Wenn in knapp einem Monat ein neues EU-Parlament gewählt wird, dann hat man es als Wähler nicht gerade einfach, eine Wahlentscheidung zu treffen, nach der man sich noch in den Spiegel schauen kann, ohne von einer kleinen Schamattacke befallen zu werden.

Die jeweiligen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten werden nur bei den allertreuesten Parteigängern so etwas wie Begeisterung hervorrufen können, und wer bei welchen Themen welche Positionen vertritt, erschließt sich auch dem politikaffinen Zeitgenossen nicht so wirklich. Stattdessen dominiert ein politisches Bullshit-Bingo mehr oder weniger ausgelutschter Phrasen den Wahlkampf, der ein wenig dem Wettbewerb zwischen den unterschiedlichen Geschirrspültabs im Supermarktregal gleicht. Das wird nicht leicht.

Kulturkampf um den Verbrenner

Interessanterweise gibt es ein einziges Sachthema, bei dem sich relativ klar unterschiedliche Positionen festmachen lassen: das ab 2035 geltende Verbot der Neuzulassung von Verbrennern (also Benzin oder Diesel) für neue Autos. Damit soll ein Umstieg auf Elektroautos in der Europäischen Union erzwungen werden.

Vor allem die bürgerliche Parteienfamilie erzeugt neuerdings stark den Eindruck, diesen Beschluss der EU-Institutionen wieder rückgängig machen zu wollen. Manfred Weber etwa, Fraktionschef der Konservativen im EU-Parlament, verspricht vollmundig: “Wenn meine Fraktion nach der Europawahl eine Mehrheit herstellen kann, werden wir das vom Europäischen Parlament in dieser Legislaturperiode beschlossene Verbrenner-Verbot rückgängig machen.”

Auch die bürgerliche EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die gerne ihre eigene Nachfolgerin werden möchte, betont in letzter Zeit immer öfter und immer lauter, es sei »sehr wichtig«, dass im Jahr 2026 eine Überprüfung des Verbots erfolge: »Ich denke, oft wird vergessen, dass im Jahr 2026 eine Bestandsaufnahme und eine Überprüfung stattfinden wird.«

Dass die Konservativen plötzlich gegen das erzwungene Aussterben des Verbrenners anreden wie geeichte Grüne gegen die Ausrottung irgendeiner Lurch-Art im Sumpf, hat einen guten Grund: Die Wähler hängen weiter an den konventionell angetriebenen Autos und wollen sich nicht gerne bevormunden lassen, welche Technologie sie zu kaufen haben.

Die große Zumutung

Mehr noch: Dass sie in einem Staat leben, in dem ihnen vorgeschrieben wird, welche Heizung sie verwenden sollen, welche Autos sie kaufen dürfen und welche nicht, aber frei entscheiden können, welches Geschlecht sie haben, halten immer mehr Bürger, gerade auch in Deutschland, für eine Zumutung. Man kann das auch verstehen.

Dass konservative, bürgerliche, aber auch dezidiert rechte Parteien diese Stimmung politisch bewirtschaften wollen, ist legitim – man nennt das Demokratie. Und die gilt auch, wenn sich das Klima wandelt.

Man kann das natürlich als populistische Politik denunzieren, die sich nach den Launen der doofen Wähler richtet wie ein Fähnchen im Wind – doch im Fall des Verbrenner-Verbots sprechen immer mehr Fakten dafür, dieses wieder zu kübeln. Nur, weil sich die Mehrheit der Wähler etwas wünscht, muss es ja noch nicht falsch sein, auch wenn das Teile der politischen Eliten so sehen.

Der Käufer-Streik

Vor allem in Deutschland, dem wichtigsten Automarkt Europas, werden die Käufer zunehmend bockig, wenn sie Stromer kaufen sollen. Seit deren finanzielle Förderung durch den Staat zurückgefahren wurde, brechen die Zulassungszahlen deutlich ein. “Ist der Siegeszug der E-Autos noch zu stoppen?”, fragte da jüngst bang der Standard, was insofern heiter ist, als von diesem Siegeszug weit und breit nichts zu sehen ist und er daher auch nicht gestoppt werden kann. 97 Prozent aller Autos in Deutschland laufen nach wie vor mit einem Verbrennermotor, während sich die Zunahme der E-Autos laufend verlangsamt: Waren es 2022 noch plus 30 Prozent, waren es 2023 noch elf Prozent, werden es 2024 hingegen geschätzt minus elf Prozent sein. Siegeszüge sehen anders aus.

Chinas nützliche Idioten

Dabei zeigt sich immer deutlicher: Was für eine wirtschaftspolitische Katastrophe hier von der EU erzwungen wird, ist ein klarer Schuss ins eigene Knie. Denn China ist heute weltweit führend in der Produktion marktgängiger, preiswerterer E-Autos, mit denen es schon bald den europäischen Markt überfluten will – und wird, wenn das Verbrenner-Verbot bleibt.

“Ein Verbrenner-Verbot in Europa hilft vor allem der chinesischen E-Autoindustrie. Sie wartet nur darauf, mit ihren günstigeren Modellen die europäische Autoindustrie deklassieren zu können«, analysierte der deutsche Wirtschaftsjournalist Gabor Steingart präzise: »Ursula von der Leyen und die von ihr geführte EU-Kommission haben diesen geostrategischen Aspekt der Parlamentsentscheidung nie verstanden. Mit dem Verbrenner-Verbot 2035 würden sie zu nützlichen Idioten der Chinesen.”

Das würde ganz nebenbei auch Österreichs Wohlstand ernsthaft gefährden, denn als Autoland sind wir natürlich eng mit Deutschland verwoben, im Guten wie im Schlechten.

Ob das Verbrenner-Verbot bleibt oder doch noch gekippt wird, hängt nicht nur, aber auch von der künftigen Zusammensetzung des EU-Parlaments ab. Zumindest in dieser Frage hat der Wähler im Juni nun wirklich die Wahl.