Die EU zeigt sich geeint und kündigt großmundig Sanktionen an, einige europäische Bürger sehen andererseits in den USA als eigentliche Kriegstreiber – beides wird vom Polit-Experten Ralph Schöllhammer (Webster University) im eXXpress-Spezialtalk mit Moderatorin Tanja Pfaffeneder deutlich relativiert. In Wahrheit dürften die USA nämlich die Europäer mit ihren Konflikten zunehmend allein lassen, und ob die Sanktionen der EU am Ende wirklich so hart sein werden, das darf durchaus bezweifelt werden.

Auch ansonsten stellte Schöllhammer vieles in ein anderes Licht und verweist vor allem auf die zahlreichen Versäumnisse Europas in den vergangenen 30 Jahren, die dem Kontinent nun zum Verhängnis werden.

Putin nimmt auch baltische Staaten ins Visier

Dass Russlands Staatspräsident Wladimir Putin, wie in seiner Rede am Montagabend, der Ukraine die Rechtsstaatlichkeit abspricht, ist nicht neu, erinnert der Politologe. Bereits 2008 hat Putin dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush sinngemäß mitgeteilt: Die Ukraine sei ja nicht einmal ein eigenes Land. Schon damals hat er sie also nicht als eigenen Nationalstaat anerkannt. Für Putin war die Ukraine immer Teil Russlands.

Hellhörig sollten die Europäer aber noch aus einem andere Grund werden: Montagabend hat sich Putin in diese Richtung nämlich nicht nur mit Bezug auf die Ukraine geäußert, sondern auch mit Blick auf die baltischen Staaten – die der EU und der NATO angehören. “Möglicherweise wollte Putin auch testen, wie die internationale Gemeinschaft reagiert.”

Russland als Nachfolger der Sowjetunion?

China habe das russische Vorgehen nicht wirklich verurteilt. Es möchte zwar keine Eskalation, aber scheint andererseits nicht bereit zu sein, sich an Sanktionen zu beteiligen.

Bei harten Sanktionen wollen speziell die Italiener im Energie-Sektor nicht mitmachen. Auch Deutsche und Österreicher steigen in Wahrheit auf die Bremse. Schällhammer meint knapp: “Putin riskiert, die Initiative ist bei ihm, er hat die Karten in der Hand. Er agiert, die anderen reagieren.”

Sein Hauptziel sei, Russland wieder als geographischen Nachfolger der Sowjetunion zu etablieren, und da versucht er – nicht zum ersten Mal in der russischen Geschichte – Teile wieder zurückzuholen und den Einflussbereich zu vergrößern.

Günstiges Timing für den Kreml

Es ist nicht der erste Konflikt unter Putin. Schöllhammer verweist auf die Kaukasus-Krise im Jahr 2008, sowie die erste Krim-Krise im Jahr 2015. Österreich ist diesmal aber keine “Insel der Seligen”. Dass Russische Soldaten an der Donau stehen, sei schon unwahrscheinlich. “Aber der Energiesektor bleibt ein Problem.” Auch ist diesmal mit Flüchtlingsbewegungen zu rechnen, die an Österreich nicht spurlos vorbeigehen werden. Diese Welle dürfte aber besser bewältigt werden, als die bisiherigen, weil die osteuropäischer Staaten mithelfen werden.

Putin hat kein schlechtes Timing gewählt. Nach der Corona-Krise ist es für den Durchschnittsösterreicher schon ein Problem, wenn nun alles nochmals teurer wird. “Die Bürger werden zunehmend sagen: Ist es das die Ukraine wert, dass mein persönliches Leben so eingeschränkt wird? Damit muss man rechnen.”

"Europa hat 30 Jahre lang keine militärischen Strukturen aufgebaut"

Ein Hauptproblem ist aber: “In den vergangenen 30 Jahren hat Europa keine militärischen Strukturen aufgebaut.” Die Weichen standen nur in Richtung Abrüstung. Gleiches galt für die Atomenergie, auf die man immer mehr verzichten wollte. “Alle Hebel, die nützlich wären in einem Gleichgewicht mit Russland, hat man vernachlässigt.” In einer vermeintlichen “Ende der Geschichte” (Francis Fukuyama) hat man es sich bequem gemacht.

Was hierzulande kaum bemerkt wird: In den USA kippt die Stimmung zunehmend, und zwar bei Demokraten wie Republikanern. Der Tenor: “Europäische Politik ist Sache der Europäer.” Insofern kann Schöllhammer all jene, die glauben, die Amerikaner treiben hier Krieg, beruhigen: “Die Amerikaner werden sich zunehmend zurückziehen, ihr Fokus liegt immer mehr auf Ostasien.” Es sei aber ungewiss, ob die Lage damit besser werden. Denn bei bisherigen politischen Konflikten sei den 1990er Jahren griffen europäische Politiker immer zum Telefonhörer um mit Washington zu telefonieren. “Wir haben uns immer auf die Amerikaner verlassen.”

Den Kreml sind die Europäer in Wahrheit ziemlich egal. Das unterstrich Putin in seiner Rede: Er will nur mit den Amerikanern reden, denn der Rest mache nur, was Washington will.

Wo sieht Putin die grenzen der Separatistenregionen?

Eine spannende Frage werde nun sein: Wo sollen denn die Grenzen der neuen Separatistenregionen verlaufen: Dort, wo jetzt die Separatisten herrschen, und innerhalb der sowjetischen Grenzen, was einem viel größeren Gebiet entsprechen würde und zu Kämpfen mit der ukrainischen Armee führen würde. Die Begeisterung über einen bevorstehenden Krieg hält sich laut Umfragen auch in der Ostukraine in Grenzen. “Wirtschaftlich gesehen ist eine Annäherung an Westen wohl besser für die Menschen, als mit dem Osten.”

Noch etwas bemerkt der Politologe: “Man spricht relativ viel über die Ukraine, aber relativ wenig mit der Ukraine.”

Fakt ist: Europa muss sich was einfallen lassen, wenn es nicht zum geopolitischen Statisten verkommen will, denn dann sei der Weg zum geopolitischen Opfer nur ein kleiner Schritt. “Wer nicht mehr mitspielt, mit dem wird gespielt.”

Diplomatie ist wie ein Pokerspiel. “Die Russen hatten bisher recht gute Karten und haben auch gut geblufft. Europa lässt sich hingegen allzu leicht in die Karten sehen. Oder hat die EU noch eine Überraschung für Putin?

All diese Fragen analysiert Ralph Schöllhamer ausführlich auf eXXpressTV.