Wir kennen das alle in der einen oder anderen Form: Manchmal gibt es im geschäftlichen als auch im privaten Leben Situationen, die so verfahren sind, dass einzig ein völliger Neustart hilft. Herumdoktern, reparieren, basteln – all das stößt mitunter an seine Grenzen, nur mehr Abrissbirne und Neubau sind dann die Mittel der Wahl.

Österreichs grundlegende Prinzipien der Landesverteidigungspolitik dürften, ganz jenseits der Tagespolitik, so ein Fall sein. Jedem halbwegs vernünftigen Menschen muss nämlich klar sein: die Politik des Weiterwurstelns, des Trittbrettfahrens und der Realitätsverweigerung kann so nicht länger weitergehen, will man nicht die Sicherheit und Integrität der Republik bewusst oder jedenfalls grob fahrlässig gefährden. Die Zeiten, in denen man sich auf die Neutralität stützen, diese jedoch nicht mit ausreichenden Mitteln verteidigen wollte und im Übrigen auf die NATO hoffte, sollte doch einmal etwas passieren, sind endgültig vorbei. Jeder, der sich auch nur ein wenig damit beschäftigt, muss wissen: das spielt es nicht mehr in dieser Form.

Wo Tanner recht hat

Leider erwecken die politischen Parteien dieses Landes nicht wirklich den Eindruck, diese Tatsache erkannt zu haben und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner hat zwar Recht, wenn sie mutig feststellt, dass uns »Neutralität nicht schützt«, was aber nicht so recht weiterhilft, solange der Bundeskanzler das nicht diskutieren möchte. Die SPÖ hingegen glaubt nach wie vor an den Schutz durch die Neutralität, ist aber seit Jahrzehnten nicht bereit, die dafür notwendigen Mittel bereitzustellen – Stichwort »Sozial-Fighter statt Eurofighter«. Und die FPÖ wiederum erinnert sich heute nicht mehr gerne daran, dass sie einmal den Beitritt zur NATO befürwortete. Von den notorisch Bundesheer-feindlichen Grünen ist diesbezüglich ohnehin nichts Vernünftiges zu erwarten, und Neos balancieren auf einem Seil zwischen dem Vernünftigen, aber Unbeliebten, und dem Beliebten, aber Unvernünftigen.

Neustart nötig

Ich denke, die einzige Lösung in dieser verfahrenen Situation wäre ein völlig neues Aufsetzen unserer Landesverteidigung ohne jede Rücksicht auf die Vergangenheit und die irgendwann einmal eingenommenen Positionen. Ein absoluter Neustart muss her, unbelastet und vor allem mit einem möglichst breiten Konsens über die Parteigrenzen hinweg.

Vermutlich bräuchte es dazu eine Art von nationalem Konvent der Parteien hinter geschlossenen Türen und ohne Öffentlichkeit. Nur so ist denkbar, dass alle über ihren Schatten springen und neue Positionen beziehen, anstatt parteipolitische Spielchen zu spielen.

Win-Win

So könnten im Idealfall alle gewinnen: die Parteien, weil ihnen ein derart staatstragendes Verhalten vom Wähler zweifellos gutgeschrieben würde, aber auch die Bürger, die dann von einer vernünftigen und zeitgerechten Landesverteidigung profitieren würden. Dabei sind bei halbwegs ernsthafter Betrachtung eigentlich nur zwei Modelle denkbar.

Erstens: Die Beibehaltung, ja, vielleicht sogar Zuspitzung der Neutralität. Das ist freilich nur glaubwürdig und realistisch, wenn gleichzeitig das Bundesheer so hochgerüstet wird, dass es diese Neutralität auch glaubwürdig verteidigen kann. Das würde Unsummen an Geld kosten. Die Schweiz zum Beispiel beschafft gerade drei Dutzend Kampfflugzeuge vom Typ F-35 für sieben Milliarden Euro, ein für hiesige Verhältnisse illusorischer Betrag. Genau den und viele, viele zusätzliche Milliarden müsste Österreich aber in Kauf nehmen, schlüge es diesen Weg ein.

Zweitens: Die Republik kübelt die Neutralität und tritt wie Finnland und Schweden der NATO bei. Auch das wäre eher teuer, weil das Bündnis seinen Mitgliedern bestimmte Mindestausgaben vorschreibt, aber vermutlich um einen Tick günstiger, weil natürlich partiell auf die Ressourcen der NATO zurückgegriffen werden könnte.

Eines ist diesen beiden seriösen und vernünftigen Varianten allerdings gemeinsam: die enormen Kosten. Die freilich wären zu stemmen, andere Staaten schaffen das ja auch.

In der Demagogen-Falle

Das Ganze scheint mir weniger eine finanzielle denn eine mentale Frage zu sein. Unsere politische Klasse schafft es immer weniger, so lebenswichtige Fragen wie die Zukunft unserer Landesverteidigung aus dem tagespolitischen Streit herauszulösen und darauf zu verzichten, demagogische, populistische oder einfach taktisch günstig erscheinende Positionen zu besetzen.

Zu überwinden wäre das nur, gelänge es den Parteien, eine Art »Verteidigungspartnerschaft« zu errichten, die so ähnlich funktionieren müsste wie die Sozialpartnerschaft zu ihren besten Zeiten – als Institution der Ratio und nicht des Gezänks. Ich weiß eh, aber wünschen wird man sich ja noch etwas dürfen