In Deutschland wird jetzt seit Wochen »Gegen Rechts« protestiert, als gälte es, die unmittelbar bevorstehende Machtergreifung der NSDAP und die darauffolgende Errichtung des Vierten Reichs in letzter Sekunde zu verhindern. Millionen Demonstranten wähnen sich da in der historischen Nachfolge von echten Widerstandskämpfern wie Sophie Scholl oder der Weißen Rose, obwohl sie im Gegensatz zu jenen nicht ihr Leben, sondern eher einen jahreszeitlich bedingten Schnupfen riskieren.

Auch in Österreich wird jetzt heldenhafter Widerstand gegen die angebliche Bedrohung der Demokratie geleistet. Die Wiener Illustrierte profil etwa hob jüngst ausgerechnet einen weitestgehend unbekannten Hanswurst aus der ewig gestrigen Szene auf die Titelseite und beklagte gleichzeitig allen Ernstes, der Mann würde sich »zum medialen Superstar aufblasen«. Das hat wenigstens eine, wenn auch unfreiwillige, heitere Note.

Von wo wirklich Gefahr droht

Ich bin mir freilich nicht so ganz sicher, ob jenes diffuse »Rechts«, gegen das die zu spät gekommenen Widerstandskämpfer unserer Tage nun angehen, sicherheitshalber im Stil einer formierten Gesellschaft, also eingehegt von Medien und Politik, wirklich die größte Bedrohung unserer freiheitlich-liberalen Grundordnung ist, oder ob nicht aus ganz anderen Richtungen viel mehr Gefahr droht.

In Deutschland etwa wurde zeitgleich mit den ersten Demonstrationen »Gegen Rechts« der türkischstämmige Autor Akif Pirinçci von einem Gericht wegen angeblicher »Volksverhetzung« verurteilt. Sein Verbrechen: ein wie bei ihm üblich derb und geschmacksbefreit formulierter Text. »Pirinçci schreibt von Muslimen und ›Afros‹, die in den Jahren 2015 und 2016 als »Schmarotzer« nach Deutschland gekommen seien und sich »mikrobenartig immer weiter vermehren« würden. Außerdem unterstellte er, sie wären für eine »bis heute nicht abreißende Serie bestialischer Verbrechen vor allem an Frauen verantwortlich«, beschrieb die Welt das Verbrechen des vor allem für seine Katzenbücher bekannt gewordenen Autors. Dafür muss Pirinçci nun neun Monate ins Gefängnis, die Strafe wurde unbedingt ausgesprochen.

Schlechter Geschmack strafbar?

Nun kann man das Wording des Verurteilten geschmacklos finden, anstößig oder unanständig – ich zum Beispiel würde das sicherlich nie so formulieren, auch wenn ich die eine oder andere Kritik Pirinçcis durchaus nachvollziehen kann.

Aber dass jemand für so einen Text neun Monate ins Gefängnis wandert, das halte ich für völlig unangemessen, unverhältnismäßig und letztlich eine Bedrohung der Meinungsfreiheit.

Strafbare Banalitäten

Die Sache wird nicht besser durch ein anderes Urteil, das zeitnahe ergangen ist. Stein des Anstoßes war in diesem Fall ein riesiges Banner mit der Aufschrift »Es gibt viele Musikrichtungen, aber nur zwei Geschlechter«, mit dem Fans des FC Bayer Leverkusen ins Stadion gezogen waren. Für diese biologisch ja einigermaßen nachvollziehbare Behauptung verhängte das Sportgericht des Deutschen Fußballbundes, offenbar völlig humorbefreit, eine Geldstrafe von 18.000 Euro.

»Diese Aktion war geschmacklos und falsch und sie hat nichts mit Werten wie Offenheit und Toleranz zu tun, für die Bayer 04 als Organisation steht«, übte Leverkusens Geschäftsführer Fernando Carro gleich nach dem Spiel eilfertig Selbstkritik.

Dass man für einen etwas ruppig geratenen Text für die Dauer einer Schwangerschaft in den Knast muss und für die skandalöse Behauptung, es gäbe zwei Geschlechter, eine hohe Geldstrafe entrichten muss – das könnte, machte das Schule, zu einer ernsteren Bedrohung der liberalen Demokratie werden als ein paar ewig gestrige Schwurbler.

Aufhängen, na und?

Nicht zuletzt deshalb, weil der Rechtsstaat immer mehr den Eindruck erzeugt, zum Linksstaat zu werden. Politaktivisten, die in der Öffentlichkeit behaupten, »Spekulanten gehören aufgehängt« (so der Schweizer Soziologe Jean Ziegler), bleiben ebenso unbehelligt wie klimapolitische Extremisten, die meinen, »Klimaleugner« hätten die Todesstrafe verdient oder seien zumindest mit Haftstrafen auf den rechten, linken Weg zu bringen.

Und in Wien erwies sich erst jüngst, dass ein islamischer Prediger im Internet eine Zeitlang völlig unbehelligt zum Mord an Juden aufrufen konnte, ohne dass die Gläubigen ihn mit nassen Fetzen aus dem Gotteshaus verjagten.

Judenhass, na und?

Es mag ja sein, dass unsere liberale Art und Weise zu leben tatsächlich bedroht ist. Aber diese Bedrohung erscheint mir viel weniger von ein paar Politclowns zu kommen, gegen die nun so machtvoll demonstriert wird, als von einer Gesellschaft, die es für angemessen erachtet, Menschen für eine unappetitliche oder geschmacklose Äußerung ins Gefängnis zu schicken – und gleichzeitig eher hilflos dabei zusieht, wie blanker Judenhass samt echten Vernichtungsfantasien und Volksverhetzung um sich greift.

Dass dagegen kein Schwein demonstriert, könnte in ein paar Jahrzehnten zu jener Frage führen, auf welche die heutigen, selbst ernannten Verteidiger der Demokratie eventuell die falsche Antwort gefunden haben: Wie konnte das damals alles passieren, und ihr habt dabei zugesehen?