Das Anti-Korruptionsvolksbegehren erhält Unterstützung von Seiten der ÖVP. Werden Sie es unterschreiben?

Ich werde es unterstützen. Ich selbst habe schon länger die Schaffung eines unabhängigen Bundesstaatsanwaltes gefordert, das ist inzwischen auch eine ÖVP-Forderung, gleiches gilt für die Prüfung der Parteien durch den Rechnungshof. Im Volksbegehren findet sich eine Reihe unterstützenswerter Forderungen. Ich habe es noch nicht zu Ende genau prüfen können, aber ich denke, ich werde es unterstützen.

Worin sehen Sie den Vorteil des Bundesstaatsanwalts gegenüber einer politischen Weisungsspitze?

Die derzeitige politische Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften funktioniert nicht zufriedenstellend. Innerhalb der Weisungskette gibt es ständige Streitereien.

"Sachverhaltsdarstellungen wegen vermuteten Amtsmissbrauchs einzelner Staatsanwälte sind zulässig"

Der Umgang der ÖVP mit der Justiz – der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) um genau zu sein – wird zurzeit kritisiert. ÖVP-Klubchef August Wöginger hat der WKStA „politische motivierte Ermittlungen“ unterstellt. Der Koalitionspartner hat der ÖVP deshalb Einschüchterung der Justiz vorgeworfen. Ist diese Kritik für Sie nachvollziehbar?

Ich glaube, die ÖVP hat hinreichend klargestellt, dass sie Gerichte, und damit das Herz der Judikative, nicht kritisiert. Sie hat ebenso klargestellt, dass sie Staatsanwaltschaften nicht pauschal kritisiert, und sie hat nun Sachverhaltsdarstellungen wegen vermuteten Amtsmissbrauchs einzelner Staatsanwälte an die zuständige Staatsanwaltschaft geschickt. Ich denke, das ist eine zulässige Vorgangsweise, denn im Rechtsstaat steht niemand außerhalb des Gesetzes.

"Misstrauenskundgebungen zu einzelnen Staatsanwälten haben in der Republik Tradition"APA/HANS KLAUS TECHT

Die ÖVP prüft Klagen gegen Staatsanwälte. Das ist doch ungewöhnlich.

Misstrauenskundgebungen zu einzelnen Staatsanwälten haben in der Republik Tradition. Zum Beispiel hat Anfang der 1980er Jahre ein Staatsanwalt den niederösterreichischen Landeshauptmann Siegfried Ludwig im Zuge des berühmten WBO-Skandals eine Woche vor der Wahl in Untersuchungshaft nehmen wollen. Damals gab es heftige Kritik an diesem Staatsanwalt. Abzulehnen ist jede Pauschalkritik, es muss aber zulässig sein, Sachverhaltsdarstellungen an die Dienstaufsicht zu schicken.

"Die Veröffentlichungen verletzen großteils das Recht auf Privat- und Familienleben"

Der Umgang Ihrer Partei mit der Justiz bewegt sich Ihrer Meinung nach im Rahmen des Erträglichen?

Mit manchen früheren pauschalen Stellungnahmen bin ich nicht einverstanden. Wenn man konkrete Punkte rügt, so wie es jetzt schon länger der Fall ist, ist das im Rechtsstaat zulässig.

Seit Monaten gelangen SMS an die Öffentlichkeit, beginnend mit jenen zwischen dem ehemaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Bundeskanzler Sebastian Kurz. Besteht hier aus Ihrer Sicht ein Konflikt mit Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf die Achtung des Privat- und Familienlebens inklusive des Briefverkehrs festschreibt?

Ich bin hier der Meinung der Strafrechtsprofessorin Susanne Reindl-Krauskopf, wie auch eines Vorstandsmitglieds von Transparency International, dass es eine neue Regelung für den Umgang mit Chats auf Telefonen braucht. Die Veröffentlichung der meisten Chats ist unter Verletzung der Verfahrensordnung für Untersuchungsausschüsse und mancher unter Bruch des Amtsgeheimnisses erfolgt. Diese Veröffentlichungen verletzen somit großteils das Recht auf Privat- und Familienleben.

"Vertrauliche Unterlagen dürfen nicht öffentlich gemacht werden"

Gilt das für alle Chats, die während des Untersuchungsausschusses an die Öffentlichkeit geraten sind?

Alle Chats, die dem Untersuchungsausschuss mitgeteilt wurden, sind in irgendeiner Weise vertraulich. Alles, was diesbezüglich in die Öffentlichkeit gespielt wird, ist ein Rechtsbruch. Nur hat man sich an diesen Rechtsbruch bereits gewöhnt, weil die Täter entweder nicht ausgeforscht werden können oder unter dem Schutz der Immunität stehen.

NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger hat die Veröffentlichung dieser Chats gerechtfertigt, weil sie von öffentlichem Interesse seien.

Die Verfahrensordnung der Untersuchungsausschüsse ist eindeutig: Vertrauliche Unterlagen dürfen nicht öffentlich gemacht werden. Dafür gibt es keine Ausnahmebestimmungen, auch nicht das öffentliche Interesse. Wenn man hier das öffentliche Interesse als Rechtfertigung heranziehen kann und über den Schutz von privater Kommunikation stellt, gebe es bald keinen Schutz der privaten Rechtsphäre mehr und wir nähern uns Stasi-Methoden.

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger verteidigt die Leaks mit dem öffentlichen Interesse. Mit dieser Argumentation nähere man sich Stasi-Methode, unterstreicht Khol.APA/GEORG HOCHMUTH

"Die österreichische Praxis macht aus der Unschuldsvermutung eine leere Floskel"

Sie halten das für problematisch mit Blick auf die Grundrechte jegliches Bürgers?

Es geht um die Grundrechte der Bürger. Es kann jeden treffen. Darauf weist auch Reindl-Krauskopf hin: Dass hier immer wieder Unbeteiligte hineingezogen werden. Man ist sich einig, dass hier der Rechtsschutz verbessert werden muss. Die österreichische Praxis macht aus der Unschuldsvermutung eine leere Floskel.

Dass SMS oder Chats von Politikern in die Öffentlichkeit gelangen, hat Seltenheitswert. Fälle aus anderen Ländern sind nicht bekannt.

Das ist eine österreichische Spezialität. In allen anderen ausgebildeten Rechtsordnungen ist der SMS-Verkehr gerichtlich geschützt. Ich sehe hier dringenden Regelungsbedarf.

"Wir stehen vor einer Katastrophe für den Rechtsschutz privater Menschen in Österreich"

Was sollte man tun? Von anderen Ländern lernen?

Man kann sich von anderen Ländern hier etwas abschauen oder man wendet ganz einfach die Grundregeln an, die für das Abhören von Telefonen und für das Kontrollieren des Briefverkehrs gelten. Vor allem auf diese neuen Formen der Kommunikation. Die Regeln für die Überwachung des Telefon- und Briefverkehrs sind scharf, ausreichend und werden zufriedenstellend gehandhabt. Für die Smartphones braucht es eine diesen Grundsätzen entsprechende zusätzliche Regelung.

Das wurde bisher verabsäumt.

Das ist richtig, und das ist für mich die wichtigste Schlussfolgerung aus dem Untersuchungsausschuss. Wir stehen vor einer Katastrophe für den Rechtsschutz privater Menschen in Österreich. Das ist eine gefährliche Entwicklung.