Weil er zum Tatzeitpunkt unter dem Einfluss von Marihuana stand, könne er für seine Tat strafrechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Die Empörung in der französisch-jüdischen Gemeinde ist groß.

Gerichtsurteil im Mordfall H. sorgte weltweit für Aufsehen

Am 4. April 2017 war der damals 27-jährige Malier Kobili T., der als drogenabhängiger Dealer polizeibekannt war, in seinem Wohnhaus in Paris über den Balkon der Nachbarn in die Wohnung des Opfers eingedrungen. Die im Wohnhaus als Jüdin bekannte 65-Jährigen pensionierten Ärztin und Volkschulleiterin Sarah H. hatte an ihrer Haustür eine Mezuza, eine jüdische Türpforte, befestigt, die den Täter laut einem später erstellten psychischen Gutachten aufgeregt und wütend gemacht haben soll. Immer wieder war es seit dem Einzug der muslimischen Familie T.  zu antisemitischer Stimmung im Wohnhaus gekommen. Zeugen berichteten später, dass die Schwester des Täters die Kinder von Sarah H. immer wieder im Wohnhaus herumgeschubst und antisemitisch beschimpft hätte.

Polizei suchte in falschem Wohnhaus

Nachdem T.  über den Balkon der Nachbarn in die direkt angrenzende Wohnung der älteren Dame eingedrungen war, hörten diese lautes Geschrei aus der Wohnung der dreifachen Mutter. Sie riefen die Polizei, die sich aber im falschen Wohnhaus verlief.

„Ich habe den Teufel getötet“

Der Täter zitierte lautstark Auszüge aus dem Koran und schrie immer wieder „Allahu Akbar“, während er Sarah H. in ihrer Wohnung folterte. Vor den Augen der vor der Tür stehenden Beamten stieß er die 65-Jährige dann aus dem Fenster im 3. Stock. Nach seiner Tat rief er: „Ich habe den Shaitan (arabisch für Teufel) getötet“. Ob die Frau schon vor oder nach dem Fenstersturz tot war, ist bis heute unklar. Da sich T. so gewaltsam gebar und in Gewahrsam der Polizei anfing, zu randalieren, kam ein Amtsarzt zu dem Beschluss, ihn in die Psychatrie einliefern zu lassen – und das, obwohl der 27-jährige Malier bis zu diesem Zeitpunkt zwar sehr wohl als gewalttätig, jedoch nie als geistig verwirrt aufgefallen war.

Gesetz unterscheide nicht zwischen freiwilligem und unfreiwilligem Wahnzustand

Die vielen Demonstrationen jüdischer Gemeinden vor dem Place de la Republique in Paris blieben ohne Erfolg. In seiner Entscheidung stellte das Gericht fest, dass nach französischem Recht „eine Person nicht strafrechtlich verantwortlich ist, wenn sie zum Zeitpunkt des Ereignisses an einer psychischen oder neuropsychischen Störung leidet, die jegliche Unterscheidung oder Kontrolle über die Handlungen beseitigt hat“. Obwohl T. sich freiwillig in den Wahnsinnszustand gebracht hatte, könne er nicht vor Gericht gestellt werden, da das momentane Gesetz nicht zwischen freiwillig und unfreiwilligem versetzen in einen Geisteszustand des Wahnsinns unterscheide. T. befindet sich nach wie vor in einer psychiatrischen Einrichtung.

Endstation des Rechtswegs in Frankreich

Nachdem ein niedriger stehendes Gericht einen Prozess aufgrund des Marihuanakonsums des Täters abgelehnt hatte und die Familie der ermordeten Sarah H.  Berufung einlegte, ist die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes nun die Endstation des Rechtsweges in Frankreich. Die Familie möchte nun vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Antisemitische Straftaten in Frankreich häufen sich

Der Anwalt der Familie H., Francis Szpiner, sagte gegenüber der Presse :„ Es ist beunruhigend und ungerecht, dass das Gesetz den ursprünglichen Geisteszustand und das eigentliche Motiv der Tat nicht berücksichtigt“ Im Hinblick auf die mediale Nicht-Aufmerksamkeit auf den Fall meinte er „(..) was mein Herz aber am meisten zusammenzieht, das ist die öffentliche Gleichgültigkeit.“

Francis Kalifat, der Präsident des Repräsentantenrates der jüdischen Institutionen in Frankreich, beklagte, das Gerichtsurteil zeige: „Von nun an können wir in unserem Land Juden ungestraft foltern und töten.“

Der Umstand, dass das Opfer aufgrund seines Jüdischseins diabolisiert worden sei, weise außerdem auf den antisemitischen Hintergrund der Tat hin.

Französische Juden wurden in den letzten Jahren wiederholt Opfer islamistischer Angriffe. 2012 erschoss ein islamistischer Schütze drei Kinder und einen Lehrer an einer jüdischen Schule in der Toulouse , 2015 schoss ein IS-Sympathisant in einem jüdischen Supermarkt in Paris vier Menschen nieder. Die jüdische Gemeinde Frankreichs beklagt sich immer wieder über die schwierigen Lebensumstände von Juden in Stadtteilen, in denen viele islamisch geprägte Menschen leben.

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