Der Mann ist zwar hauptberuflicher Pensionist, das hält ihn aber nicht davon ab, den Österreichern auszurichten, welche Regierung sie herbeiwählen sollen und welche nicht: »Die ÖVP darf nicht noch einmal mit der FPÖ koalieren«, fordert der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jüngst in einem Interview mit dem Magazin profil. Und argumentierte: »Man darf die Rechten nicht verharmlosen. Man sollte an Bewährtem festhalten, anstatt in die rechtsradikale Kiste zu greifen. Was man da rauszieht, taugt nicht zum Stoff, aus dem Politik gemacht werden kann.«

Junckers Doppelfehler

Man kann das natürlich so sehen, es ist ja ein freies Land. Aber der ehemalige Chef-Europäer macht hier gleich zwei Fehler, die derzeit in fast ganz Europa charakteristisch sind für die weitgehende Unfähigkeit oder Unwilligkeit der politischen Eliten, den Kern des Problems zu erkennen – und dementsprechend zu handeln.

Denn erstens sorgen ausrangierte Brüsseler Spitzenpolitiker, die Wählern sagen, was zum Stoff taugt, »aus dem Politik werden kann«, mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür, dass »die Rechten« (was ist eigentlich so unmöglich daran, einfach »rechts« zu sein?) noch mehr an Stimmen gewinnen. Kein Wähler schätzt es besonders, sich von einem Herrn Juncker vorschreiben zu lassen, wo er gefälligst sein Kreuz zu machen hat. Und schon gar nicht ein politisch interessierter Wähler mit gutem Gedächtnis, der sich noch an regierungssondierende Gespräche des damaligen SPÖ-Chefs Christian Kern mit einem gewissen H.-C. Strache erinnert, die freilich damals Herrn Juncker keinerlei mahnende Worte wert waren.

Und zweitens zeigt die entbehrliche Einlassung Junckers, dass er genauso wenig wie allzu viele aktive Politiker versteht, weshalb es einen Rechtsruck in Europa gibt: Weil Tag für Tag hunderte, oft tausende Menschen nach Europa kommen, die hier nichts verloren haben. Und die immer mehr dafür sorgen, dass sich in manchen Teilen Europas die Einheimischen wie Fremde vorkommen.

Wenn Ratlose regieren

Weil sie weder den Mut noch die Fantasie noch das notwendige Mindset haben, versuchen große Teile der politischen Eliten Europas, nicht das Problem zu lösen und schreckliche Bilder in Kauf zu nehmen, sondern den Überbringer der schlechten Nachrichten zu diskreditieren.

So sprach jüngst Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne), eine der ranghöchsten Politikerinnen Deutschlands, die AfD sei zu einem gesamtdeutschen Thema geworden und »die Gesellschaft als Ganzes sei gefragt, dagegen aufzustehen«.

Das ist irgendwie supertypisch: Anstatt einen vernünftigen Plan vorzulegen, wie gegen die illegale Migration vorzugehen sei, soll nach Ansicht der Frau Vizepräsidentin doch bitte »die Gesellschaft als Ganzes« die härtesten Kritiker dieses Politikversagens bekämpfen. Und wer bei diesem »Aufstehen der Gesellschaft« nicht schnell genug selbst aufsteht, ist dann wahrscheinlich auch irgendwie so ein Nazi.

Jetzt sind sie halt da

Nun ist nachvollziehbar, dass eine Politikerin, deren Ausbildung im Wesentlichen aus einem abgebrochenen Theologiestudium besteht, nur sehr ungern einen ganz blendend dotierten Job aufgibt. Aber zu diesem Zweck gleich »die Gesellschaft als Ganzes« auf den politischen Gegner zu hetzen, das hat schon etwas sehr streng Riechendes an sich.

Man braucht nicht sehr viel Fantasie, um zu ahnen, wie das enden wird. Gut möglich, dass »die Gesellschaft als Ganzes aufstehen« wird, aber mit einer etwas anderen Motivlage, als die Frau Bundestags-Vizepräsidentin im Auge hat. Einen politischen Aufstand, der durchaus auch die Mitte der Gesellschaft erreichen und in Brand setzen wird, könnte es nämlich dann geben, wenn weiterhin das durch und durch zynische Mantra der deutschen Ex-Kanzlerin Angelika Merkel gilt: »Jetzt sind sie halt da.«

Eine politische Klasse, die nicht nur das duldend hinnimmt, sondern auch weiterhin zulässt, dass die Zahl jener, die »jetzt halt da sind« steigt und steigt und steigt –, eine dermaßen verkommene politische Klasse wird die Gesellschaft als Ganzes eines Tages mit nassen Fetzen verjagen.