Offiziell dreht sich der heutige EU-Sondergipfel um eine Erhöhung des mehrjährigen EU-Finanzrahmes bis 2027. In Wahrheit geht es um eine Frage: Werden sich die 27 Staats- und Regierungschefs auf 50 Milliarden Euro EU-Hilfen für die Ukraine einigen? Bisher hat sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban widersetzt. Im Dezember war eine Einigung an seinem Veto gescheitert. In der Zwischenzeit wurden die Töne rauer. Einen handfesten EU-Skandal deckte die Financial Times auf: Sie berichtete von einem Erpressungsplan gegen Budapest. Brüssel denkt demnach darüber nach, die ungarische Wirtschaft notfalls in die Knie zu zwingen, sollte Orban neuerlich nicht einlenken.

Morgendliche Gespräche zwischen einigen Staatschefs haben vor Beginn des EU-Sondergipfels bereits begonnen.

Orban: „Bürokraten in Brüssel wollen uns erpressen“

Vor dem heutigen Gipfel gibt sich Orban kämpferisch und unbeugsam. Auf der Plattform X twitterte er: „Zurück in Brüssel. Wir werden uns für die Stimme des Volkes einsetzen! Auch wenn uns die Bürokraten in Brüssel erpressen.“

Die britische Tageszeitung titelte: „Brüssel droht mit einem Schlag gegen Ungarns Wirtschaft, wenn Viktor Orban sein Veto gegen die Ukraine-Hilfe einlegt.“ Das Blatt hatte ein von EU-Beamten erstelltes Dokument mit einer Erpressungsstrategie einsehen können. Wörtlich heißt es darin, dass „im Falle einer fehlenden Einigung“ auf dem heutigen Gipfel die anderen Staatschefs öffentlich erklären könnten: „Angesichts des unkonstruktiven Verhaltens des ungarischen Premierministers könnten sie sich nicht vorstellen“, dass weiterhin EU-Gelder für Budapest bereitgestellt werden.

Ungarn drohen Anstieg des Defizits und Währungsverfall

Der gravierenden Konsequenzen für Ungarn sind sich die EU-Beamten nur zu gut bewusst. Ohne die EU-Mittel „könnten die Finanzmärkte und europäische und internationale Unternehmen weniger Interesse haben, in Ungarn zu investieren“, heißt es im Dokument. Eine solche Bestrafung „könnte schnell zu einem weiteren Anstieg der Kosten für die Finanzierung des öffentlichen Defizits und zu einem Verfall der Währung führen“. Drei EU-Diplomaten zufolge sollen viele Länder den Plan zu unterstützen.

Über eine undichte Stelle erfuhr die Financial Times von dem Plan.

Janos Boka, Ungarns EU-Minister, erklärte gegenüber der Financial Times: Sein Land gebe „dem Druck nicht nach“. Zuvor hatte Budapest überdies einen Kompromiss vorgeschlagen. Demnach könnte der 50-Milliarden-Euro-Plan umgesetzt werden, sofern ein jährliches Vetorecht bei den Zahlungen bleibe. Andere EU-Länder haben diesen Vorschlag bereits abgelehnt. Ihr Befürchtung: Orban könnte jedes Jahr von neuem versuchen, den Plan zu blockieren. Überdies brauche Kiew Planungssicherheit.

Der ungarische Staatssekretär für europäische Angelegenheiten Janos Boka unterstreicht: Sein Land bemühe sich um konstruktive Verhandlungen.Thierry Monasse/Getty Images

Brüssel dementiert: „Suchen einen Kompromiss“

Nach Bekanntwerden des Erpressungsplans der EU folgten umgehend Dementis: Das geleakte Papier gebe nicht den Stand der laufenden Verhandlungen auf der Ebene der EU-Staats- und Regierungschefs wieder, erklärte ein hochrangiger EU-Beamter gegenüber Journalisten in Brüssel.

Das Dokument sei ein Hintergrundpapier, das vom Sekretariat des Rates in eigener Verantwortung verfasst wurde. Es handle sich weder um einen spezifischen Plan für den mehrjährigen EU-Haushalt und die Ukraine-Fazilität noch für Ungarn. „Die Gespräche sind noch im Gange und waren immer darauf ausgerichtet, einen für alle 27 EU-Mitgliedstaaten akzeptablen Kompromiss zu finden. Die Verhandlungen beruhen auf den Grundsätzen des Dialogs, der Konsultation und des Kompromisses im Interesse aller.“

Orban: „Katze ist aus dem Sack“

Orban sieht das anders. Er twitterte nachher: „Wir haben einen Kompromissvorschlag gemacht. Im Gegenzug wurden wir von Brüssel erpresst. Das Brüsseler Erpressungshandbuch wurde Anfang der Woche in der Financial Times veröffentlicht. Die Katze ist aus dem Sack.“ Für Orban steht fest: Brüssels Vorgangsweise habe rein gar nichts mit Rechtsstaatlichkeit in Ungarn zu tun. „Vergessen Sie die Rechtsstaatlichkeit. Ungarn wird erpresst, weil es eine eigene Meinung zu Migration, dem Krieg in der Ukraine und Genderpropaganda hat. Wir werden unsere Interessen verteidigen. Ungarn lässt sich nicht erpressen!“