In der New York Times, die nicht gerade als Zentralorgan der Corona-Leugner gilt, erschien kürzlich ein interessanter Essay über die Erfolge und Misserfolge der bisherigen Pandemiebekämpfung mit einem außerordentlich bemerkenswerten Ergebnis: Die in sehr, sehr vielen Ländern staatlich angeordnete Maskenpflicht im öffentlichen Raum habe demnach kaum einen Beitrag zur Unterbrechung des Infektionsgeschehens beigetragen. Staaten mit umfangreichen Maskenzwang – wie etwa auch Österreich – hätten demnach nicht weniger Corona-Tote zu beklagen wie diesbezüglich liberalere Gemeinwesen. (»The Mask Mandates Did Nothing. Will Any Lessons Be Learned?«, NYT, 21. 2. 2023)

Ich finde das ziemlich bemerkenswert, als ja völlig unbestritten ist, dass der Einzelne durch das korrekte Tragen einer FFP2-Maske gut geschützt ist; wenn staatlicher Zwang trotzdem nichts nützt, muss das relativ komplexe Hintergründe haben. Wissenschaftlich ist der Zusammenhang noch immer umstritten; gut möglich, dass einfach noch nicht ausreichend geklärt ist, welche Wirkung der Maskenzwang tatsächlich wo hatte.

Was, bitte, ist da wirklich los?

Ich finde allerdings schon die Vorstellung, dass die Politik auf den Rat der Wissenschaft hin hier drei Jahre ein totes Pferd geritten haben könnte, für spannend genug, um mir diesbezüglich eine seriöse und fundierte Aufklärung zu wünschen. Sollte sich tatsächlich herausstellen, dass der lange Maskenzwang für den Hugo, also völlig umsonst war, wäre das ja nicht ganz uninteressant.
Das meine ich auch als jemand, der sich öffentlich auf Basis des mir wissenschaftlich abgesichert Erscheinenden immer für die Maskenpflicht im öffentlichen Raum ausgesprochen hat.

Gerade deshalb würde ich gerne wissen, ob ich mich einfach geirrt habe – und was gegebenenfalls zu diesem Irrtum geführt hat.
Leider habe ich den Eindruck, dass dieses Bedürfnis, auch eigene Fehler zu benennen, in Österreich nicht übertrieben stark ausgeprägt ist, weder in der Politik noch in den Medien; aber auch nicht dort, wo es besonders überlebenswichtig wäre, nämlich im Wissenschaftsbetrieb.

Unser gesammelter Unsinn

Anekdotisch hat sich mir diese verbesserungsfähige Fehlerkultur schon vor ein paar Jahren erschlossen, als ich mit einer Buch-Idee schwanger ging, die den Arbeitstitel »Unser gesammelter Unsinn, und wie es dazu kam« trug. Ich wollte damals mehr oder weniger prominente und ältere Journalistenkollegen einladen, Texte aus ihrer Karriere auszugraben, mit denen sie falsch gelegen sind, und diesen Texten eine Erläuterung hinzufügen, was diese Irrtümer herbeigeführt hatte.

Mir selbst wäre dazu Einiges aus meinem journalistischen Schaffen eingefallen, von jugendlicher Gegnerschaft zum Bundesheer über die viel zu unkritische Haltung gegenüber der EU rund um die diesbezügliche Volksabstimmung bis hin zu meiner Verteidigung des zweiten Irak-Kriegs, den ich heute für einen Fehler halte. Und in der Corona-Frage werde ich wohl auch das eine oder andere falsch eingeschätzt haben, man wird sehen.

Leider fand sich kein einziger Kollege, der diese Idee, »unseren größten Unsinn« auch noch öffentlich zu machen, für eine gute Idee hielt. Tenor der Ablehnungen: man habe doch im Wesentlichen keine Fehler gemacht, die irgendwie relevant wären.
Beneidenswert, irgendwie.
Und leider nicht ganz atypisch für den Umgang unserer Eliten mit den eigenen Fehlern.

Selbst in Deutschland ist das etwas besser, dort reflektieren zumindest manche Medien wenigstens ab und zu ihre eigenen Unzulänglichkeiten, auch in der Politik flackert das zumindest ab und zu auf.

Leider machen das Verdrängen und Verleugnen von Fehlern langfristig blöder und schwächer statt klüger und stärker, weil es Fehler viel zu lange einzementiert, Kurskorrekturen enorm erschwert und so zu neuen Fehlern und Ineffizienzen führt.

Schlag nach bei Freud

 Dass gerade Österreich über eine so schwache Fehlerkultur verfügt, dürfte mehrere Ursachen haben. Da ist einmal die traditionell recht robust ausgebaute Autoritätsgläubigkeit, die nicht so recht zu einer gesunden Fehlerkultur passt. Dazu kommt eine besonders stark entwickelte Skepsis gegenüber der Wissenschaft und damit gegenüber dem wissenschaftlichen Denken, das aber eines der Fundamente jeder vernünftigen Fehlerkultur ist. Und dazu kommt wohl eine seit Sigmund Freuds Tagen bekannte Neigung zur Verdrängung und zum Vergessen, was vielleicht vieles erleichtert – aber sicher nicht das Lernen aus Fehlern ermuntert. Selig ist, wer vergisst …

In den USA ist übrigens nach dem Erscheinen des Textes über die Sinnlosigkeit der Maskenpflicht eine ernsthafte öffentliche Debatte über diese Frage entstanden. Was man von Österreich nicht wirklich behaupten kann – und genau das ist das Problem.