Die meisten Menschen sind weder Klima-Kleber noch Drag-Queens. Im Gegensatz zu einigen Lobbys und NGOs verschaffen sie sich aber nicht durch schrillen Protest Gehör. Im öffentlichen Diskurs drohen sie daher zuweilen unterzugehen. Unter diesem Eindruck tritt Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) immer öfter einigen besonders radikalen Forderungen unter Verweis auf die Mehrheit der „normaldenken Menschen“ entgegen. Damit wehrt sie sich auch gegen gewisse Forderungen von Klimaschützern.

Kogler: „Brandgefährlich“ und „Einfallstor für das Böse“

Schwere Geschütze fährt deshalb Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) gegen die ÖVP-Politikerin auf. Was die niederösterreichische Landeshauptfrau sagt, sei „brandgefährlich“ und überdies „präfaschistisch“, behauptet der Grünen-Politiker. Kogler wörtlich: „Eine derartige Herangehensweise ist das Einfallstor für das Böse in der Welt, um in der Diktion der katholischen ÖVP zu sprechen.“

Zwar gehe es „in der Demokratie um Mehrheiten – aber auch Minderheiten müssen geschützt werden.“ Überdies sei die Norm „zeitabhängig“: „Die Kirche fand es einmal normal, Frauen zu verbrennen.“

ÖVP sieht „unfassbare Entgleisung“

Die Volkspartei ist empört. Bernhard Ebner, Landesgeschäftsführer der ÖVP Niederösterreich, fordert umgehend eine Entschuldigung. Kogler möge erläutern, was genau an den Ausführungen von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner „bei nüchterner Betrachtung ‚präfaschistoid‘ sein soll – oder sich umgehend für seine unfassbare Entgleisung entschuldigen“.

Bernhard Ebner mit Landeshauptfrau Johanna Mikl-LeitnerAPA/HELMUT FOHRINGER

Ebner verweist auch auf einen Kommentar von Niederösterreichs Landeshauptfrau in der „Presse“: „Normaldenkende Menschen, das sind diejenigen, die in der Früh aufstehen und zur Arbeit wollen: und nicht diejenigen, die sie dabei rücksichtslos behindern, indem sie sich an die Straße kleben“, erläuterte Mikl-Leitner dort. „Die Normaldenkenden, das ist sehr oft die schweigende Mehrheit.“ Es sind auch „keine unbekannten Wesen. Sie sind die Mitte der Gesellschaft, vor der sich niemand fürchten muss.

Ebenso brach Mikl-Leitner eine Lanze für den Hausverstand, und gegen „marxistische Träumereien“ und „national-esoterische Verschwörungstheorien“.

Wiener ÖVP-Politiker stellt Koalition mit Grünen in Frage

Manfred Juraczka von der ÖVP Wien, der überdies der dritte Präsident des Wiener Landtages ist, spricht sich in einem Tweet sogar für die Beendigung der Koalition aus. Er zitiert den ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der gesagt hat: „Eine Koalition mit den Grünen kann ich meinen Parteifreunden in der CSU nicht zumuten.“

Kogler verbreitet unwidersprochen Fake News über Kirche

Anmerkung am Schluss: Bei Koglers Behauptung, die Kirche habe Hexenverbrennungen initiiert, handelt es sich um alte, aber von der Wissenschaft längst widerlegte Fake News. Die Hexenverfolgung ist primär ein Phänomen der frühen Neuzeit, nicht des Mittelalters, wie viele annehmen. Ihr Höhepunkt war in Europa zwischen 1550 und 1650. Krisen, wie die Kleine Eiszeit, die hohe Inflation und Hungersnöte dürften wichtige Auslöser gewesen sein.

Im Gegensatz zu dem, was Kogler andeutet, wurden Hexenprozesse und -verbrennungen nicht von der kirchlichen Inquisition durchgeführt, sondern fast immer von weltlichen Gerichten. Die spanische Inquisition lehnte Hexenverfolgung zum Teil sogar ab, die römische Inquisition schritt im 16. Jahrhundert wiederholt gegen Hexenverfolgungen ein. In jenen Ländern, in denen sich die Inquisition durchsetzte, gab es weit weniger Hexenprozesse.

Kirchliche Prediger und Geistliche, die sich als Hexentheoretiker betätigten, stießen in den Kirchen auf massiven Widerstand. Im Gegensatz zu dem was Kogler sagt, war es also gerade nicht die Kirche, für die Hexenverbrennungen „normal“ waren.