Dass Argentinien mehr oder weniger pleite ist, die Landewährung völlig zerrüttet und das Land alles in allem wirtschaftlich am Sand ist, kann man als ausgesprochenen, wenn auch paradoxen Glücksfall für das südamerikanische Land verstehen. Und es ist ein Glücksfall, aus dem man auch hierzulande ein wenig lernen könnte, wollte man das denn.

Ohne Pleite geht es nicht

Denn die Geschichte lehrt uns immer wieder: Wirkliche, radikale und tiefgreifende Reformen sind nirgendwo möglich, solange eine Nation noch halbwegs funktioniert, für hohe Zinsen noch irgendwo Kredit auftreiben kann und die Politik die Wähler so noch irgendwie leidlich bei der Stange halten kann.

Erst wenn ein Land – jedenfalls ein demokratisch regiertes –wirklich bankrott, wirklich am Ende ist, sind Reformen plötzlich möglich. Das war in Großbritannien so, als Margaret Thatcher das Land sanierte, das war in Neuseeland, in Schweden und ein paar anderen Staaten so. Wenn man will, kann man auch die Einführung der Marktwirtschaft in den ehemals sozialistischen Staaten nach deren ökonomischen Kollaps 1989 auch so interpretieren.

Schneiden wir den Staat zurück

Voraussetzung für Reformen ist also immer die Pleite der bestehenden Verhältnisse, weil nur dann für die Wähler der Schmerz der Reformen geringer wiegt als das Leid des Status quo.

Nur deshalb konnte ja auch in Argentinien der libertäre Kandidat Javier Milei überhaupt gewählt werden, der nun relativ entschlossen und gegen viel Widerstand darangeht, seine Reformagenda umzusetzen. Und ein bisschen wie weiland Kanzler Wolfgang Schüssel auf einer Überdosis Energy Drinks erscheinen mag: mehr privat, weniger Staat, aber in der argentinischen Variante extrascharf. Ministerien werden abgeschafft, ein Teil der Verwaltung wird entlassen, Unternehmen wie Aerolinas Argentinas werden privatisiert und der Staat insgesamt radikal zurückgedrängt. Dass ausschließlich der Kapitalismus Wohlstand schafft und der Sozialismus immer und ohne Ausnahme in Armut und letztlich Gewalt endet, legte der studierte Ökonom jüngst in einer sehr beachtlichen Rede am Weltwirtschaftsforum in Davos dar.

Dass vor allem viele deutschsprachigen Medien den Mann darob als Ungustl der gehobenen Kategorie diffamieren, überrascht hingegen wenig.

Von Milei lernen

Dabei würde es in Europa besonders einstmals bürgerlich-konservativen Parteien wie der deutschen CDU oder auch der hiesigen ÖVP ganz guttun, einige programmatische Anleihen bei Milei zu nehmen. Auch wenn die Vorstellung eines Karl Nehammer, der die Kettensäge schwingt wie Milei im Wahlkampf, etwas Absonderliches an sich hat.

Denn sowohl der ÖVP als auch der CDU ist gerade in wirtschaftspolitischen Fragen ihr innerer Kompass ein Stück weit abhandengekommen. Stand die ÖVP vor zwei Jahrzehnten noch für die konsequente Privatisierung staatlicher Unternehmungen von der VOEST abwärts, ist heute ganz im Gegenteil eher von einer Teilverstaatlichung von bisher privaten Unternehmen die Rede. Staatliches Krisenmanagement sei »durch die Privatisierung von Infrastrukturunternehmen deutlich schwieriger geworden«, kritisierte ÖVP-Chef Nehammer 2022 implizit den früheren liberalen Kurs seiner Partei.  An einen Verkauf der noch immer bedeutenden Staatsanteile an OMV, Verbund, Telekom oder Post hingegen denkt in der ÖVP genau niemand.

Schulden ohne Ende

Genauso wenig wie in der ÖVP jemand ernsthaft beabsichtigen würde, den Staatshaushalt einmal einige Jahre lang ausgeglichen oder gar mit Überschüssen zu planen, wie es einer klassischen bürgerlichen Politik entspräche.

Ursache dieser völligen Entkernung bürgerlich-liberaler Politik ist die Angst vor dem Wähler, die opportunistische Anpassung an den Zeitgeist – und die Abwesenheit einer existenziellen Krise wie in Argentinien.

Natürlich kann man warten und dabei zusehen, wie die Mischung aus immer weiter steigenden Schulden, immer weniger nachhaltigem Sozialstaat, unkontrollierter Migration und hilfloser Politik irgendwann argentinische Zustände auch in Europa bewirkt.

Aber schon vorher von Milei zu lernen, ein paar seiner Inhalte über den Atlantik nach Europa zu reimportieren – seine ökonomische Denkweise ist ja die Österreichische Schule der Nationalökonomie –, wäre vermutlich etwas klüger, als einfach alles treiben zu lassen.