Franz Schellhorn über das Pensionssystem: Künftigen Generationen drohen unzumutbare finanzielle Lasten
Andere Länder passen die Pensionssysteme an die Lebenserwartung an. Nicht so Österreich. Wenn es dabei bleibt, bürden wir künftigen Generationen unzumutbare Kosten auf, sagt Franz Schellhorn von der Agenda Austria zum eXXpress. Schon 2024 wird das Pensionsloch ein Viertel des Bundesbudgets auffressen. “Diese Gelder fehlen uns bei Investitionen in Bildung und Digitalisierung.”
Die Baby-Boomer – die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre – gehen gerade in Pension. Was werden die Auswirkungen sein?
Ganz einfach: Die finanzielle Schieflage im heimischen Pensionssystem wird immer dramatischer. Denn je höher die Zahl der Pensionisten im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung ist, desto größer wird die finanzielle Last auf den Schultern der Jungen. Heute zahlen noch 1,7 Erwerbstätige für jeden Pensionisten ein, 2035 werden es weniger als 1,5 und 2050 weniger als 1,3 sein.
Erschwerend kommt hinzu, dass junge Menschen immer später ins Berufsleben einsteigen. Während Ältere immer länger in Pension sind, zahlt die arbeitende Bevölkerung kürzer ein. Anfang der 1970er Jahre waren die Menschen im Schnitt 17 Jahre in Ausbildung, 45 Jahre im Arbeitsleben und acht Jahre im Ruhestand. Heute sind sie 23 Jahre in Ausbildung, 38 Jahre im Arbeitsleben und 23 Jahre in Pension. Das Pensionssystem brauchte schon letztes Jahr mehr als 23 Milliarden Euro Zuschuss aus den staatlichen Kassen. So groß ist der Unterschied zwischen Ein- und Auszahlungen, der nahezu die gesamten Einnahmen aus der Lohnsteuer auffrisst.
2024 wird das Pensionsloch 24 Milliarden Euro erreichen – ein Viertel des Bundesbudgets
Über das Umlagesystem allein konnten die Pensionen in Österreich nie finanziert werden. Vor 40 Jahren musste der Staat ein Pensionsloch von vier Milliarden Euro stopfen. Wie hoch wird das Loch voraussichtlich in Zukunft sein?
Heuer wird das Defizit im staatlichen Pensionssystem knapp 24 Milliarden Euro erreichen, in den kommenden Jahren wird dieser Betrag noch weiter steigen. Bereits im Jahr 2024 werden wir bei etwa 26 Milliarden liegen. Das ist ein Viertel des gesamten Bundesbudgets, dieses Geld wird uns für Investitionen in Digitalisierung und Bildung fehlen. Erst ab 2030 werden die Ausgaben konstant bleiben, allerdings auf sehr hohem Niveau. Fraglich ist, wie es bei den Einzahlungen aussehen wird. Niemand kann seriös prognostizieren, wie sich die Digitalisierung auf die Erwerbstätigen auswirken wird. Klar ist nur, dass uns die Arbeit nicht ausgehen wird. Sie wird aber eine andere sein. Entscheidend ist, dass die Bevölkerung entsprechend qualifiziert ist.
Selbst bei Wirtschaftswachstum von zwei Prozent liegt die Pensionslücke in 25 Jahren doppelt so hoch
Manche sprechen von Panikmache. Das Momentum-Institut verweist auf Zahlen des Finanzministeriums, denen zufolge die Pensionskosten trotz einer steigenden Anzahl an Pensionisten stabil sind!?
Tatsächlich gibt es Prognosen, die davon ausgehen, dass die Ausgaben für Pensionen bis 2060 gemessen an der Wirtschaftsleistung einigermaßen stabil bleiben. Aber wer will schon behaupten, die Wirtschaftsleistung des Jahres 2060 zu kennen? Wir wissen nicht einmal die Wirtschaftsleistung des nächsten Jahres, geschweige denn die der Jahre 2025 oder 2030. Niemand weiß, wie Österreich in der digitalisierten Welt von morgen wirtschaftlich abschneiden wird.
Selbst wenn der Anteil im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung konstant bliebe, würde bei einem Wachstum von zwei Prozent die Pensionslücke in 35 Jahren in realen Werten doppelt so hoch liegen wie heute. Wir sollten uns also nicht auf derartige Wetten auf die Zukunft einlassen, sondern das tun, wozu der einfache Menschenverstand rät: Das gesetzliche Pensionsantrittsalter an die erfreulicherweise steigende Lebenserwartung koppeln. Wir leben immer länger und sollten einen kleinen Teil dieser steigenden Lebenserwartung mit längerem Arbeiten verbringen. Wir sind ja mit steigender Lebenszeit auch länger in Pension.
Mit höherem faktischen Pensionsantrittsalter steigen nicht nur Einzahlungen, sondern auch Auszahlungen
Während in Österreich die Zuschüsse in das Pensionssystem seit Jahren steigen, sinken sie in Schweden. Was machen die Schweden besser?
Die Schweden haben ihr Pensionssystem reformiert und dafür gesorgt, dass die Bürger länger im Arbeitsprozess bleiben. In Schweden hängt die Höhe der Pension nicht nur davon ab, wie viel einbezahlt wurde, sondern auch wie lange sie voraussichtlich bezogen wird. Die Lebenserwartung wird hier also berücksichtigt. In Österreich sollte daher das Pensionsantrittsalter automatisch an die – jedes Jahr um drei Monate steigende – Lebenserwartung angepasst werden. Damit wäre unser Pensionssystem nachhaltig finanzierbar. Eine Mindestpension wäre, so wie auch in Schweden, weiterhin garantiert. Aber ohne, dass die Jüngeren dafür noch stärker zur Kasse gebeten werden.
Sie fordern eine Koppelung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters an die Lebenserwartung. Reicht das aus? Ein höheres Antrittsalter produziert ja künftig auch höhere Ansprüche.
Nein, es produziert keine höheren Ansprüche, weil die Zu- und Abschläge sich dann ebenfalls am gesetzlichen Antrittsalter orientieren. Wenn man statt mit 65 erst mit 67 in Pension gehen kann und die Eingangspension identisch bleibt, sind die Ansprüche die gleichen. Sie werden nur später fällig und weniger lang bezogen.
Seit 2000 steigt bereits das faktische Pensionsantrittsalter deutlich. Dadurch werden die Kosten nicht reduziert?
Das ist leider nicht so. Mit dem höheren faktischen Pensionsantrittsalter steigen zwar die Einzahlungen ins Pensionssystem, aber auch die Auszahlungen. Weil mit dem längeren Arbeiten auch die Pension steigt. Das Problem wird also nur nach hinten verschoben. Die bittere Wahrheit ist: Wir müssen für dieselbe Pension länger arbeiten, nicht für eine höhere. Deshalb muss das gesetzliche Antrittsalter steigen, nicht nur das faktische.
Bei älteren Arbeitnehmern könnte der Staat eine Zeit lang größere Teile der Arbeitskosten übernehmen
Kritiker wenden ein: Dann muss es auch Jobs für Ältere geben.
Das ist absolut richtig, darauf weisen wir von der Agenda Austria auch seit vielen Jahren hin. Ohne funktionstüchtigen Arbeitsmarkt für Ältere ist eine Reform des Pensionssystems weder machbar noch sinnvoll. Ältere Menschen haben es am Arbeitsmarkt in Österreich besonders schwer. Das hat damit zu tun, dass viele Unternehmer fürchten, ältere Arbeitnehmer nicht mehr kündigen zu können. Wobei das in den ersten beiden Jahren ohne Probleme möglich ist.
Es hat aber auch viel mit den hohen Arbeitskosten bei gleichzeitig nachlassender Produktivität zu tun. In Österreich dominiert besonders bei Angestellten und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes das sogenannte Senioritätsprinzip. Die Höhe der Löhne richtet sich daran, wie alt die Person bzw. wie lange sie schon im Unternehmen ist. Das muss sich ändern. Entscheidend ist nicht nur, Menschen länger im Arbeitsprozess zu halten, sondern ältere Arbeitslose wieder in Arbeit zu bringen. Hier sollte sich der Staat auch überlegen, für eine beschränkte Zeit größere Teile der Arbeitskosten zu übernehmen.
"Ideal wäre, das staatliche Umlagesystem durch private Vorsorge abzusichern"
Was wären die Folgen, falls wir das gesetzliche Pensionsantrittsalter nicht anheben?
Unzumutbare finanzielle Lasten für die nachfolgenden Generationen. Die Idee des Pensionssystems ist simpel: Die arbeitende Bevölkerung zahlt die Pensionen derjenigen, die sich bereits im Ruhestand befinden. Das Problem, warum sich das Pensionssystem in einer Schieflage befindet, ist per se ein erfreuliches: Wir leben immer länger. Dadurch ändert sich aber das Verhältnis der arbeitenden Bevölkerung und Pensionisten. Genau das löst einen enormen finanziellen Druck auf das Pensionssystem aus.
Manche kritisieren nicht nur das Pensionsantrittsalter, sondern unser Umlagesystem. Einer der ersten Kritiker war der österreichische Finanzminister Reinhard Kamitz. Er meinte, ein Kapitaldeckungsverfahren wäre günstiger. Was halten Sie davon?
Die Diskussion kommt leider zu spät, der Zug ist längst abgefahren. Ideal wäre, das staatliche Umlagesystem durch private Vorsorge abzusichern. In Schweden liegt der Pensionsbeitrag bei 18,5 Prozent des Bruttolohns (in Österreich sind es 22,8 Prozent). 16 Prozent der geleisteten Einzahlungen werden über das Umlageverfahren auf dem Pensionskonto gutgeschrieben, 2,5 Prozent werden auf dem Kapitalmarkt angelegt. Die Schweden können zwischen unterschiedlichen Fonds wählen. Das hier angesparte Kapital wird anschließend auf dem Pensionskonto verbucht. Eine derartige Variante wäre auch für Österreich begrüßenswert. So können die Menschen an der wachsenden Wirtschaftsleistung und den steigenden Kursen am Kapitalmarkt partizipieren. Wir würden damit alle zu kleinen Kapitalisten. Je schneller hier gehandelt wird, desto besser.
Sie halten aber einen Umstieg auf ein anderes Modell für erstrebenswert?
Wie gesagt: Eine Kombination aus staatlich organisierter und privater Vorsorge wäre anzustreben. Unabhängig davon muss das österreichische Pensionssystem an die Lebenserwartung angepasst werden. Und das sehr rasch.
"Wir sind für einen Staatsfonds aus Privatisierungserlösen"
Norwegen hat einen staatlichen Pensionsfonds. Ökonomen wie der designierte WIFO-Chef Gabriel Felbermayr und der Clemens Fuest vom Ifo-Institut schlagen einen solchen ebenfalls vor. Was halten Sie davon?
Wir von der Agenda Austria haben immer für einen Staatsfonds argumentiert, der aus Privatisierungserlösen gespeist wird. Dieses Geld sollte dann international veranlagt werden, so wie das der norwegische Staatsfonds macht. Wir in Österreich verwechseln ja gerne die Begriffe Staatsfonds und Verstaatlichtenfonds.
Das Momentum-Institut meint: Ein solcher Fonds reicht zur Finanzierung der Alterung der Gesellschaft nicht aus und sei riskant. Was meinen Sie dazu?
Die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten zeigen, wie es geht. Aber wir sind sehr spät dran, wir haben zu lange dabei zugesehen, wie die Defizite im staatlichen Pensionssystem steigen. Weil die Politik zu lange auf jene Beschwichtiger gehört hat, die noch immer gebetsmühlenartig erklären: Die Pensionen sind sicher.
Franz Schellhorn (52) leitet seit Februar 2013 den Wiener Think Tank Agenda Austria, der sich mit relevanten wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigt. Schellhorn absolvierte zunächst eine Bankausbildung bei der Creditanstalt, und studierte später Handelswissenschaften in Wien. Danach heuerte er bei der Tageszeitung „Die Presse“ an, wo er von 2004 bis 2013 das Wirtschaftsressort leitete, ab 2011 fungierte er zudem als Mitglied der Chefredaktion. Während seiner Tätigkeit bei der „Presse“ schloss Schellhorn im Jahr 2004 sein Doktoratsstudium ab.
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