Das Märchen vom guten Brexit – was vom "Global Britain" noch bleibt
Ein „Singapur an der Themse“ wollten die Briten werden. Nach dem Brexit wollte man Investitionen anziehen, Steuern senken und ein attraktiver Handelspartner sein. Doch die Heute ist von der Aufbruchsstimmung ist wenig übrig.
Bis heute hat sich Großbritannien nur in Detailbereichen von europäischen Vorgaben verabschiedet. Dagegen sei die Formel „des globalen Britannien“ für die Zeit nach dem klaren Schnitt mit dem wichtigsten Handelspartner EU bis heute nicht mit Leben gefüllt, merken Beobachter an. Auch in Umfragen unter der Bevölkerung hat sich die öffentliche Meinung gewandelt. Ein großer Anteil von “Leave”-Wählern meint mittlerweile, dass der Brexit keine gute Idee war.
“Seine Vermeidung der vielen Schwierigkeiten, Knackpunkte und Kosten deutet darauf hin, dass Großbritannien noch weit von einer ausgewogenen und wohlüberlegten Debatte über die Gestaltung der Beziehungen zur EU entfernt ist”, sagte der Politologe Simon Usherwood von der Open University der Deutschen Presse-Agentur. Denn der Brexit ist noch längst nicht “done”, erledigt, wie Johnson selbst indirekt einräumte.
Eine Bestandsaufnahme
Handel: Von den Verträgen, die der Premier nun so hervorhebt, ist bisher nur ein Deal mit Australien völlig neu ausgehandelt, ein weiterer mit Neuseeland steht bevor. Die übrigen spiegeln letztlich die EU-Kontrakte. Doch der Unmut über die neuen Verträge ist groß. Britische Landwirte fürchten, von billigem Fleisch aus Australien und Neuseeland vom Markt gedrängt zu werden. Das wichtigste Vorhaben – ein Freihandelsabkommen mit den USA – ist in weiter Ferne.
Bürokratie: Einige Branchen profitieren in der Tat, wie ein Diplomat eines EU-Landes in London anerkennt. Autonomes Fahren oder Künstliche Intelligenz seien zwei Bereiche, in denen ohne strikte EU-Regeln nun mehr Möglichkeiten bestünden. Aber: “Das sind nur Nischen.” Tatsächlich hat die Bürokratie zugenommen, bereits seit einem Jahr ist der Handel wegen notwendiger Dokumentation schwieriger geworden. Seit Jahresbeginn kontrolliert Großbritannien nun auch einige Importe aus der EU strenger. Der Handel kleinerer Unternehmen mit der EU nehme dauerhaften Schaden, befürchtet der Tiefkühlkostverband BFFF.
Verbraucher: Die Handelsprobleme haben konkrete Auswirkungen. Der Großteil frischer Lebensmittel stammt aus der EU, Regale blieben leer. Seit dem Brexit ist es wegen teurer Arbeitsvisa schwieriger für Fachkräfte, ins Land zu kommen. Das betrifft viele Branchen, in denen bisher vor allem EU-Bürger arbeiteten – von Transport über Fleischverarbeitung bis zur Gastronomie.
Migration: Klasse statt Masse strebt Innenministerin Priti Patel an. Die ungehinderte Freizügigkeit will Patel stoppen und damit eine zentrale Forderung der Brexiteers umsetzen. Stattdessen sollen die klügsten Köpfe kommen. Doch gab es auf ein neues Sondervisum für wissenschaftliche Preisträger bisher keine Bewerbung. Zu Patels Unmut kamen weiterhin viele Migranten illegal über den Ärmelkanal. Die Zeitung “Independent” kommentierte, dies sei die größte Herausforderung für Johnson im neuen Jahr.
Konjunktur: Noch überschattet die Pandemie viele Brexit-Sorgen. Eine klare Einschätzung, inwiefern der EU-Austritt verantwortlich ist für leere Kassen und enorme Steuererhöhungen, steht noch aus. Die Aufsichtsbehörde Office for Budget Responsibility (OBR) kommt aber zu dem Schluss, der EU-Austritt werde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4 Prozent verringern, das ist doppelt so viel wie die Pandemie.
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