Dass immer mehr Menschen immer weniger arbeiten wollen, so maximal 20 Stunden pro Woche oder höchstens 30, weil ihnen mehr Freizeit wichtiger ist als mehr Geld, scheint auf den ersten Blick ein typischer Fall von Wohlstandsverwahrlosung zu sein. Offenbar geht es vielen Menschen auch ohne normalen Vollzeitjob gut genug, weil sie dann als Bezieher niedriger Einkommen von vielen Leistungen des gütigen Sozialstaates profitieren können. Was dazu führt, dass sie sich gar nicht mehr dafür interessieren, Leistung zu erbringen und damit Wohlstand zu schaffen. Eine klassische Degenerationserscheinung, könnte man meinen, wie sie für untergehende Kulturen am Ende ihrer Blütezeit charakteristisch ist.

Der Staat bestraft Arbeit

Dieser Befund ist zwar nicht falsch und trifft sicherlich auf eine ganze Reihe beschränkt Arbeitswilliger zu. Er ist allerdings auch unvollständig, denn es gibt noch einen anderen Grund dafür, dass immer weniger Menschen bereit sind, einen ganz normalen 40-Stunden-Job anzunehmen. Und der heißt: Staat.

Denn der Staat sorgt mit einem Steuersystem, das systematisch Mehrarbeit bestraft und weniger Arbeiten belohnt, für geradezu perverse Anreize, seine „Work-live-Balance“ in Richtung mehr Freizeit auszutarieren.

Man kann das anhand der Steuertabelle leicht nachrechnen. Wer bei einem ganz normalen Durchschnittsgehalt beschließt, ab morgen nur noch 20 statt 40 (oder 38,5) Stunden pro Woche zu hackeln, bekommt dann netto nicht etwa die Hälfte des bisherigen Gehalts, sondern deutlich mehr; der Verlust ist also eher überschaubar.

Oder umgekehrt: Wer bisher 20 Stunden gearbeitet hat und nun auf 40 Stunden umstellt, bekommt netto nicht einmal annähernd das Doppelte, sondern nur überschaubar mehr ausbezahlt. Die zusätzliche Arbeit lohnt sich in finanzieller Hinsicht also nicht wirklich. (Für jemanden, der mit rund 3.500 Euro im Monat auf Vollzeit-Basis diesen Schritt unternimmt, bedeutet das für jede zusätzlich gearbeitete Stunde netto heiße elf Euro).

Die Lohnsteuer als Deppen-Steuer

Ich gestehe: dass jemand nicht für einen derartigen Netto-Bettel mehr arbeiten will als unbedingt nötig, kann ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Das ist nicht Faulheit, sondern rationales Verhalten. Ganz besonders dann, wenn man die Möglichkeit hat, daneben noch etwas steuerschonend dazuzuverdienen, von den Eltern Geld bekommt und viele Vorteile des Sozialstaates lukrieren kann, die an niedrige Einkommen gekoppelt sind. Die Lohnsteuer wird damit für alle, die viel arbeiten, zur Deppen-Steuer. Und das ist nicht gut so.

Was für den Einzelnen rational ist, schadet nämlich der Gesellschaft insgesamt erheblich. Denn durch derartiges Optimieren wird der Staat um Steuern gebracht, und seine Sozialausgaben steigen. Gleichzeitig wird die Volkswirtschaft viel weniger produktiv, als sie sein könnte, würden alle Vollzeit arbeiten.

Ausweg Flat-Tax

Soll das anders werden – was extrem wünschenswert wäre –, müssen die perversen Anreize, weniger zu arbeiten, gegen steuerliche Motive zur Mehrarbeit ausgetauscht werden. Dazu müsste nur das Steuersystem so umgebaut werden, dass zumindest bis zur Höhe durchschnittlicher Gehälter und besser noch etwas darüber hinaus eine Art „Flat-Tax“ gilt, also ein einheitlich niedriger Steuersatz unabhängig vom Einkommen. Damit, wer doppelt so viel arbeitet, auch doppelt so viel verdient. Auch eine Art Steuer-Bonus für alle, die 38,5 Stunden oder mehr arbeiten, wäre durchaus zu überlegen.

Der Einwand, das würde den Staat ganz schön viel Geld kosten, ist zwar richtig, aber nicht tragfähig.

Denn ein Land, das die dritthöchste Staatsquote aller europäischer Staaten hat, wie kürzlich die „Agenda Austria“ vorgerechnet hat, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit noch viele Möglichkeiten haben, Geld einzusparen, mit dem eine derartige Steuerreform finanziert werden könnte.

Die übrigens noch eine andere günstige Auswirkung hätte: Je mehr Menschen wieder Vollzeit arbeiten, um so kleiner wird der Personalmangel, der momentan viele Branchen plagt. Was ja auch kein Schaden wäre.