Zu fordern, das Denkmal des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger (1844–1910) am gleichnamigen Platz in bester Wiener Innenstadtlage zu entfernen, weil Lueger ein ziemlich übler Antisemit war, gehört mittlerweile zur politischen Folklore dieser Stadt wie der Maiaufmarsch oder das Donauinselfest: Kommt alle Jahre wieder, mit großer Verlässlichkeit.

So auch dieser Tage, als eine Gruppe von Holocaust-Überlebenden, darunter der hochbetagte Nobelpreisträger Eric Kandel, zweifellos ein Mann von höchster Reputation, einen offenen Brief an den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig schrieb mit genau dieser Forderung. „Es schmerzt uns, dass Karl Lueger, einer der prononciertesten Antisemiten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, immer noch im Herzen Wiens geehrt wird. Wir sind der Überzeugung, dass der Platz umbenannt und das Ehrenmal entfernt werden muss. Die Untätigkeit der Stadt in dieser Sache (…) ist beschämend …“, heißt es in dem Schreiben.

Die Anliegen der Denkmal-Stürmer sind legitim

Auch die „Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus“ und die Wiener Grünen forderten dieser Tage, das Denkmal zu entfernen. „Lueger hat wegen seines Antisemitismus und Populismus im demokratischen Wien des 21. Jahrhunderts als Vorbild ausgedient. Das hat nichts mit fehlendem Geschichtsbewusstsein zu tun – ganz im Gegenteil“, forderte die grüne Kultursprecherin Ursula Berner. Und die Antirassismus-Liga schlug vor, eine Art von Endlager für „toxische Denkmäler“ zu schaffen, so in der Art der Entsorgungsbetriebe Simmering offenbar, wo Herr Lueger und andere Unerwünschte dann vor sich hin gammeln sollen.

Nun ist es durchaus legitim, die Entfernung der Denkmäler von Antisemiten zu fordern. Mir erscheint es zwar angemessener, sie stehen zu lassen und durch deutlich sichtbare Hinweise zu ergänzen („Kontextualisierung“), die erklären, dass etwa Lueger nicht nur ein bedeutender Bürgermeister war, sondern eben auch ein übler Judenhasser, aber ich verstehe durchaus auch die Argumente der radikaleren Denkmal-Stürmer.

Die Inkonsequenz delegitimiert die Anliegen

Was ich aber überhaupt nicht verstehen kann, ist deren Inkonsequenz, die ihr grundsätzlich nachvollziehbares Anliegen sogar bis zu einem gewissen Grad delegitimiert.

Denn noch nie habe ich aus dieser Ecke des Diskurses die Forderung vernommen, gleichzeitig mit der Demontage des Lueger-Denkmals auch den Karl-Marx-Hof umzubenennen, etwa nach dem österreichischen Ökonomie-Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek in „Hayek-Siedlung“.

Immerhin war der namensgebende Karl Marx ein zumindest genauso übler Antisemit wie Karl Lueger. Im Essay „Zur Judenfrage“ schrieb Marx etwa: „Welches ist der weltliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.

Karl Marx schuf überdies eine verbrecherische Ideologie

Das war kein einmaliger Ausrutscher, sondern charakterisiert Marx’ Judenhass. So schrieb er über seinen politischen Gegner Ferdinand Lassalle: „Der jüdische Nigger Lassalle […], dabei das wüste Fressen und die geile Brunst dieses Idealisten. Es ist mir jetzt völlig klar, dass er, wie auch seine Kopfbildung und sein Haarwuchs beweist, von den Negern abstammt. […] Nun, diese Verbindung von Judentum und Germanentum mit der negerhaften Grundsubstanz müssen ein sonderbares Produkt hervorbringen.“

„Jüdischer Nigger?“ – Die Vorstellung, dass nach jemandem, der sich derart artikuliert, im 21.Jahrhundert die bedeutendste kommunale Wohnhausanlage der Stadt benannt ist, erscheint mir zumindest genauso befremdlich wie die Existenz eines Denkmals von Karl Lueger. Noch dazu, wo Lueger immerhin nicht nur Antisemit, sondern auch bedeutender Bürgermeister war, wohingegen Marx nicht nur Antisemit war, sondern auch noch das wissenschaftliche Fundament einer verbrecherischen Ideologie schuf.

Entweder wir säubern Wien konsequent – oder Lueger bleibt

Doch offensichtlich ficht der miese Antisemitismus des Karl Marx weder die Autoren des offenen Briefes an Michael Ludwig noch die Antirassismus-Liga noch die Wiener Grünen an, sonst hätten sie ja auch auf diese Problematik verwiesen und entsprechende Konsequenzen gefordert. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, warum das so ist.

Ich könnte hier in diesem Zusammenhang noch ein Reihe anderer höchst problematischer Denkmäler und Straßenbenennungen anführen, die etwa den sozialdemokratischen Arzt und Politiker Julius Tandler ehren, der 1924 schrieb: „Welchen Aufwand übrigens die Staaten für völlig lebensunwertes Leben leisten müssen, ist zum Beispiel daraus zu ersehen, dass die 30.000 Vollidioten Deutschlands diesem Staat zwei Milliarden Friedensmark kosten. Bei der Kenntnis solcher Zahlen gewinnt das Problem der Vernichtung lebensunwerten Lebens an Aktualität und Bedeutung.“ – Nach so jemandem ist im Jahr 2022 ein zentraler Platz der Stadt benannt, ohne dass die Denkmalstürmer auch nur eine Augenbraue heben?

So geht das wirklich, wenn man einen Anspruch auf Ernsthaftigkeit erheben will. Entweder wir säubern die Stadt konsequent von all diesen Spuren einer oft unguten Vergangenheit, die halt leider auch unsere ist – oder wir lassen eben auch Lueger auf seinem Platz, samt erklärenden Anmerkungen. Alles andere ist Scheinheiligkeit und Doppelmoral.