihre Chance

Die Frage der künftigen Ausrichtung der Geldpolitik wird nun zu seiner politisch hochbrisanten Frage in Deutschland. Denn nicht alle Parteien waren mit dem die EZB einbremsenden Kurs des bisherigen deutschen Bundesbankpräsidenten einverstanden. Wegen des vorzeitigen Abgangs werden “alle politischen Lager vom Adrenalin geflutet”, meint der deutsche Publizist Gabor Steingart in seinem “Morning Briefing”: “Linke Sozialdemokraten und Grüne sehen ihre Chance gekommen, die Politik des offenen Geldhahns aus ihrem bisherigen Erklärmuster eines Notfall-Konzepts zu befreien und die Dominanz der europäischen Geld- über die nationale Budgetpolitik zur neuen Normalität zu erklären.” Das wäre nichts anderes als das Ende der deutschen “Stabilitätspolitik”, die bisher die Nachkriegsgeschichte Deutschlands prägte.

Die Geldschöpfung befriedigt das Bedürfnis sämtlicher Politiker – vor allem, wenn sie links sind –  die Wähler dank des neuen Geldes mit allerlei Programmen zu beglücken. Doch sie sind nicht die einzigen, die davon profitieren, sondern – und das ist durchaus pikant – die Investoren und die Finanzindustrie. “Dass hier linke Politiker zugleich das Geschäft der Hedgefonds und der Private Equity Industrie betreiben, stört niemanden”, kommentiert Steingart. “Bei der neuzeitlichen Bastard-Ökonomie, in der sich Staat und Geldinstitute auf den Finanzmärkten paaren, handelt es sich um eine Liaison zum beiderseitigen Vorteil.” Was passiert: “Die Banken tauschen Geld gegen mehr Geld, und der Politiker Geld gegen Wahlerfolg.”

Weidmann war ein Kritiker des Dauer-Krisenmodus

Und so kann – wie so oft – aus einer vorübergehenden Krisenpolitik eine Dauerpolitik werden. So war es in der Finanzkrise als Reaktion auf die Lehman-Pleite. Nun seien die seither “bastardisierten Verhältnisse” im Zuge der Corona-Pandemie “in das Stadium der Ekstase übergegangen”. Jens Weidmann gehörte zu jenen, die auf ein Ende der anhaltenden Krisenpolitik drängten. Am Ende kam er sich womöglich wie ein Dinosaurier vor, denn der Trend geht gerade in die andere Richtung.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die FDP dagegen wehren kann. Sie bringt als Bewahrer der deutschen Stabilitätskultur Volker Wieland aus den Reihen der Wirtschaftsweisen ins Spiel. Bereits 2017 erklärte er: “Der Krisenmodus der Geldpolitik mit negativen Zinsen und massiver Bilanzausweitung durch Anleihekäufe ist nicht mehr zeitgemäß. “ Seine Empfehlung: “Die EZB muss den Ausstieg dringend kommunikativ vorbereiten.“

Verschiedene Kandidaten, verschiedene Richtungen

Als Bewahrerin der an Geldwertstabilität orientierten Geldpolitik käme auch die bisherige Bundesbank-Vorständin und Stellvertreterin von Jens Weidmann, Claudia Buch, in Frage. Im Jänner 2020 betonte sie: “Die wiederaufgenommenen Nettokäufe von Staatsanleihen bergen die Gefahr, dass die Geldpolitik noch enger mit der Fiskalpolitik verwoben wird.“

Doch es gibt auch andere, nicht minder aussichtsreiche Kandidaten, und deren geldpolitische Vorstellungen weichen von diesen merklich ab. Isabel Schnabel etwa, derzeit im Direktorium der EZB, hat die Geldflutungspolitik von EZB-Chefin Christine Lagarde immer verteidigt, denn: “Eine verfrühte Straffung der Geldpolitik in Reaktion auf einen vorübergehenden Inflationsanstieg wäre Gift für den Aufschwung.” Lange Zeit bezeichnete sie sogar die anziehende Inflation als Hirngespinst.

Der heutige Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, käme ebenfalls als Nachfolger in Frage. Auch er ist auf der Linie von Isabel Schnabel: “Die Wirtschaftsentwicklung und die Inflation sind immer noch nicht stark genug für ein Ende der expansiven Geldpolitik.“

Es wird spannend. . .