Der Nicht-Schauspieler

Politiker, die sich im Amt verstellten, einmal dieses und dann wieder jenes sagten, das seien keine echten Menschen, sondern vielmehr Schauspieler. Er, Kickl, werde sich deshalb auch als möglicher Kanzler seine Ecken und Kanten und selbstverständlich den dazugehörigen Umgangston bewahren. 

Dementsprechend gab‘s vom FPÖ-Chef statt amikalem Vorgespräch im altehrwürdigen Plenarsaal gleich vorweg eine klare Ansage. 

Interessant dabei: So genau muss man gar nicht hinhören um das Drehbuch von „Nicht-Schauspieler Kickl“ quasi mitlesen zu können. 

Als langjähriges Mastermind der Freiheitlichen Partei ist dem Verbalakrobaten und Plakatdichter klar, dass jeder Satz, jedes Wort, eine Wirkung hat. Den Unterschied macht die Strategie, und so schaut sie aus:

Motiv 1: Ein milder, unabhängiger Familienmensch.

Leute mögen sie nicht, die aalglatten Politiker, Karrieretypen und Berufslügner. Wie gut, dass Kickl da nicht dazugehört. Er sei vielmehr ein „milder Mensch“, der sich „das Leben abseits der Politik“ sehr gut vorstellen könne. „In der Natur mit seinem Sohn“ oder sogar als Journalist, der eventuell eines Tages den Spieß umdreht, um ORF-Frau Schnabl zu interviewen.
Warum er das tun sollte, ist nicht ganz klar – warum es ihm wichtig ist diesen ersten Hattrick zu landen, jedoch schon: Was Menschen im Gegensatz zum verhassten Berufspolitiker nämlich sehr mögen, das ist der nette, naturverliebte Family-Guy. Einer, der Politik aus inhaltlicher Überzeugung macht, aber nicht davon abhängig ist.

Motiv 2: Weil er für euch ist!

Wer kennt‘s? „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist.“ Jörg Haider 1994,  HC-Strache 2008, Björn Höcke (AfD) 2019. Sie alle warben mit exakt demselben Spruch um Stimmen und alle konnten sie dazugewinnen. Teilweise ganz ordentlich. 

Das zeigt: (Nicht nur) im Wahlkampf schlägt Effektivität, Kreativität. 

Es geht um Stimmen und darum wie sie zu mobilisieren sind. Haiders Spruch bedient dabei das sogenannte Robin-Hood-Motiv. Ein Underdog, ein Außenseiter, der es wagt, sich gegen „das System“ zu stellen und selbstlos für jene zu kämpfen, die es nicht können.

Herbert Kickl wird man nicht dabei erwischen, wie er bald 30-Jahre alte Slogans kopiert. Sehr wohl aber, wenn er ganz bewusst sein Image pflegt. Als Robin von Locksley:

Dichtet er beispielsweise der (echt unpassenden) Hinterzimmer-Location der „Sommergespräche“ den Charme eines Stasi-Verhörzimmers an, dann passiert das nicht einfach so. Vielmehr baut Kickl vor, will sich präventiv in das Licht eines Verfolgten, eines Opfers des „Unrechts-Systems“ rücken. 

Genauso wenn er insgesamt vier Mal energisch einfordert, etwas Gesagtes „nicht herauszuschneiden“. 

Als Zuseher fühlt man sich da gleich mit-betroffen, solidarisch – schließlich möchte man ja hören was er zu sagen und nicht vom „Rot-Schwarzen-Systemfunk“ um die Antwort betrogen werden. Nach dem Trigger läuft das ganz automatisch.

Auch wenn Herbert Kickl eine Antwort beginnt, indem er darum ersucht „bitte diesmal ausreden zu dürfen“ wird dasselbe Motiv gestärkt. 

Motiv 3: Neue Politik. Direkte Mitbestimmung.

Dementsprechend sind auch die politischen Inhalte untrennbar in diese Erzählung eingebettet. Auf der einen Seite das unterdrückerische, verfilzte System, auf der anderen Seite er, der Underdog, der für sich und die Seinen kämpft.

Doch war es früher so etwas wie ein Naturgesetz, dass Freiheitliche am Boden solider inhaltlicher Diskussion ausrutschen, darf die heutige Konkurrenz (dank eigener Versäumnisse) darauf nicht mehr zählen.

Kickl versucht hier sogar den Spieß umzudrehen – wirft den Regierenden vor, auf komplexe Fragen zu einfache Antworten zu formulieren, nur schwarz-weiß zu denken. 

Etwa wenn uns für den Pflege- und Gesundheitsbereich der Import billiger Arbeitskräfte aus der ganzen Welt als einziger Ausweg verkauft wird – anstatt diese wichtige Tätigkeit für die eigene Bevölkerung zu attraktivieren. 

Oder auch, wenn der Kampf gegen die Teuerung nur schleppend, der Beschluss neuer Belastungen (ORF-Haushaltsabgabe, Klimamaßnahmen…) aber zügig vorangeht und unterm Strich vielen, viel zu wenig bleibt. 

Kickl‘s Feststellung, dass es früher möglich war mit nur einem Einkommen eine Familie zu ernähren – dennoch Haus, Auto und Urlaub drinnen waren, kann man nicht einfach so wegwischen. 

Seither hat sich gewaltig viel getan und immer mehr Menschen sind damit nicht mehr glücklich. Sie wollen etwas ändern und sie wollen mitbestimmen!

Hier lauert dann auch Kickl‘s größte Falle auf „das System“. Wer sich nämlich ernsthaft gegen die Idee des Ausbaus direkt-demokratischer Mitbestimmung stellt, hat in Wahrheit nicht verstanden, was Demokratie heißt und wem er als politischer Repräsentant verantwortlich ist.  

Vom Bundespräsidenten abwärts wird da gerade eifrig hineingetappt. 

Mal sehen, ob am Ende ein Kanzler aus dem Volk und für das Volk regiert. Und ob dieser Kickl heißt.