Der Standard selbst legt strenge Maßstäbe an, wenn es um die Beurteilung anderer geht. Die Tageszeitung leistet sich ein eigenes Medienressort, das sich neben der Berichterstattung über Interna aus den Redaktionsstuben des Landes vor allem der Kontrolle anderer verschrieben hat. In epischer Breite wird dort über tatsächliche und mutmaßliche journalistische Fehlleistungen der Mitbewerber berichtet. Es ist der Standard, der nach Selbsteinschätzung drüber befindet, wer in Österreich dem Berufsethos genüge leistet.

Da ist es kontraproduktiv, wenn ausgerechnet die Wiener FPÖ den Edelfedern von der Vorderen Zollamtsstraße vorwirft, gegen den freiheitlichen Landtagsabgeordneten Udo Guggenbichler mit journalistischen Mitteln vorgegangen zu sein, die man selbst nur den Schmuddelkindern des Boulevard zugetraut hätte. Die FPÖ Wien bezichtigte ausgerechnet einen Redakteur der Lieblingslektüre aller Selbstgerechten, eine unausgewogene und substanziell inhaltlose Verleumdungskampagne gefahren zu haben. Kurzum: Der Investigativ-Reporter – ein verantwortlicher Innenpolitik-Redakteur – habe schlicht eine Nullnummer zu einem Skandal um die FPÖ aufgeblasen.

Standard-Redakteur darf "politischer Aktivist" genannt werden

Tatsächlich hatte der Journalist unter der Überschrift “Nazi auf dem Dachboden” die Geschichte eines SS-Angehörigen erzählt, der sein Dasein 78 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Oberstübchen einer Burschenschaft fristete. Bei Udo Guggenbichler fand in diesem Zusammenhang eine Hausdurchsuchung statt, die zur “Razzia” mutierte. Immer wieder sattelte der Enthüllungsjournalist des Standard noch ein bisschen was obendrauf. Das Oberlandesgericht in seinem Urteil unter dem Aktenzeichen 2 R 191/23g: “Dass am Dachboden einer Burschenschaft ein zumindest 100 Jahre alter Nazi wohnen würde, war schon ex ante gesehen höchst fraglich.” Dass er entsprechende Recherchen unternommen hätte, habe der Standard erst gar nicht behauptet. Deshalb müsse er sich auch den Vorwurf der FPÖ gefallen lassen, wonach bei der Berichterstattung kein Wert auf die Richtigkeit gelegt wurde.

Die Einstellung der Ermittlungen gegen Udo Guggenbichler ging als Randnotiz unter – war nicht so wichtig. “Die Berichterstattung zu jener Causa erscheint nicht ausgewogen. Den Berichten von Vorwürfen wurde ein deutlich größeres Gewicht zugemessen, als der Meldung über die Einstellung von Ermittlungen.”

Den Standard-Redakteur als “politischen Aktivisten” zu bezeichnen hält das Oberlandesgericht deshalb für zulässig. Ein wahrlich schlechter Tag für den Gralshüter.