Die Political Correctness stößt einigen Hollywood Stars mittlerweile sauer auf. Kein Wunder. Immer öfter ernten sie Shit Storms im Netz wegen unpassender Äußerungen. Das kostete einige schon den Job. Keinen Gefallen daran hat der Filmdramaturg und Mediencoach Ip Wischin. Er sieht einen wachsenden Druck auf die Filmbranche, hinter dem sich ein Werterelativismus versteckt. Doch gerade auf sinnstiftende Werte sollten Filmemacher heute mehr achten. Das Göttliche lasse sich visualisieren, ganz kitschfrei. Wischin berät Filmschaffende in Wien, London und Hollywood, darunter Promis und Personen der Independent-Film-Szene.

 

Der Golden Globes Jury wurde heuer Rassismus vorgeworfen. In der Jury soll es keine schwarze Person gegeben haben.

Ricky Gervais hat dazu im vorigen Jahr schon alles gesagt. (Anm. d. Red: Bei der Golden Globe Verleihung 2020 zog Gervais in einem Rundumschlag die Political Correctness durch den Kakao.)

Auch Comediens wie Jerry Seinfeld, Mel Brooks und John Cleese sind keine Fans der Political Correctness, ebensowenig Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling.  

Die Political Correctness ist heute Teil der Cancel Culture Bewegung. Sie übt zunehmend Druck auf die Kulturindustrie aus.

„Man kann in allem was finden, das einem nicht passt.“

Was verstehen Sie unter der Cancel Culture Bewegung?

Man sucht mit dem Mikroskop nach etwas, das einem immer enger werdenden Narrativ nicht entspricht, und sondert es aus, bis nichts mehr übrig bleibt. Am Ende kann man so in allem was finden, das einem nicht passt. Darin sehe ich auch einen moralischen Relativismus, denn was man gestern noch sagen durfte, kostet einen heute schon den Job. Man kann alles damit weiter eskalieren lassen.

Können Sie Beispiele nennen?

Kürzlich gab es einen Shitstorm gegen „Grease“, nachdem das Musical auf BBC gezeigt worden ist. In den sozialen Medien forderte man, den Film aus dem Programm zu nehmen, weil er sexistisch sei, und bestimmte Vorstellungen von Weiblichkeit vermittle. Auch „Gran Torino“ wird mittlerweile für rassistische Beleidigungen kritisiert. Clint Eastwood spielt darin jemanden, der anfangs tatsächlich ausgesprochen xenophob ist und abwertend über seine asiatischen Nachbarn spricht. Allerdings gehört das zu seiner Charakterisierung, denn er durchläuft ja dann eine Wandlung und ändert seine Einstellungen. Es gibt aber Filme, die sich nicht einschüchtern lassen, wie „The Highwaymen“ (2019), der überraschenderweise noch nicht verrissen wurde.

Ip Wischin war mit dem britischen Philosophen Roger Scruton (1944-2020) befreundet.Ip Wischin

Gibt es die Cancel Culture nur von links, oder auch von rechts?

In der McCarthy-Ära war der paranoide US-Senator Joseph McCarthy davon besessen, dass die US-Unterhaltungsindustrie und die Universitäten von Kommunisten unterwandert werden. Der Horrorfilm „Die Dämonischen“ (1956) hat das thematisiert. Heute richtet sich die Hexenjagd primär gegen Leute, die traditionalistisch oder konservativ denken, oder an christlichen Werten festhalten. Sie sind allen möglichen Anfeindungen ausgesetzt und riskieren ihren Job zu verlieren. Umgekehrt passiert das nicht, wenn man aggressive linke Parolen in Foren postet. Der britische Biologe Richard Dawkins spricht von toxischen Mems.

Anders als in der McCarthy-Ära ist die heutige Cancel Culture nicht zentral gesteuert. Es ist ein Mob, der den Grad an Coolness daran misst, wie viele Leute man diffamiert. Es ist eine Art Sittenwächterei, bei der man völlig taxfrei und ohne irgendeine gesellschaftliche Leistung zu erbringen soziale Punkte sammelt, social credits gewissermaßen, wie in China. In so einem Klima äußern sich die Menschen nicht mehr angstfrei, sie fürchten die Blockwarte der gesellschaftlichen Akzeptanz.

Gleichschritt im Denken bei Lucasfilm

Können Sie die Behauptung, die cancel culture komme heute von links, auch belegen?

Gina Carano wurde jüngst von Lucasfilm gefeuert. Der Grund: Sie hat die politische Linke für ihre Intoleranz kritisiert und dabei auf totalitäre Regime verwiesen. In den sozialen Medien forderte ein Shitstorm sofort ihre Entlassung. Doch Pablo Pascal, Caranos Filmpartner in „The Mandalorian“, hat meiner Meinung nach einen viel schlimmeren Vergleich mit dem NS-Regime angestellt – doch ihm passiert nichts: Er kritisierte den US-Grenzschutz, Carano die Heuchelei der U.S.-Demokraten. Kathleen Kennedy, die Präsidentin von Lucasfilm, folgt hier einem Gleichschritt im Denken, und das nicht erst jetzt.

Inwiefern?

Kennedy hat ein zuvor erfolgreiches Hollywood Franchise umgekrempelt. Unter ihrer Ägide entstand „Solo“, der erste Star-Wars-Film, der Geld verloren hat. Als die Dreharbeiten bereits zu 80 Prozent abgeschlossen waren, wechselte Kennedy die Regisseure aus. Die Star-Wars-Trilogie hat nun kein einheitliches Konzept mehr. Der mittlere Teil folgt einem bestimmten politischen Narrativ, aber Star Wars ist keine politische Parabel. Die Konzeption von George Lucas orientiert sich an der Heldenreise, die zuvor der US-amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell untersucht hat. Die Heldenreise von Star Wars handelt vom Reifungsprozess eines Menschen, der auf seiner Sinnsuche lernt, mit dem Universum gewissermaßen in Einklang zu kommen.

Clint Eastwood baut humane Botschaften geschickt ein

Sie haben vorher „Gran Torino“ erwähnt. Der Film handelt von der Läuterung eines Rassisten. Bei seinem Erscheinen galt der Film gerade als „Parabel über Rassismus und Toleranz“.

Clint Eastwood ist eben ein Republikaner, der für eine liberalere Gesellschaft wirbt. Er spricht eine Zielgruppe an, die nicht antirassistisch eingestellt ist oder tatsächlich rassistische Überzeugungen hat. Doch er baut in seine Filme humane Botschaften ein, ohne mit ihnen zu werben. So benützt er in „Gran Torino“ sein Image als Dirty Harry, der mit der Kanone aufräumt, um für Gewaltfreiheit zu plädieren. Am Ende opfert sich der Held selbst: Er löst den Konflikt unbewaffnet und verliert sein Leben. In seinem Film über J. Edgar Hoover („J. Edgar“) tritt er für die Rechte von Homosexuellen ein, und in „Million Dollar Baby“ geht es um Euthanasie. Anfangs glaubt man, der Film handelt von einem weiblichen Rocky, doch am Ende stellt sich heraus, dass es um ethische Fragen rund um den Tod geht. Eastwood will dadurch in republikanischen oder evangelikalen Kreisen Fragen thematisieren, die dort ansonsten gar nicht zur Sprache kommen. So erreicht er nicht nur die ohnedies längst Bekehrten.

Sie stellen die Cancel Culture als einen Mob dar, der großen Druck auf Künstler und die Unterhaltungsindustrie ausübt. Was wäre ihr Gegenrezept?

Der kanadisch-libanesische Evolutionspsychologe Gad Saad schlägt in seinem Buch „The Parasitic Mind“ vor, sich einfach Gehör zu verschaffen, ohne Angst vor Repressalien, damit man in keine Schweigespirale gerät. Ich poste manchmal kontroversielle Aussagen auf Social Media. Es sind immer nur ein paar, die das liken, dabei weiß ich, dass es andere auch richtig finden, doch sie empfinden den gesellschaftlichen Druck, der sie daran hindert, sich aus der Deckung zu begeben. Nur eine verschwindende Minderheit teilt die Narrative der Cancel Culture. Doch selbst große Unternehmen haben heute eigene Beauftragte, die sich mit ihren Anliegen befassen.

„Es ist einfacher auf gutmütige Menschen loszugehen“

Wir würden Sie diese Narrative der Cancel Culture beschreiben?

Der Mensch wird laut diesem Narrativ erst durch die Gesellschaft, die einem bösen Plan folgt, zu dem gemacht, was er ist. Ursprünglich wird man als völlig unbeschriebenes Blatt geboren. Wer das leugnet, gilt als Rassist, Sexist, Kolonialist. Möglicherweise spielt auch die belastete Geschichte des Westens eine Rolle, doch die ist bereits vorbei. Der Philosoph Odo Marquard spricht vom „nachträglichen Widerstand“: Der böse Riese liegt schon tot am Boden. Erst jetzt traut man sich hervor, ruft, tanzt und jubelt, so, als wäre es man selbst gewesen, der ihn getötet hat.
Meines Erachtens sehen manche Menschen überall Mikroaggressionen, weil sie in der Freiheit unserer Gesellschaft eine Schwäche sehen. Woanders herrscht tatsächlich Unterdrückung der Frauen und finsterstes Mittelalter. Doch daran hat der Mob kein Interesse. Es ist einfacher, auf gutmütige Menschen loszugehen, deren einzige Schuld es ist, traditionell zu denken.

Sie haben vorher den Werterelativismus kritisiert. Wie kann man als Filmemacher denn Werte darstellen?

Zurzeit suche ich eine Art Rückkehr zu „transzendentem“ Storytelling wie bei Robert Bresson, Yasujirō Ozu oder Carl Theodor Dreyer. Film kann auf das Metaphysische, eine Form von Transzendenz, verweisen, also auf das, was eigentlich sinnstiftend ist.

Transzendentes Storytelling findet man in Yasujirō Ozus Filmen. Sein bekanntester Film ist „Die Reise nach Tokyo“.public domain

Wie geht das, ohne kitschig zu werden?

Wenn man nur plakativ die eigenen Werte verkauft, wird man mit Sicherheit trashig. Doch der Verweis auf das Unsichtbare funktioniert im Film ähnlich wie die Mechanik eines Hochamtes bei einer liturgischen Handlung. Die Wandlung von Wasser in Wein ist sinnstiftend, wie die Explosion des Todessterns in „Krieg der Sterne“.

Könnten Sie das erklären?

Der Todesstern steht in Star Wars für das, was einen tot macht, den materialistischen Machbarkeitswahn. Luke Skywalker ist bereit, etwas zu riskieren und dagegen aufzustehen. So überwindet er schließlich den Tod, der sich von einer riesigen Metallstruktur in Mikropartikel verwandelt. Hier erfüllt sich eine tiefe Sehnsucht. Die Menschen gehen ins Kino, weil sie erfahren wollen, dass ihr Leben sinnvoll ist.
Es muss nicht nur ein Todesstern sein: Auch ein Berg ist in einem Film alles Mögliche nur kein Berg. In einem Bergsteigerfilm kann er für Herausforderung und Mühsal stehen. Wenn hingegen jemand einen geliebten Menschen auf einer Bergtour verliert, dann steht der Berg für die Trauer um diesen Menschen – also für die Bedeutung, die der Berg in diesem Narrativ hat.

Jesus reicht Ben Hur Wasser zum Trinken. Das Antlitz Jesu sieht der Zuschauer dabei aber nie.public domain

Bedeutung entsteht demnach durch Kontextualisierung. Aber wie funktioniert das beim Transzendenten, Unsichtbaren?

Das Göttliche zeigt man indirekt. In einer Szene in „Ben Hur“ (1959) gibt Jesus dem Protagonisten Wasser, bis ihn ein Centurio daran hindern will. Wir sehen Jesus immer von hinten. An der Reaktion des Centurio erkennen wir, dass dieser gerade eine besondere Begegnung hat: Sein Gesichtsausdruck ändert sich, er ist verunsichert und bemerkt, dass er hier mit einer höheren Dimension konfrontiert ist. Das ist der indirekte Verweis auf etwas Unsichtbares, das nicht direkt gezeigt wird, weil wir das Gesicht von Jesus nicht sehen. Jeder kann sich in seiner Phantasie ausdenken, wie das Charisma Jesu aussieht. Der Zuschauer muss investieren, und zwar seine eigene Phantasie. Man zeigt gerade soviel, wie notwendig ist, aber das Wesentliche bleibt dem Zuschauer überlassen.

Mehr Raum für die Phantasie des Zuschauers verstärkt die Wirkung?

Ja. Quentin Tarantino zeigt Gewalt sehr gerne direkt, aber in einer besonders brutalen Szene von „Reservoir Dogs“, in der einem Cop das Ohr abgeschnitten wird, schwenkt er mit der Kamera weg. Bei den Dreharbeiten hatte er ein prosthetisches Ohr zur Verfügung, doch er fand, dass die Szene weitaus wirkungsvoller ist, wenn sie in der Phantasie des Zuschauers stattfindet.
Ich denke, gute Filme veredeln den Menschen. Sie sind nicht nur ein Konsumprodukt, das den Voyeurismus befriedigt.

Der Medientrainer Ip Wischin, Jahrgang 1963, hält seit 2006 weltweit Vorträge über Filmdramaturgie. Er coachte unter anderem Robert Palfrader, den Filmemacher und Fotografen Georg Riha und zahlreiche Produzenten der Independent-Film-Szene. Um allen Interessierten und aufstrebenden Jungfilmern in Wien kostengünstig die Filmsprache zu vermitteln, gründete er den Filmclub Vienna Filmcoach. Er wendet sein Know-How auch als Unternehmensberater an.

Wischin studierte Film an der School of Visual Arts und assistierte Miloš Forman an der Columbia University. Er arbeitete als Redakteur und Autor für den ORF, und war acht Jahre lang Autor, Schauspieler und künstlerischer Leiter in der Wiener Theaterszene. Bei den Wiener Bezirksfestwochen erhielt er 2000 die Auszeichnung als bester Schauspieler für eine Rolle in „Warten auf Godot“.