Jüngst hatte Alexei Petschij, der Moderator des ukrainischen Fernsehsenders 24 Kanal, noch vom EU-Gipfel in Brüssel berichtet. Nun wird er vermisst. Der Sender spricht bereits von einer „Flucht“.

24 Kanal ist einer der beliebtesten ukrainische Informationsportale und eine der meistbesuchten Websites des Landes. Der 24-Stunden-Nachrichtensender hatte über das Gipfeltreffen der EU-Mitgliedsstaaten am 14. und 15. Dezember berichtet. Zu diesem Zweck war Petschij angereist und hatte dafür auch eine Akkreditierung erhalten. Doch seither ist er nie mehr in sein Land zurückgekehrt.

Präsident Selenskyj will verschärft gegen Fahnenflüchtlinge vorgehen.APA/AFP/POOL/YVES HERMAN

TV-Sender reagiert entrüstet: „Zu sagen, dass ich schockiert bin, wäre eine Untertreibung“

Mittlerweile hat Roman Andrejko, CEO der Lux Media Holding, zu der 24 Kanal gehört, eine Mitteilung auf der Website des TV-Senders veröffentlicht. In ihr erklärte er: Petschij sei aus dem Land „geflohen“ und sei sich „aller Konsequenzen seiner Flucht bewusst“. Damit habe er alle Brücken zu seiner Heimat abgebrochen. Der Medien-Eigentümer macht aus seinem Herzen keine Mördergrube: „Zu sagen, dass ich schockiert bin, wäre eine Untertreibung.“

Petschij meldete sich in einem Video zu Wort und sprach von einer „schwierigen Entscheidung“. Er wolle in der EU bleiben, um mit westlichen Medien zusammenzuarbeiten und die ukrainische Agenda in der westlichen Gesellschaft zu fördern. „Trotz Verurteilung, Druck und Verfolgung werde ich nicht aufhören“, erklärt der mittlerweile entlassene Moderator.

Bekannter Stand-Up-Comedian in die Türkei geflohen

Die Kollegen vom 24 Kanal reagieren entrüstet. Petschij habe erst eine Woche nach seiner Weigerung, in die Ukraine zurückzukehren, einen Text verfasst, um „seine verräterische Position zu rechtfertigen“, erklärten. Sie sprechen von einer „beschämenden Tat, mit der er das Vertrauen des 24 Kanals und jedes Ukrainers ausgenutzt hat“. Die Moderatorin Irina Uzlova hielt fest: „Die Entscheidung einer einzigen Person spiegelt nicht den Beitrag und Denkweise des gesamten Teams wider, das nicht einmal den Gedanken zulässt, woanders zu leben“.

Fahnenflüchtige riskierten in der Ukraine bisher Geldstrafen und Gefängnis. Sie suchen Zuflucht in anderen Ländern, oft unter Lebensgefahr und mit Hilfe von Schleppern. Alexei Petschij ist kein Einzelfall. Der ukrainische Stand-Up-Comedian Andrii Shchegel etwa hat mehrere Vorladungen zur Armee ignoriert und sich in die Türkei verabschiedet. In einem Interview meinte er: „Ich definiere mich als freie Person. Mir wurde klar, dass ich mich hier (in der Ukraine) nicht wohl fühle. Und ich kann nicht mehr und habe einen Weg gefunden, zu entkommen und in einem angenehmen psychologischen Umfeld zu leben“. Seiner Meinung nach ist die Ukraine eine „Fiktion“. „Es ist die Entscheidung der Jungen, jetzt zu sterben. Ich habe aufrichtiges Mitgefühl mit jedem, der jetzt gezwungen ist, die Ukraine zu verteidigen“. Ein Shitstorm in den sozialen Netzwerken war die Folge.

Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen

Unklar ist, ob sich unter den Vertriebenen in Österreich Fahnenflüchtlinge befinden und wenn ja, wie viele. Die Wehrpflicht in der Ukraine verlangt, dass Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht verlassen dürfen, es sei denn, sie haben gesundheitliche Probleme, Betreuungspflichten oder mehr als drei Kinder. Seit Kriegsbeginn sind über 200.000 männliche ukrainische Staatsangehörige im wehrfähigen Alter nach Deutschland eingereist, wobei unklar ist, wie viele von ihnen vor dem Kriegsdienst geflohen sind. Einige wehrfähige Männer sollen sich auch mit gefälschten medizinischen Gutachten für untauglich erklären lassen.

Selenskyj hatte im Herbst angekündigt, härter gegen Fahnenflüchtige vorzugehen. Alle Ausmusterungen aufgrund von Dienstuntauglichkeit sollen überprüft werden, sofern der Verdacht auf Schmiergeldzahlungen besteht. Das betreffe besonders Männer, die auf Basis einer „verdächtigen“ Musterungsentscheidung ins Ausland gereist seien