Es war eine gespenstische Szene, bei deren Anblick sich jeder Mann mit auch nur rudimentär guter Erziehung fremdschämen musste bis in die Knochen: der türkische Staatspräsident Recep Erdogan empfängt in seinem Neureichen-Palast den Präsidenten des Europäischen Rates, den Belgier Charles Michel, und die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen. Michel nimmt, aufgeblasen wie ein Pfau, auf einem güldenen Thron neben dem Türken Platz und schaut zu, wie Frau von der Leyen auf eine Art Sofa fürs Personal gesetzt wird. Zwei Rüpel unter sich, ein Monument gescheiterter Kinderstuben sozusagen.

"Sofagate" nur ein unerhebliches Protokoll-Ereignis?

Man könnte dieses „Sofagate“ natürlich als letztlich unerhebliches Protokoll-Ereignis abtun, symbolisierte es nicht so augenscheinlich und für jeden und jede erkennbar das permanente Versagen der Europäischen Union im Laufe des letzten Jahres. Erst vor ein paar Wochen ließ sich der EU-Außenminister Joseph Borrell in Moskau von seinem russischen Kollegen auf offener Bühne vorführen wie ein dummer Schulbub; dass die Union die Beschaffung der Corona-Impfstoffe ordentlich versemmelt hat zeigt die magere Impfstatistik Tag für Tag, dass die Problematik der illegalen Migration auch fünf Jahre nach dem Start der jüngsten Völkerwanderung noch nicht befriedigend gelöst ist – zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch das Pech dazu, würde man das in der Welt des Fußballs wohl beschreiben.

Mangelnde oder mindere Qualifikation der handelnden Personen ist das Problem

Doch es ist nur zum kleineren Teil Pech, das hier am Werk ist. Viel wichtiger und problematischer ist, dass die vielen kleineren und größeren Fehlleistungen schlicht und ergreifend eine Folge mangelnder oder minderer Qualifikation der handelnden Personen sind. Wenn in der EU-Kommission eine studierte Politologin und eine gelernte Übersetzerin, beide ohne jegliche berufliche Vorerfahrung, verantwortlich für den Impfstoff-Kauf sind, während andere Staaten Profis aus Militär oder Pharmaindustrie beauftragen, darf man sich über das Ergebnis nicht wundern. Und wenn an der Spitze des europäischen Rates ein ausrangierter belgischer Entwicklungshilfeminister und an der des EU-Außenamtes ein ehemaliger portugiesischer Verkehrsminister werkt, dann überrascht nicht, dass ausgebuffte Profis wie der langjährige russische Außenminister oder der Möchtegernsultan in Ankara die europäischen Leichtmatrosen am Nasenring durch die Manege ziehen.

Der Kompromiss ist ist die übliche Methode der Personalfindung

Es ist freilich kein Zufall, dass an der Spitze der Union so mediokres Personal permanente Überforderung erleidet. Denn einen Spitzenjob in der Union ergattert man meist nicht durch Spitzenqualifikation, sondern durch die Qualifikation, für alle Mitgliedssaaten irgendwie akzeptabel zu sein, weil der Kompromiss die übliche Methode der Personalfindung ist.

Und „irgendwie akzeptabel“ sind halt in der Regel nie die Brillierenden, sondern eher die unauffällig-Mittelmäßigen.
Bei Schönwetter funktioniert das auch so leidlich. In der Krise freilich ist das ein Rezept für Desaster, wie wir gerade live miterleben dürfen.

Solange sich daran nichts Wesentliches ändert, werden wir auch weiterhin regelmäßig Gründe zum Fremdschämen geliefert bekommen. Mit Recht stellte jüngst die „NZZ“ die Frage: „Wie hätte Erdogan reagiert, wenn Michel ihn lächelnd gefragt hätte, ob er wohl noch einen dritten Stuhl im Palast habe? Oder wenn er, dank Kinderstube, der «lieben Ursula» einfach seinen Sessel angeboten hätte?“. Aber so reagieren eben nur Profis.