Die Begründung: Dem Stadtchef gehe es um eine „Aufarbeitung“ der Geschichte, etwa durch Anbringen von Zusatztafeln zur Erläuterung des Kontextes.

Und während SPÖ und Grüne zumindest einzelne Namen aus dem Straßenbild löschen wollen, weiß Preuner mit Freiheitlichen und NEOS eine (hauchdünne) Mehrheit hinter sich.

Kein Salzburger Phänomen

Die Auseinandersetzung mit geschichtlich belasteten Elementen im öffentlichen Raum ist aber natürlich kein Salzburger Phänomen.

In den USA wird da beispielsweise das Hissen der Konföderierten-Flagge als rassistisches Symbol sukzessive verboten, in Großbritannien die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston gestürzt und in Wien das Denkmal von Bürgermeister Karl Lueger mit dem Wort „Schande“ beschmiert – um nur einige jüngere Beispiele zu nennen.

Alles in guter, ja in bester Absicht. Weil Rassisten, Faschisten, Antisemiten, Kollaborateuren und Profiteuren darf man ganz einfach kein Denkmal setzen. Oder doch?

Ein Blick hinter die Kulissen

Schaut man hinter die Kulissen und in die Vita vieler betroffener historischer Figuren, so zeigt sich schnell, dass allfällige Urteile nicht mehr ganz so leichtfallen.
Edward Colston etwa nutzte den Reichtum, den er am Handel mit Menschen verdiente, auch um in seiner Heimatstadt Schulen, Kirchen, Kranken- und Armenhäuser zu bauen. Bürgermeister Lueger, dessen politischer Aufstieg und Popularität einer harschen antisemitischen Rhetorik geschuldet war, legte den Grundstein für Wien als moderne Metropole. Hunderttausende danken ihm noch am Weg in die Gruft dafür.
Und sieht man sich die beanstandeten Salzburger Straßennamen an, so tauchen da Persönlichkeiten auf, die im kollektiven Bewusstsein mit Vielem, wohl aber kaum mit Nazi-Verbrechen in Verbindung gebracht werden. Die bekanntesten: Dirigent Herbert von Karajan, Konstrukteur Ferdinand Porsche und Tobias Reisner, der Gründer des Salzburger Adventsingens.
Sie alle waren Mitglieder der NSDAP und zweifellos Profiteure des Systems. Aber reicht das aus, um sie als Nazis abzustempeln, von Straßen, Plätzen und aus den Geschichtsbüchern zu löschen? Nein.
Übrigens genauso wenig wie ihre Leistungen und Verdienste genügen, um das Mitläufertum und damit ihre (zumindest indirekte) Mitwirkung an kollektiv begangenen Verbrechen ungeschehen zu machen oder auch nur zu verharmlosen.

Hitler war am Heldenplatz nicht allein

In der politischen Beurteilung ist es also wichtig, den Kontext nicht aus den Augen zu verlieren. Der Sklavenhandel war beispielsweise nicht nur Sache des Schulen-bauenden Philanthropen, sondern ein Wirtschaftszweig von dem Millionen profitierten und der Hunderttausende reich machte. Auch jene, die im Gegensatz zu Colston, keine große Lust verspürten, ihren Reichtum mit Landsleuten zu teilen.

Und auch Hitler stand nicht allein am Balkon der Hofburg. Millionen jubelten ihm zu, hießen das Naziregime nach Siegerdiktat und Wirtschaftskrise willkommen. Anfangs oft nicht unbegründet, wie mir ein altes SPÖ-Mitglied mal erzählte. So habe es schon kurz nach dem „Anschluss“ im Bergarbeiterheim erstmals elektrisches Licht, fließendes Wasser und einen Schulskikurs für die Kinder gegeben.

Kein Wunder also, dass sich der Spross einer auf 50m² lebenden, siebenköpfigen Familie, da begeistern konnte und später sogar freiwillig zur SS ging.

Aber kann ich ihm das vorwerfen?  Die Leistung seines ganzen Lebens darauf reduzieren, nicht geahnt, gesehen, geglaubt zu haben, was wir heute bequem im Geschichtsbuch nachlesen können?

Moralischer Luxus der Spätgeborenen

Denn eines dürfen wir bei all unserer Entrüstung, Enttäuschung, Erschütterung und auch Scham über die Verbrechen der Vergangenheit, über die Täter und Mitläufer nicht und niemals vergessen: Wir alle leben den Luxus einer späten Geburt. Keiner von uns kann sagen, wie wir selbst gehandelt hätten als Kinder dieser Zeit. Hätten wir den Mut gehabt, uns wie Sophie Scholl und andere WiderstandskämpferInnen zur Wehr zu setzen? Hätten wir es riskiert, unser eigenes Leben und das unserer Lieben im Kampf gegen ein brutales Regime aufs Spiel zu setzen? Oder wären wir den Weg der Karajans, Porsches oder auch mancher Bergarbeiterkinder gegangen und hätten versucht unser Leben innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen bestmöglich zu gestalten? Sei es als Künstler, Konstrukteur oder einfach nur als Familienvater bei dem Versuch seinen Kindern etwas bieten zu können?

Die Antwort darauf können wir uns wünschen, den Beweis aber niemals dadurch antreten, indem wir die Namen unserer Vorfahren demontieren. Ein erläuternder Zusatz sollte reichen – da hat er Recht der Preuner.

Mit nur 26 Jahren zieht Daniela Holzinger-Vogtenhuber erstmals in den Nationalrat ein. Bald als SPÖ-Rebellin bekannt, stellte sie sich mehrfach gegen den Klubzwang und trat letztlich erfolgreich für die Stärkung parlamentarischer Kontrollrechte ein. 2017 bricht sie endgültig mit ihrer ehemaligen Partei, kann ihr Mandat bei den vorgezogenen Neuwahlen jedoch behaupten. Diesmal parteiunabhängig über ein Ticket der Liste JETZT, wo sie zur „fleißigsten“ weiblichen Abgeordneten des Parlaments avancierte. Heute ist Holzinger-Vogtenhuber Seniorpartnerin einer Agentur für Politikberatung und leidenschaftliche eXXpress-Kolumnistin.