Unter dem Titel „Turbulente Weltwirtschaft: Jetzt platzen die Illusionen – das ist gut so“ stellte die angesehene „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) jüngst in einem Leitartikel eine eher steile These auf, die durchaus wert ist, näher gewürdigt zu werden.
Zu den Illusionen, die nun platzen, zählt die NZZ etwa den Glauben,
+++ Staaten und Unternehmen könnten sich ungestraft nahezu unbegrenzt verschulden,
+++ man könne massenhaft Geld drucken, ohne Inflation zu erzeugen,
+++ man könne als Anleger an den Börsen wie in den letzten Jahren praktisch immer nur gewinnen,
+++ oder die Annahme, die Europäische Zentralbank (EZB) könne gleichzeitig die Inflation bekämpfen und die Schuldenstaaten des Südens retten.
All das, so die NZZ, seien Illusionen gewesen, die von zweifelhaften Ökonomen und dafür dankbaren Politikern so lange verbreitet und gefördert worden sind, bis für jedermann sichtbar wurde, dass es eben nur Luftblasen waren.

Staatliche Geldfälscher

„Die größte Illusion der vergangenen Jahre war wohl die Idee, man könne die Geldmenge beliebig ausdehnen, ohne Inflation auszulösen“, meint die NZZ. „Lange Zeit schien die wundersame Geldvermehrung tatsächlich keinen Preisauftrieb zu bewirken. Das verdankte sich jedoch vor allem dem Umstand, dass das viele neue Geld ausschließlich innerhalb des Bankensystems zirkulierte. Irgendwann fand es aber den Weg hinaus in die reale Welt, zu den Firmen und Haushalten. Und ab diesem Moment begannen die Preise zu steigen.“

Die Schulden-Illusion

Ein ganz ähnliches Phänomen orten die Schweizer im Falle der Schuldenexzesse der letzten Jahre. „Die zweite Illusion bestand im Glauben, Staaten, Firmen und Private könnten ihre Schulden stetig erhöhen, ohne richtig zur Kasse gebeten zu werden“, diagnostiziert die NZZ. „Auch diese Anomalie ist vorbei. Die Inflation zwingt zur Verknappung des Geldes. Beim Anlegen wird wieder genauer hingeschaut. Investoren wollen für höhere Risiken höhere Entschädigungen, wie die steigenden Anleihezinsen zeigen. Das ist ein willkommener Trend. Denn ein Kreditsystem, das zwischen maroden und soliden Bittstellern kaum noch unterscheidet, liefert falsche Anreize, untergräbt die Marktdisziplin und führt zu Verschwendung.“
Punkt für Punkt wird da aufgelistet, welche Erscheinungsform der (meist linken) Voodoo-Ökonomie nun platzt oder gerade am Platzen ist.

Rückkehr der Rationalität?

Was, und da ist die Diagnose sicherlich richtig, zwar für die Betroffenen schmerzhaft, für die Volkswirtschaft insgesamt jedoch ein notwendiger Reinigungsprozess ist, verbunden mit einer Art Rückkehr zur Normalität: „Das Publikum dürfte zwar schon lange geahnt haben, dass bei diesem Theater nicht alles mit rechten Dingen zu und her geht, dass viel Hokuspokus im Spiel ist. Aber für Politiker, Notenbanker und Anleger war es bequem, sich der Täuschung hinzugeben. Heute muss man feststellen: Wenn etwas zu schön ist, um wahr zu sein, ist es meistens auch nicht wahr. Was derzeit stattfindet, ist daher nicht eine irrationale Laune der Märkte. Zu beobachten ist vielmehr die Rückkehr der Rationalität.“

Blasenbeschwerden

Und genau an diesem Punkt habe ich, bei allem Respekt vor der klugen Analyse der NZZ, so meine leisen Zweifel. Denn natürlich war allen, die über einen halbwegs intakten ökonomischen Hausverstand verfügen – also den wenigsten Ökonomen – schon lange klar, dass wir es hier mit einer gewaltigen Blase zu tun haben, die immer weiter aufgeblasen wurde, um ihr Platzen zu verhindern – und aus der jetzt eher zügig die Luft rauspfeift. Und natürlich war den Vernunftbegabteren genauso klar, dass es eine Illusion ist zu meinen, Schulden und staatliche Geldfälschung würden ohne Konsequenzen bleiben.

Was ich allerdings bezweifle, ist die „Rückkehr der Rationalität“. Zwar mag es stimmen, dass die multiplen Wirtschaftskrisen der Gegenwart zu einem etwas rationaleren Blick auf Kryptos und Börsen, Schulden und Geldwert oder die wirklichen Möglichkeiten der Notenbanken geführt haben mag – aber die menschliche Neigung, an ökonomische Voodoo-Theorien zu glauben, Wohlstand ohne Anstrengung für möglich zu halten und den Staat für die Lösung aller Problem anzusehen, dürfte schlicht und ergreifend unausrottbar sein, möge uns die Geschichte noch so viel lehren.

Nach der Krise ist vor der Krise

Das Ganze erinnert mich ein bisschen an die verrückten Prognosen der Zukunftsforscher am Beginn der Corona-Pandemie. Die Zeiten der Billigflüge sei vorbei, genauso wie die jene der Konsumgier und des harten Wettbewerbs; wir würden uns alle der Rosenzucht und den kleinen Freuden des Lebens widmen.

Mittlerweile wissen wir, was für ein Topfen das war, Flüge nach Mallorca gibt’s wieder für 9 Euro 99 Cent, der Wettbewerb ist härter als je zuvor und statt der kleinen Freuden des Lebens feiern Konsumorgien fröhliche Auferstehung. Geändert haben wir uns genau Nüsse.

Ich fürchte, das wird mit den geplatzten Illusionen und der „Rückkehr der Rationalität“ so ähnlich sein. Sobald sich der Staub gesetzt hat, wird die Gier wieder die Angst ablösen, und die Illusionen werden wieder geglaubt werden. Nach der Krise ist immer vor der Krise. Die Geschichte lehrt es uns bekanntlich, aber es hört ihr halt niemand zu.