Man kann über die Sozialdemokratie sagen was man will, an Ritualen fehlt es nicht. Selbst die Jungen grüßen sich kantig mit „Freundschaft Genosse“. Eine unglaublich sperrige Wortkombination aus Merkwürdigkeiten, die man sich erst einmal trauen muss auszusprechen. Vor allem öffentlich. Fast so wie ein Glaubensbekenntnis: „Ja ich auch.“ Und hat man es getan, die Scham aus der Zeit zu fallen überwunden, dann kommt der Stolz: Ja ich auch!

Wir packen das, du und ich. Weil „es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun“, wie es in „der Internationalen“ heißt. Schon wieder so ein Anachronismus, schon wieder so eine Tradition, so ein Ritual. Gesungen bei Mai-Aufmärschen und Februar-Gedenken, bei Befreiungsfeiern, Victor-Adler-Plaketten-Verleihungszeremonien und vielem mehr. Geschrieben 1871.

Progressiv von gestern

Die Sozialdemokratie blickt gerne zurück. Sie hat viel, worauf sie stolz sein kann und immer mehr worüber sie gerne hinwegtäuscht. Das völlige Fehlen einer Vision für die Zukunft beispielsweise, aus der man so etwas wie einen historischen Auftrag oder auch nur eine Existenzberechtigung ableiten könnte.

1871, ja da war man progressiv. Beseelt vom Auftrag die tatsächlich unterdrückten, ausgebeuteten Massen zu befreien, zu bilden, mit gleichen Rechten und Chancen auszustatten und in einem sozial-reformistischen Programm zu beenden, was französische und industrielle Revolution begonnen hatten.

Heute hingegen kämpft man weniger um das Menschenrecht, als mit der Tatsache, historisch eigentlich alles erreicht zu haben – zumindest hierzulande. Gläserne Decken wurden zerschlagen, Zugang zu Bildung, Wohnraum, Arbeitsplätzen, Perspektiven – all das steht heute allen offen. Nicht völlig gleich – das wäre eine Illusion – aber grundsätzlich. Und die Sozialdemokratie? Sie ist, wie ihre ehemaligen Schützlinge aufgestiegen, in die höchsten Ämter und Einkommensklassen des Staates.

Heute gilt es nicht mehr zu durchbrechen, zu erobern, aufzubauen, progressiv zu sein – nein, heute geht’s um‘s Verwalten, um‘s Erhalten. Es geht um‘s Konservieren. Progressiv war gestern.

Zeitenwende

Dabei liegen die wirklich fetten Jahre längst hinter uns.

Die Welt ist wieder in Bewegung. Wirtschaftskrise, Flüchtlingskrise, Klimawandel, Corona-Pandemie – all das hat uns in den letzten eineinhalb Jahrzehnten enorm gefordert und wird es auch in Zukunft tun. Herausforderungen wachsen, allein die Sozialdemokratie, heute geführt von „Vranitzkys Handlangern“, durchzogen von Opportunisten und Geltungssucht, ist nicht mehr der Lage sie anzunehmen…

Die ganze Sozialdemokratie?

Nein, ein von unbeugsamen Pannoniern bevölkertes Land packt den Stier bei den Hörnern, widmet sich den sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts und hat – hört, hört! – großen Erfolg damit. Statt sich wegzuducken, abzulenken, kleinzureden oder oberlehrerhaft mit dem erhobenen Zeigefinger herumzustolzieren, wird ganz einfach angepackt und es besser gemacht. Progressiv, nach vorne (und auf die Leute) schauend – so wie Sozialdemokratie sein sollte!

Oder anders gesagt: Ein Riesenproblem für die Löwelstraße. Zeigt es doch die unglaubliche Schwäche der Bundespartei, ihrer farb-, ideen- und visionslosen Führungsspitze auf.

Kein Wunder also, dass Doskozil und Fürst mittlerweile ganz oben auf der Abschussliste stehen. Der eine Polizeigeneral, Held der Flüchtlingskrise und mit absoluter Mehrheit regierender Landeshauptmann. Der andere Sozialarbeiter, Journalist, Professor und als Landesgeschäftsführer die rechte Hand des Chefs.

Würde es gelingen einen Keil zwischen sie zu treiben, der Spuk wäre beendet.

Parteispaltung? Nur ein schmutziger Trick

Und genau das scheint man im Politbüro nun zu versuchen. Erstmals seit langer Zeit ausgestattet mit etwas weniger desaströsen Umfragewerten sehen Rendi und Co. die Chance gegen ihre „Parteifreunde“ in die Offensive zu gehen – ihre lästigen Kritiker ein für alle Mal verstummen zu lassen. Die Methode der Wahl: „Teile und herrsche“ – so simpel wie immer wieder erfolgreich.

Ist man darauf nicht gefasst, gibt’s Lücken in der Verteidigung, lässt man sich verunsichern, das Vertrauen zerstören – ist es so gut wie vorbei. Der Plan ist gnadenlos:

1. Rekrutiere die Neider: Jene die gerne mehr möchten als ihnen zusteht – ihre Gier macht sie zu deinen Verbündeten.
2. Verunsichere die Unterstützer. Die braven einfachen Parteimitglieder. Nutze ihre Gutgläubigkeit für dich. Streue Gerüchte und schwäche dadurch den Rückhalt deiner Gegner.
3. Wähle dein Opfer und zerstöre das „Winning Team“. Weil du gegen sie gemeinsam nicht gewinnen kannst. Drehe den Spieß um und „hilf“ ihnen den Feind in den eigenen Reihen zu erkennen.
4. Sorge für eine Niederlage und lasse sie diese ausbaden.
5. Reiche deine Hand zur Versöhnung – unter deinen Bedingungen.
6. Freue dich, du herrscht unangefochten. Über Ruinen!

Aus diesen Überlegungen heraus sind die Gerüchte um eine Abspaltung der Burgenländischen Landespartei nichts anderes als die zweite Stufe des oben geschilderten Plots – mutmaßlich geplant und ausgeführt von einflussreichen Kreisen rund um Parteichefin Rendi-Wagner.

Einfache Parteimitglieder werden verunsichert. Menschen, denen ihre Sozialdemokratie heilig ist und die alles andere wollen als eine Spaltung der Bewegung, sollen beginnen an ihrem Landeshauptmann zu zweifeln. „Geht der Dosko zu weit?“

Der Übergang zur Stufe drei ist dann sehr fließend. Werden verärgerte Mails und Anrufe in der Eisenstädter Parteizentrale langsam mehr, geht’s in die Defensive. Wenn sich Dosko und Fürst gezwungen sehen auszurücken und zu dementieren, dann ist der Schaden bereits angerichtet und so schnell nicht mehr gut zu machen. Das ist ungefähr, wo wir jetzt stehen.

Die Frage ist nun, ob es das Team zulässt sich spalten zu lassen – oder aber in der Lage ist, dem Druck stand zu halten. Sollte man sich dazu hinreißen lassen, das Vertrauen zueinander in Frage zu stellen und rollen daraufhin möglicherweise sogar Köpfe, droht bei den Kommunalwahlen im Oktober ein erster messbarer Rückschlag. Oder wie die Bundespartei sagen würde: Mission accomplished.

Aber vielleicht irre ich mich auch. Wir werden sehen.

Mit nur 26 Jahren zieht Daniela Holzinger-Vogtenhuber erstmals in den Nationalrat ein. Bald als SPÖ-Rebellin bekannt, stellte sie sich mehrfach gegen den Klubzwang und trat letztlich erfolgreich für die Stärkung parlamentarischer Kontrollrechte ein. 2017 bricht sie endgültig mit ihrer ehemaligen Partei, kann ihr Mandat bei den vorgezogenen Neuwahlen jedoch behaupten. Diesmal parteiunabhängig über ein Ticket der Liste JETZT, wo sie zur „fleißigsten“ weiblichen Abgeordneten des Parlaments avancierte. Heute ist Holzinger-Vogtenhuber Seniorpartnerin einer Agentur für Politikberatung und leidenschaftliche eXXpress-Kolumnistin.