Seit die FPÖ in allen Meinungsumfragen die stärkste Partei ist und aller Wahrscheinlichkeit bei den Nationalratswahlen im September Nummer 1 werden wird, Anspruch auf das Kanzleramt inbegriffen, ist deren Chef Herbert Kickl so etwas wie das Gravitationszentrum der innenpolitischen Berichterstattung geworden. Hier ein Magazincover, dort eine neue Biographie, und jede Menge düstere Kommentare, die vor dem „Volkskanzler“, wie er sich selber etwas albern nennt, raunend warnen, Finis Austriae und so.

Oh, wie schön gruselig ist das!

Es ist so eine Art Angstlust, die den Ton der Berichterstattung prägt: so wenig die allermeisten Medienmenschen Kickl mögen, so faszinierend finden sie seinen Aufstieg zum derzeit erfolgreichsten Politiker des Landes. Es ist für viele der medialen Kickl-Erklärbären ein bisschen wie bei einem grauslichen Autounfall – man muss einfach hinschauen.

Herr Kickl kanns recht sein – je stärker er medial dämonisiert wird, um so eher werden ihn all jene Wähler, die selbst nicht unbedingt politisch extrem weit rechts stehen, aber aus gutem Grunde den anderen Parteien eins auswischen wollen. Wenn quasi offiziell zertifiziert ist, dass denen eine Stimme für Kickl den meisten Schmerz zufügt, werden diese Leute genauso wählen. Ist ja nicht gerade Raketenwissenschaft, das zu verstehen. Hat ja übrigens im vorigen Jahrhundert auch bei Jörg Haider genauso funktioniert.

Trio Infernal?

Während also angesichts des augenscheinlichen Erfolges der FPÖ wieder einmal der „Antifaschistische Karneval“ losbricht, genießt eine ganz andere politische Dynamik viel weniger Aufmerksamkeit, als sie sich eigentlich verdienen würde. Seit Monaten schon laufen hinter den Kulissen diskrete Sondierungen über die Möglichkeit, nach der Wahl einen allfälligen Wahlsieger FPÖ vom Kanzleramt fernzuhalten, indem ÖVP, SPÖ und Neos gemeinsam eine Koalitionsregierung bilden.

Das ist natürlich, so sie eine Mehrheit der Abgeordneten bilden, demokratisch völlig legitim, es gibt bekanntlich keinen Anspruch der stärksten Partei auf den Kanzler. Und dass der Bundespräsident eine derartige Regierung wesentlich heiterer angeloben würde als den düsteren „Volkskanzler“ ist auch kein wirkliches Staatsgeheimnis.

Auch machtpolitisch machte das Sinn. In der ÖVP hat der Machterhalt um jeden Preis und notfalls auch noch darüber hinaus Tradition; die SPÖ weiß, dass sie Opposition in Wahrheit überhaupt nicht kann und leidet derzeit psychisch schwer am Machtentzug; und die Neos haben ja schon in Wien demonstriert, wie elastisch ihr Rückgrat ist, wenn die Pfründe locken.

Dass vorne auf der Bühne die retrosozialistische SPÖ und die Volkspartei eher antagonistisch erscheinen, ist in diesem Zusammenhang wenig relevant. Beachtlicher ist das Tauwetter, das zwischen den beiden Parteien seit Monaten zu beobachten ist; eine Art Klimawandel der innenpolitischen Art.

Politische Paartherapie

Noch mitten im Winter, kurz vor Weihnachten 2023, berichtet dazu die „Presse“:  “Schwarze und rote Landespolitiker sind jedenfalls seit Wochen damit beschäftigt, das zerrüttete Verhältnis ihrer Parteien zueinander zu verbessern, vom Wiener Bürgermeister bis zu Niederösterreichs Altlandeshauptmann Erwin Pröll, der derzeit ebenfalls in dieser Mission unterwegs sein soll. Von roten Landesparteichefs hört man, dass sie türkise Minister zur Kontaktpflege treffen, zudem sorgte dieser Tage ein Treffen des roten Kärntner Landeshauptmanns, Peter Kaiser, mit dem schwarzen Landeschef aus Tirol, Anton Mattle, für Aufsehen. Letzterer erklärte nämlich, das sei ein „Signal“ für die seiner Ansicht nach sehr wohl funktionierende Zusammenarbeit zwischen ÖVP und SPÖ. Kaiser und Mattle führen beide eine Große Koalition an. Das tut auch der steirische Landeschef, Christopher Drexler (ÖVP), der zuletzt offen für Große Koalitionen auf Bundesebene warb, er glaube schließlich an deren Gestaltungskraft“.

Das glauben auch so manche Rote. „Die Koalition zwischen SPÖ und ÖVP funktioniert in der Steiermark seit Jahren sehr gut“, befindet etwa der steirische SPÖ-Chef Anton Lang „Daher würde ich es begrüßen, wenn es auch auf Bundesebene wieder eine Basis für so eine Zusammenarbeit geben würde.

Das dürfte schließlich der rote EU-Spitzenkandidat Andreas Schieder nicht anders sehen, wie ein kleines Hoppala erst dieser Tage zeigte. „Wir müssen auch ein klares Zeichen bei dieser EU-Wahl setzen, dass wir eine Regierung wollen, nämlich aus Schw…“ versprach er sich bei einer Wahlkampfrede, und korrigierte den Satz dann auf: „… welche Partei auch immer, die faire Europapolitik wieder macht …“. Schwer zu erraten, wen er mit „Schw…“ gemeint haben wird.

In einem traditionell eher konsenssüchtigen Land wie Österreich, wo der Kompromiss oft schon gefunden wird, bevor es überhaupt einen Konflikt gibt, wird das außerhalb des Camp Kickl vermutlich nicht ungern vernommen werden.

Für mich hat die Aussicht auf eine derartige Regierung aus ÖVP, SPÖ und Neos allerdings etwas eher Erschreckendes. Denn so sehr das Modell der „Großen Koalition“ vor Jahrzehnten seine Berechtigung und seine Erfolge gehabt hat, so sehr wurde es evident vom Wähler in die Wüste der gescheiterten Ideen geschickt. Ein politisches Schiffswrack also, das nicht seetüchtiger wird, wenn noch ein dritter Kapitän auf der Kommandobrücke mitmischt. Oder auch eine Kapitänin, denn Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hat ja letzte Woche in der ZiB2 offen kundgetan, bereit zu Mitregieren zu sein – was in der Praxis nur mit Schwarz/Rot/Pink ginge.

Retrosozialismus rulez

Zu befürchten ist vor allem, dass in einer derartigen Konstellation das Schlechteste aus allen Welten zu Politik gerinnen würde. Die ÖVP hat leider schon seit Jahren bewiesen, dass sie ihren wirtschaftsliberal-bürgerlichen Markenkern jederzeit verscherbelt, wenn sie dafür ein bisschen politisches Kleingeld kriegt, von der Zustimmung zur ORF-Steuer bis hin zur Leerstandabgabe auf Wohnungen. Sie wird daher dem Retrosozialismus der SPÖ wenig entgegensetzen; und auch Neos mit Ideen wie „Grunderbe für alle“ werden da wenig hilfreich sein.

Sagen wir es einmal so: für jeden Menschen in diesem Lande, der sich weniger Sozialismus und mehr Schutz vor den Übergriffigkeiten und Behelligungen durch den Staat wünscht, ist die Aussicht auf eine derartige Große Koalition der politisch vom Wähler Verzwergten ungefähr so erfreulich wie eine therapieresistente Migräne.

Einer würde davon allerdings profitieren – Herbert Kickl, der nach einer solchen „Verhindert-Kickl“-Regierung vermutlich ein paar Jahre später mit 40 Prozent plus rechnen könnte.