Geht es darum, den akuten Zustand Deutschlands anekdotisch zu beschreiben, erzählt der deutsche Publizist Henryk Broder gerne, was ihm kürzlich am Ende einer Reise mit dem ICE von Berlin nach Dresden widerfahren ist. Da habe sich nämlich der Zugbegleiter von den Passagieren verabschiedet mit den Worten: »Sehr geehrte Damen und Herren, wir kommen in Kürze pünktlich in Dresden Hauptbahnhof an. Wir bitte das zu entschuldigen.«

Dass ausgerechnet die Deutsche Bahn zu einem Synonym für Unzuverlässigkeit, Chaos und Niedergang geworden ist, ist nur eines von mittlerweile zahllosen Indizien dafür, dass unser Nachbarland gründlich abgewirtschaftet worden ist. Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, aber auch weit darüber hinaus. Fürchteten Deutschlands Nachbarn lange Zeit ein zu starkes Deutschland, muss man heute eher die immer klarer zutage tretende Schwäche der Berliner Republik fürchten. Ganz besonders in Österreich, das ja bekanntlich mit dem nördlichen Nachbarn besonders eng verflochten ist.

Führend beim Schrumpfen

Tag für Tag wird die Meldungslage derzeit trostloser. So wurde erst unlängst klar, dass Deutschland im heurigen Jahr das einzige der sieben großen Industrieländer (G7) sein wird, dessen Volkswirtschaft nicht mehr wächst, sondern kleiner wird, und zwar um 0,3 Prozent. Zum Vergleich: Italien wächst um 1,1 Prozent, Russland trotz Krieg um 1,5 Prozent, die USA um 1,8 Prozent und China um 5,2 Prozent (Österreich: plus 0,5 Prozent, immerhin).

Deutschland ist damit als einziges dieser Industrieländer hochoffiziell in einer Rezession; weil gleichzeitig die Inflation sehr hoch bleibt, haben wir es also mit einer waschechten Stagflation zu tun – das Schlechteste aus beiden Welten, sozusagen. Fast noch erschreckender ist, in welcher Geschwindigkeit Kapital aus Deutschland flieht und gleichzeitig fast kaum noch ausländisches Kapital in Deutschland investiert wird. Und wenn, dann nur mithilfe gewaltiger staatlicher Subventionen wie im Fall der neuen Chipfabrik des Intel-Konzerns, der zehn Milliarden Euro vom Steuerzahler geschenkt bekommt, also mehr als drei Millionen Euro pro Arbeitsplatz.

Go West!

Freiwillig hingegen geht kaum noch ein Unternehmen nach Deutschland. Erst dieser Tage wurde bekannt, dass der schweizerische Konzern Mayer Burger, der bedeutendste Hersteller von Solaranlagen Europas, sein neues Werk nicht wie geplant in Sachsen-Anhalt errichten wird, sondern in den USA. Nicht nur, aber auch, weil dort Strom dramatisch billiger ist als in Deutschland, wo Klimahysterie mehr zählt als Arbeitsplätze in einer Zukunftsindustrie. Einen »schweren Schlag für die deutsche Solar-Renaissance« sah, völlig zurecht, die Welt in dieser Causa. Leider scheint es sich nicht um einen der üblichen up und down zu handeln, wie es sie in jeder Volkswirtschaft immer wieder gibt, sondern um ein viel tiefer sitzendes Übel.

Von da an geht’s bergab

So befragt das Allensbach Institut seit Jahrzehnten Führungskräfte aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft nach ihrer Gesamteinschätzung der Lage in Deutschland. Dabei einigte sich die Mehrheit der Befragten heuer erstmals auf einen sehr beunruhigenden Befund: »Deutschland hat seinen Zenit überschritten.« Und von da an, das weiß man, geht es bekanntlich nur noch bergab. Einer der Befragten ist der Bürgermeister von Tübingen, Boris Palmer. 

Der ebenso kluge wie unkonventionelle Grüne schließt sich dem Befund an: »Wenn ich über die Dörfer in Baden-Württemberg fahre, stehen dort verfallende Gasthäuser an den Hauptstraßen wie Mahnmale zur Erinnerung an eine bessere Zeit. Die hiesige Schlüsselindustrie, der Fahrzeugbau, steht vor dem Verbot seines 125-Jahre-Dauerrenners, des Verbrennungsmotors, und Batterien sind hierzulande bisher nicht konkurrenzfähig herzustellen. Elektroautos made in Germany sind ein Ladenhüter. Wenn man den Trend im Automobilbau zehn Jahre weiter rechnet, ist Baden-Württemberg ein neues Ruhrgebiet«, gab er jüngst in der Welt zu Protokoll. 

»Und bei vielen ist die Krise längst angekommen. Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen haben wieder eingesetzt. Die Inflation macht das Leben teurer. Der Wohnungsbau ist zum Erliegen gekommen. Ein Eigenheim aus eigenem Einkommen zu finanzieren, ist faktisch unmöglich geworden. Eine bezahlbare Wohnung zu finden ist ein Sechser im Lotto.«

Ein Land im Niedergang

Gleichzeitig lesen die Menschen jeden Tag von Messerstechereien, Randalen im Schwimmbad und einer weiterhin völlig ungebremsten Zuwanderung aus Kulturen, denen unsere Art zu leben eher fremd ist. »Deutschland ist im Niedergang, und die Menschen spüren das«, bringt Palmer die Sache auf den Punkt.

Österreich wird sich dem nur schwer entziehen können, auch wenn die Lage hier noch etwas besser zu sein scheint. Politisch sind die Folgen in beiden Ländern sehr ähnlich: Während in Österreich die FPÖ schon jetzt mit Abstand stärkste Partei in den Umfragen ist, hat die AfD in Deutschland bereits Grüne und SPD überholt und liegt auf Platz zwei, im Osten ist sie gar stärkste Partei.

Wunder ist das da wie dort keines.