Als Sebastian Kurz vor knapp vier Jahren einen „neuen Stil“ ausrief war eines klar: So wie bisher könne es nicht weitergehen. Nicht mit der großen Koalition der Verlierer, nicht mit einer Zwangspartnerschaft mangels Alternativen, Mut oder beidem. Und nicht mit der aus allen Poren triefenden Alt-Parteipolitik, der Apparatschiks, Postenschacherer, Ausmauschler und Haxlbeißer. So weit, so Zeitgeist. Kurz hat ihn getroffen und die strauchelnde Bauern- und Buchhalterpartei binnen weniger Wochen zur fancy-Bewegung mit Lifestyle-Potenzial gebrandet.

Ein bunter Haufen

Das Türkis, als sichtbarster Ausdruck der neuen Marke, hat es dabei aber nie in die Tiefe geschafft. Mit Ausnahme der kleineren Landesorganisationen in Kärnten, dem Burgenland und der Wiener-Blümel-Truppe, spielt die volksparteiliche Familie heute viele Farben. Insbesondere dort, wo neben dem Kurz‘schen-Neo-Machtzentrum im Bundeskanzleramt traditionell das Herz der Partei schlägt, meidet man „den neuen (farblichen) Stil“.
Niederösterreichs Johanna Mikl-Leitner etwa setzt auf ein dezentes grau mit orangen und türkisen Akzenten. In Oberösterreich verlässt sich LH-Stelzer auf die subtile Wirkung der Landesfarben rot und weiß. Salzburgs Wilfried Haslauer wählte etwas überraschend ein skurriles Babyblau.
Während der steirische Panther, landesvaterlich Grün trägt und sich ganz im Westen sogar noch ein kleinbisschen (verblichenes) Schwarz erhalten hat. Ein bunter Haufen sozusagen. Doch warum?

Eine Partei – zwei Systeme

Die Machtübername der jungen Wilden war weder Zufall noch Wunsch. Vielmehr stellte sie den kleinsten gemeinsamen Nenner einer, von föderalen Fliehkräften und zentralisiertem Machtvakuum geplagten, Partei dar.
Wollte man vermeiden, dauerhaft unter die 20%-Marke zu rutschen, musste etwas passieren. Kurz war da ideal. Unverbraucht, eloquent und mit Übung darin, ins kalte Wasser zu springen. Seine Bedingungen wurden akzeptiert, auf Bundesebene das System Kurz installiert – gleichzeitig aber auch die Unabhängigkeit der Landesorganisationen weitestgehend beibehalten. Ein Asset mit Rettungsanker-Potenzial, wie sich schon bald herausstellen könnte.

Sittenverfall

Dort in den Ländern nämlich, spürt man den Wind rauer werden. Man darf Sebastian Kurz parteiintern wieder kritisieren und immer mehr tun es auch – wie mir Freunde aus der ÖVP flüsterten.

Das Hauptproblem: Der wahrgenommene Sittenverfall in Wien.
Statt mit Apparatschiks, Postenschacherer, Ausmauschler und Haxlbeißer Schluss zu machen, wächst der Eindruck, genau das zu sein. Stichwort: Chatprotokolle von ÖBAG-Vorstand und Kanzler-Intimus Schmid.

Das alles kratzt am Image des Sebastian Kurz und lässt ihn nun auch erstmals bei Umfragen einknicken. Ja und dann ist da noch die Sache mit der mutmaßlichen Falschaussage vor dem UsA. Bei einer Anklage wird’s brenzlig für den Kanzler – spätestens bei einer Verurteilung aber wäre die türkise Party endgültig vorbei. Doch was dann?

Eine Partei nach Kurz

Aktuell fehlt der Partei noch jede Idee und jedes Konzept für eine Welt nach Kurz. Nur drei Dinge scheinen klar. Erstens: Jede Degradierung des Kanzlers würde als massive Niederlage wahrgenommen – persönlich wie auch in der Bewegung. Sebastian Kurz als Oppositionsführer nach Vorbild Pamela Rendi-Wagner scheint undenkbar.
Zweitens: Um die aktive Karriere zu beenden und sich als Elder-Statesman zur Ruhe zu setzen, ist Kurz schlicht zu jung.
Und drittens: Angesichts der Entwicklungen wäre es wohl langsam, aber sicher an der Zeit, sich ein paar Gedanken zu machen. Nur für den Fall.
Wobei es unterm Strich dann auch wieder egal ist, auf welchen Weg sich die ÖVP hier verständigt. Letztlich wird es die Buntheit der Landesorganisationen sein, die einen Zusammenbruch des Systems-Kurz abfedert und stabilisiert. Es werden die hunderttausenden Mitglieder sein, die für ein Monatsgehalt von Kurz-Freund Schmid, mehr als ein Jahr arbeiten müssen und in dessen Augen nicht mehr als Pöbel sind. „Pöbel wie wir“ meinte mein Freund.
Nach dem Platzen der Schicki-Blase, werden sie den Karren aus dem Dreck ziehen – die Volkspartei wahrscheinlich sogar in der Regierung halten. Spätestens bei einer Neuauflage von Rot-Schwarz, wird man sich aber die Frage stellen müssen – wofür das Ganze?

Mit nur 26 Jahren zieht Daniela Holzinger-Vogtenhuber erstmals in den Nationalrat ein. Bald als SPÖ-Rebellin bekannt, stellte sie sich mehrfach gegen den Klubzwang und trat letztlich erfolgreich für die Stärkung parlamentarischer Kontrollrechte ein. 2017 bricht sie endgültig mit ihrer ehemaligen Partei, kann ihr Mandat bei den vorgezogenen Neuwahlen jedoch behaupten. Diesmal parteiunabhängig über ein Ticket der Liste JETZT, wo sie zur „fleißigsten“ weiblichen Abgeordneten des Parlaments avancierte. Heute ist Holzinger-Vogtenhuber Seniorpartnerin einer Agentur für Politikberatung und leidenschaftliche eXXpress-Kolumnistin.

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Kommentare

  • Azzo sagt:

    Mah, eine Linke weint Krokodilstränen über die ÖVP.
    Ja, es wird eine Zeit nach Kurz geben. Ich schätze in 20-30 Jahren.

  • JudithP sagt:

    Die ÖVP wird das jämmerliche türkise Interregnum gut überstehen. Aber die Landesherren sollten sich langsam an die Suche machen.

    1. Azzo sagt:

      Ja, ja und so wie unter Mitterlehner wieder um Platz 3 kämpfen.

  • benjaminheinrich sagt:

    Was die Jugendlichen und jungen Menschen am Donaukanal gemacht haben in der Anfangswoche und zuletzt ist doch nur ein Ausdruck eines Symptoms einer Ungleichheit die zwischen Politiker und der Bevölkerung herrscht.
    https://benjaminheinrichblog.blogspot.com/2021/05/skandalos-politiker-gleicher-als-gleich.html

    Finde ich gut, dass Frau Holzinger auch für exxpress tätig sein darf. Gibt Zeitungen die dulden nur eine einheitliche politische Linie. Gut, dass solche Zeiten vorbei sind.
    Könnte durchaus ein online-Medium mit Konkurrenzpotentiel für oe24(homepage) oder die presse werden. Auf jedenfalls liberaler als heute bei der kommentarfunktion.

  • HannesfSwoboda sagt:

    Es wäre mal wieder Zeit anständige Politiker zu haben und keine Schnösel die denken sie sind unantasbar. Buberln hatten wir schnmal in der Regierung. Es reicht! Politiker mit Anstand bitte!

    1. Johannes sagt:

      Sie haben vollkommen Recht, was waren das für schöne, aufrechte Zeiten als ihre Partei noch ganze Doppelseiten von Tageszeitungen füllen konnte.
      Herr Unterberger weiß davon mehr als ich.

      Wir sollten uns generell viel mehr an Gusenbauer und Co. Orientieren um wieder Anstand und Beziehungen zB. nach Kasachstan? zu pflegen.

  • Encolpius sagt:

    Sehr geehrte Frau Holzinger! Menschen, die über das passive Wahlrecht verfügen, können bei Wahlen antreten. Erhalten sie genug Stimmen und/oder Mandate sind sie Abgeordnete, Präsidenten etc. Oder mit anderen Worten, sie sind bei der Party dabei. Das ist Politik und hat nichts mit Stil, Sitten oder deren Verfall zu tun …

  • Sigismund Sülzheimer sagt:

    Eine Neuauflage von Rot-Schwarz? Also die Urkatatsrophe für Korruption, Nepotismus, Kleptokratie, Protektionismus und Plutokratie? Nein, kein aufgeklärter, kein gebildeter, kein belesener und vor allem kein bürgerlich-freiheitlich gesinnter und aufrechter Demokrat würde erneut diese unselige und destruktive Regierungskoalition wollen. Zumal es genau diese rot-schwarzen Regierungen waren, die sich gegen die Freiheit der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Wissenschaft, der Kultur und des technischen Fortschritts stellten. Heute sieht man nur allzu gut, wohin es geführt hat, wenn man Computer, Internet und andere Zukunftstechnologien verzweifelt verteufelt. Wie war das noch zu Beginn der 1980er-Jahre als die ersten Computer Einzug in Österreich gehalten haben? Die Gewerkschaften und die SPÖ-Leute setzten die Österreicher in Panik, indem sie behauptet haben, der Computer würde alle arbeitslos machen. Das Potenzial, die Chancen und die Möglichkeiten dieser neuen Technologie wurden nicht einmal im Ansatz erkannt, verstanden oder gar begriffen. Die Folge dieser unverantwortlichen Ignoranz sieht man heute: In Österreich fehlen Programierer, IT-Fachkräfte, Mathematiker, E-Commerce-Spezialisten und Content-Ersteller. Während in den USA Millionen neue Arbeitsplätze in der Computer- und Software-Industrie entstanden, werden bei uns Tellerwäscher und Erntehelfer aus dem Osten Europas eingeflogen, da sie angeblich “systemrelevant” seien. Dass das Durchschnittsgehalt bei Google bei rund 80.000 Dollar jährlich liegt, wollen die SPÖ-Leute gerne verschweigen. Schließlich darf es aus ideologischen Gründen nicht sein, dass die Menschen in Wohlstand leben. Denn der Wohlstand würde ja das Geschäftsmodell der Sozialisten mit ihrem antiquierten Sozialismus völlig für überholt enttarnen, weil dann die Menschen von den vor die Füße geworfenen Almosen nicht mehr abhängig wären – und kein Kreuzerl mehr bei den Sozialisten machen würden.

  • Bösewicht sagt:

    Ohne Kurz wird die ÖVP vor allem wieder schwarz, die bundesweit auf 25 bis 22% Wählerzuspruch abstürzt und dort landet, wo heute die SPÖ hilf- und orientierungslos herumdümpelt. Kickl und allen Linken würde das natürlich sehr gefallen. Und dem Mitterlehner wohl auch …

  • Lobau sagt:

    Schon mit dem einleitenden Satz: ” Spätestens bei einer Verurteilung des Kanzlers wäre die türkise Party vorbei” wurde die Abneigung gegenüber der türkisen ÖVP von der Verfasserin dieses Kommentars nicht nur deutlich zum Ausdruck gebracht, sondern sofort versucht, die türkise ÖVP damit auch gleich ins Lächerliche zu ziehen, was sich im weiteren Verlauf dieses Artikels nur bestätigt. P.S: -Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass dieser Kommentar von Frau Holzinger nicht freigeschaltet wird – wie auch schon mein letzter.

    1. Maria M sagt:

      Ich denke nicht, dass es hier um Abneigung einer Partei gegenüber geht, sondern vielmehr um eine ziemlich klare Analyse dessen was ist. Die ÖVP besteht nich alleine aus Sebastian Kurz und seinem Team. Das darf man nicht vergessen.

  • Rosebud sagt:

    Das Steuergeld des “Pöbels” für sein Gehalt und seine Reisen hat er aber gerne genommen.

  • Peter sagt:

    Großartige Kolumne. Auf den Punkt gebracht! Die ÖVP muss hier tatsächlich aufpassen.