Audiatur et altera pars – gehört werde auch der andere Teil: Dies war bereits ein Grundsatz des Römischen Rechts, der sich bis heute in unserer Gesellschaft als tragende Säule der Fairness in unserem Zusammenleben bewährt hat. Auch in unseren Gerichtssälen dürfen täglich auch die Beschuldigten sprechen, auch ihnen wird zugehört, auch ihre Worte sind wichtig.

Die Mitarbeiter des “Spiegels”, der “Süddeutschen Zeitung” und des Wiener Regionalblatts “Falter” spielten im Mai 2019 nicht nach diesen Regeln, auf die wir Menschen seit mehr als 2000 Jahren vertrauen: Sie lieferten ein 2,53 Minuten langes zusammengeschnipseltes Filmchen ab, das dank der hysterischen medialen Begleitmusik für den vielleicht schon länger gewünschten Effekt sorgte – die Mitte-Rechts-Regierung Österreichs löste sich auf, und auf der Regierungsbank war wenige Monate später Platz für die ultralinken Grünen.

Ein Ladenhüter für "Spiegel" und "Süddeutsche"

Vielleicht dachten die Relotius-geschüttelten Investigativ-Teams, dass der Zweck ohnehin alle Mittel heilige. Ziemlich sicher nahmen sie aber an, dass wohl nie jemand das gesamte Video-Material, alle 7 Stunden von allen Geheimkameras in der Finca, sehen wird – und so zeigen könnte, dass sehr viel mehr Wesentliches auf diesen Videodateien zu sehen ist: Verdächtiges Tuscheln, Absprachen, das Auffliegen der Tarnung der “Oligarchin”. Und natürlich auch die klaren Feststellungen von Heinz-Christian Strache, dass es mit ihm “nur ganz korrekte legale Geschichten” geben könne.

Was für ein Pech, was für eine Image-Katastrophe für die “Aufdecker”, dass jetzt alles gezeigt wird. Sie waren so stolz auf das Filmchen, das bereits zwei Jahre lang kein Mensch in Österreich abnehmen und veröffentlichen wollte. Das primitiv geschnittene und inszenierte Finca-Machwerk war, wie der haupttatverdächtige Detektiv H. selbst einer Zeugin gesagt haben soll, nämlich ein Ladenhüter, weil alle professionell arbeitenden Politikberater, Fraktions-Anwälte und Parteistrategen, die in den Jahren 2017 bis 2019 mehr davon gesehen haben, der Ibiza-Bande dankend absagten.

Jetzt müsste auch den Aufdeckern vom Mai 2019 klar sein, dass sie einen sehr schweren Fehler begangen haben: Sie hätten mit einem deutlich längeren Video (inklusive sämtlicher Statements Straches, auch allen entlastenden) eine durchaus wichtige journalistische Arbeit abgeliefert. Wir hätten uns auch diesen Film angesehen, sicher.

Mit einer veröffentlichten “Audiatur altera pars”-Version wäre die türkis-blaue Bundesregierung allerdings nur ins Trudeln gekommen, aber nicht gescheitert. Um eine Sprengung der Mitte-Rechts-Koalition zu schaffen, musste dann doch auf die 2000 Jahre alten Grundsätze für unser zivilisiertes Zusammenleben gepfiffen werden.

Die selbst ernannten Guten sind jetzt aufgeflogen. Vermutlich nicht zum letzten Mal.