In zwei der renommiertesten US-Tageszeitungen fordern Kolumnisten nun offen Claudine Gay (53) zum Rücktritt auf.

Für John McWhorter, Professor für Linguistik an der Columbia Universität, ist Gay als Harvard-Präsidentin schlicht nicht mehr tragbar, wie er in den New York Times unter dem Titel „Warum Claudine Gay gehen sollte“ schreibt. Er verweist auf Harvards „klare Politik in Bezug auf Plagiate, die Studenten mit Strafen bis hin zum Ausschluss von der Universität für nur einen einzigen Fall von Plagiaten bedroht“. Vor diesem Hintergrund sei es unvereinbar mit „wissenschaftlicher Ethik, akademischer Ehre und vor allem der Vorbildfunktion für die Studenten“, wenn die Politikwissenschaftlerin einfach weitermacht, als wäre nichts geschehen.

Fataler Eindruck: Rasse wichtiger als Qualifikation

Dabei spricht er auch offen den Umstand an, dass Gay weiblich und schwarz ist. Ihr Verbleib im Amt „würde den Eindruck erwecken, dass an einer fortschrittlichen Institution mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn es um eine schwarze Frau geht.“ Schon zuvor waren viele davon peinlich berührt, dass die erste schwarze Präsidentin von Harvard nur elf wissenschaftliche Artikel und kein einziges Buch (außer einem mit drei Mitherausgebern) veröffentlicht hat. Die Diskrepanz zu ihren Vorgängern macht diesen Umstand noch unangenehmer. Jeder denkt sich dasselbe: „Dr. Gay wurde nicht aufgrund ihrer akademischen oder wissenschaftlichen Qualifikationen ausgewählt, auf die Harvard angeblich großen Wert legt, sondern eher aufgrund ihrer Rasse.“

Noch schlimmer seien aber die Plagiatsvorwürfe. Abgesehen von Harvards eigener Plagiatsrichtlinie für Studenten, an die sich die Präsidentin offenbar nicht hält, ist es „das schiere Ausmaß des Plagiats“, das der Linguistik-Professor für untragbar hält. „Untersuchungen haben gezeigt, dass sich dieses Problem durch etwa die Hälfte von Dr. Gays Artikeln und auch durch ihre Dissertation zieht.“

Ganze Absätze abgeschrieben

Auch Ruth Marcus, Kolumnistin der Washington Post, findet die Plagiate besonders schlimm. „Sie hat ihre Danksagungen plagiiert“, schreibt Marcus. „Die Fälle problematischer Zitate in der Arbeit des Politikwissenschaftlers Gay sind zu zahlreich geworden, um sie zu ignorieren. Einige gehen weit über die routinemäßige Verwendung der gleichen Sprache hinaus.“ Teils wurden ganze Absätze kopiert.

Harvard ist für seine hohen Qualitätsansprüche bekannt.Getty

Doch die Danksagung sei das „vielleicht beunruhigendste Beispiel“. Hier hatte die Politologin von der Wissenschaftlerin Jennifer L. Hochschild abgeschrieben. Diese hatte sich in einem Buch aus dem Jahr 1996 bei ihrem Mentor bedankt, der „mir gezeigt hat, wie wichtig es ist, die Daten richtig zu verstehen und ihnen ohne Angst oder Gefälligkeit zu folgen“, und der „mich viel härter angetrieben hat, als ich es manchmal wollte.“

Was sagt es über eine Person aus, sich kein eigenes Dankeschön auszudenken?

Ebenso klingt das bei Claudine Gay: Sie bedankte sich in ihrer Dissertation bei ihrem Doktorvater, der „mich daran erinnerte, wie wichtig es ist, die Daten richtig zu erfassen und ihnen ohne Angst oder Gefälligkeit zu folgen“, und bei ihrer Familie, die „mich härter anspornte, als ich es manchmal wollte.“

Ruth Marcus schüttelt den Kopf: „Darf ich jetzt einfach mal sagen? Danksagungen sind der einfachste und unterhaltsamste Teil beim Schreiben eines Buches, der Ort, an dem Sie Ihre Quellen und Verbündeten auflisten und all die Menschen, die Ihnen geholfen haben, das Manuskript über die Ziellinie zu bringen. Warum sollten Sie sich nicht selbst ein Dankeschön ausdenken? Was sagt es über eine Person aus, die sich für diese höchst persönliche Aufgabe die Sprache eines anderen aneignet?“