Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), darf sich bei ihren Pressekonferenzen offenbar auf wohlgesinnte Journalisten stützen. Dies bemerkt Markus C. Kerber (67), Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin, nach der jüngsten Präsentation der Anhebung des Leitzinses auf 4,25 Prozent. Lagarde musste nicht einmal erklären, „weshalb es innerhalb der Mitgliedsländer der Eurozone eine Inflationsdifferenz von etwa 10 Prozent zwischen Luxemburg und der Slowakei gibt.“

Enorme 11,3 Prozent beträgt die Inflationsrate in der Slowakei, in Luxemburg liegt sie mit einem Prozent sogar unter den offiziell angestrebten zwei Prozent.

Zwischen ein und elf Prozent schwankt zurzeit die Inflation im EZB-Raum. Das wirft laut Kerber schwerwiegende Fragen auf, die bei der Pressekonferenz aber erst gar nicht gestellt wurden. Die EZB-Präsidentin habe daher auch „keine überzeugende Erklärung für eine solch enorme Spanne“ liefern müssen: „Kein Journalist wagte es, tiefer in die Materie einzusteigen und zu fragen, ob unter diesen Bedingungen ein einheitlicher Zinssatz eingeführt werden sollte.“

Einheitlicher Zinssatz bei so unterschiedlich hohen Inflationsraten „unmöglich“

Das stellt die offizielle Verteidigung der bisherigen Euro-Politik in Frage. Immerhin hat die Eurozone seit mehr als 25 Jahren eine „einheitliche Geldpolitik“, wie Kerber hervorhebt. Für den Experten für Finanzwirtschaft steht fest: „Früher oder später werden bedeutende Länder mit niedrigen Inflationsraten wie Spanien dafür plädieren, keine weiteren Erhöhungen mehr vorzunehmen.“

Allerdings könnte sich die Öffentlichkeit auch „der Unmöglichkeit einer Politik des einheitlichen Zinssatzes in einem sehr heterogenen Inflationsumfeld stärker bewusst“ werden. Nicht unwichtig wäre dabei freilich, dass es auch Journalisten gibt, die diese Frage stellen.

Pandemie-Ankaufprogramm von Anleihen wird fortgesetzt, obwohl Corona vorbei ist

Kerber übt darüber hinaus grundsätzlich Kritik an der jetzigen Geldpolitik der EZB. Denn einerseits hebt die EZB zwar den Leitzins angesichts der hohen Inflation, andererseits setzt sie aber der Ankauf von Anleihen öffentlicher und privater Schuldner fort. Es geht um das „Pandemie-Notfallankaufprogramm“ (Pandemic Emergency Purchase Programme, kurz: PEPP). Die EZB hat dieses  Ankaufprogramm von Anleihen im März 2020 beschlossen – offiziell um den Auswirkungen der Covid-Pandemie auf die Wirtschaft entgegenwirken. Mit Hilfe des PEPP sollen Unternehmen und Regierungen günstige Kredite aufnehmen können. Die EZB erwirbt zuvor Vermögenswerte an den Finanzmärkten, wodurch die Preise dieser Vermögenswerte steigen, und in der Folge die Marktzinsen sinken.

Professor Kerber ist scharfer Kritiker der EZB und ihrer Geldpolitik.eXXpressTV

Diese Maßnahme weitet weiterhin die Geldmenge aus. Sie widerspricht der Behauptung der EZB, die Inflation senken zu wollen. Überdies ist die Pandemie schon längst vorbei. Dazu Kerber: „Die fortgesetzte vollständige Reinvestition aller PEPP-Kapitalzahlungen aus fälligen Wertpapieren bis ‚mindestens Ende 2024‘ sollte die Öffentlichkeit aufhorchen lassen. Diese Notstandspolitik ist nicht mehr zu rechtfertigen, da die Pandemie vorbei ist und in Zeiten der Inflation das PEPP-Geldvolumen von 1,7 Billionen Euro zum Inflationspotential beiträgt.“

Spitz hält Markus C. Kerber fest: „In der Sommerzeit scheinen kritische Fragen seltener zu werden und die Öffentlichkeit ist mehr mit dem Vergnügen des Badens beschäftigt. Ausgezeichnete Zeiten für eine leistungsschwache Institution und ihre inkompetente französische Präsidentin.“